20. Jahrgang | Nummer 20 | 25. September 2017

Wahnsinn mit oder ohne Methode?

von Erhard Crome

An den Beginn meines kürzlich erschienenen Buches über „Donald Trump und die Deutschen“ hatte ich einen Abschnitt über den Korea-Konflikt gestellt. Ich war mir erst nicht sicher, ob dies nicht eine zu weite Einlaufkurve ist. Doch der Verlag fand die Idee schlüssig. Meine Grundannahme: Korea ist ein, vielleicht der entscheidende Testfall, ob die Außenpolitik der USA mit Trump wie angekündigt das traditionelle Fahrwasser des weltweiten militärischen Interventionismus verlässt. Oder ob, wie nach dem Amtsantritt von Obama, wieder nur die Rhetorik verändert wurde. Trump hatte im Wahlkampf einerseits erklärt, er werde sich Kim Jong-un „vorknöpfen“, wenn China das nicht tue. Andererseits hatte er auch gesagt, er könne mit dem auch „einen Burger“ essen gehen, um sich in ruhiger Atmosphäre zu einigen. Im Grunde warten die Nordkoreaner seit 1953, dass die USA mit ihnen direkt verhandeln. Das Waffenstillstandsabkommen sah die Einstellung sämtlicher Kampfhandlungen nach dem verheerenden Koreakrieg vor. Wenn die USA heute auch nur ein Ziel in Nordkorea angreifen, ist der Waffenstillstand beendet und der Krieg fortgesetzt, mit all den Folgen, die die in über sechzig Jahren weiterentwickelten Waffensysteme möglich machen. Und die würden wohl kaum auf die koreanische Halbinsel beschränkt bleiben.
US-Außenminister Rex Tillerson hatte in einer Grundsatzrede vor Mitarbeitern des Außenministeriums am 3. Mai 2017 seine Schlussfolgerungen für die Außenpolitik der Trump-Regierung umrissen. Danach sei die Welt nach dem Kalten Krieg „sehr viel komplizierter“ geworden. Wenn die USA „die Welt so betrachten, wie sie heute ist“, dann müssten sie sich auch „davon verabschieden, es so wie immer zu machen, weil wir es in den letzten 30, 40 oder 50 Jahren so gemacht haben“. Die Aufrechterhaltung „einer Position der Stärke“ solle die Grundlage der Außenpolitik bilden, aber nicht auf Drohungen reduziert sein. In diesem Sinne bezog er sich auch auf Nordkorea. Die USA wollten die „Verbündeten“ Südkorea und Japan schützen, aber auch China und Russland einbeziehen. Es gehe „nicht um einen Machtwechsel, den Sturz des Regimes oder eine beschleunigte Wiedervereinigung auf der Halbinsel“, die USA suchten „nicht nach einer Ausrede […], um über den 38. Breitengrad hinaus vorzudringen“. Ziel sei vielmehr „eine atomwaffenfreie Halbinsel“.
Seit einigen Wochen spitzt sich die Lage um Korea wieder zu. Nordkorea machte weitere Atombombenversuche, nun offensichtlich auch mit einer Wasserstoffbombe, und unternahm eine Reihe von Tests weitreichender Trägerraketen. Kim Jong-un großmaulte, er könne die US-amerikanischen Stützpunkte auf der Insel Guam oder das amerikanische Festland angreifen. Donald Trump entgegnete, es werde eine vernichtende Antwort aus „Feuer, Wut und Macht“ geben. In dieser Lage wurde allenthalben befürchtet, der Krieg rücke näher. Zwei „unberechenbare Irre“ würden die Welt in einen Atomkrieg stürzen. Ria Novosti Deutschland/ Sputniknews bat mich um ein Interview auf der Grundlage meines Textes.
Zunächst widersprach ich der Mutmaßung von den „zwei Irren“. Beide folgen einer rationalen Logik. Während Südkorea zu den entwickeltsten Industrieländern der Welt gehört, ist Nordkorea ein wirtschaftlich relativ schwaches Land, hat aber eine der größten Armeen der Welt (geschätzt 1,2 Millionen Mann, etwa 4,5 Prozent der Gesamtbevölkerung) und unter großen Anstrengungen eigene Raketenwaffen und Atomsprengköpfe entwickelt. Das hat nichts mit „Wahnsinn“ oder „Aggressivität“ zu tun, sondern ist unter der Wahrnehmungsperspektive der Führung eines einsamen Landes die Rückversicherung gegen einen Überfall. Die Auswertung der Kriege des Westens gegen Saddam Hussein (Irak) und Muammar al-Gaddafi (Libyen) hat ihr gezeigt, dass der Westen nur Länder ungestraft angreift, die nicht über Atomwaffen verfügen. Es wird also eine dauerhafte Lösung für und mit Nordkorea nur dann geben, wenn das Land verlässliche Friedensgarantien erhält, nicht nur von Seiten Südkoreas sowie Chinas, Russlands und Japans, sondern vor allem von Seiten der USA. Und Nordkorea will nicht nur über atomare Abrüstung reden. Es steht noch immer die im Waffenstillstandsabkommen von 1953 vereinbarte friedensvertragliche Regelung der Korea-Frage aus. Zugleich muss es Vereinbarungen zur Aufhebung der Sanktionen und darüber hinaus zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit geben.
Die Politik der USA ist ebenfalls nicht irrational. Einen Raketenangriff auf amerikanische Einrichtungen oder gar Territorien kann die Supermacht nicht hinnehmen. Die lautstarke Rhetorik Trumps hat China und Russland die Zustimmung zu weiteren Sanktionen gegen Nordkorea abgepresst, zu denen sie zuvor nicht bereit waren. Mitte August weilte zugleich der Chef der Vereinigten Stäbe der USA, General Joseph Dunford, in China, wurde von Präsident Xi Jinping empfangen und vereinbarte mit dem chinesischen Generalstabschef, Fang Fenghui, einen neuen Kommunikationsmechanismus zwischen den Streitkräften beider Länder. Damit war klar, dass Krieg nicht vor der Tür steht, weder in Korea noch im Südchinesischen Meer.
Russland und China setzen auf Verhandlungen zur Entschärfung des Korea-Problems. Zugleich wollen sie Nordkorea weiter existenzfähig halten, schon um geopolitisch zu verhindern, dass US-Truppen, die auf Grundlage der Vereinbarungen mit der dortigen Regierung in Südkorea stationiert sind, nach einem Zusammenbruch nach Norden vorrücken und direkt an der chinesischen Grenze oder an der russischen Grenze im Fernen Osten stehen, wie bereits in Europa. Der Schlüssel für die Entschärfung der Korea-Frage – und damit auch der Denuklearisierung und Raketenabrüstung auf der koreanischen Halbinsel – liegt nicht in Pjöngjang, sondern in der Politik des Westens. Und das gilt unabhängig davon, wer die KVDR regiert. So das Fazit.
Aber die verstärkten Drohungen der nordkoreanischen Führung gegen die USA? Zielen die wirklich nur darauf, die Vereinigten Staaten an den Verhandlungstisch zu nötigen? Oder steckt Vabanque dahinter? Nach aller sachlichen Betonung realistischer außenpolitischer Positionen bleibt ein Rest an Zweifeln. Wenn die Führung der Partei der Arbeit Koreas die Zusammenbruchsprozesse des Realsozialismus in Osteuropa ebenso verfolgt hat wie die Überfälle des Westens auf Irak und Syrien, dann weiß sie, dass innere Reformen ebenso wie Zurückweichen vor demokratischen Forderungen der Bevölkerung am Ende zum Scheitern der Parteiherrschaft und zum Fiasko des Realsozialismus geführt haben. Zerbomben dagegen die USA Nordkorea und das den Süden, ist ganz Korea auf den Stand der Trümmerwüste von 1953 zurückgeführt. Die Partei der Arbeit wäre nicht gescheitert, wie andere frühere „Bruderparteien“, sondern „der US-Imperialismus“ hätte das Land ein weiteres Mal zerstört, die Partei und ihre Väter blieben unbesiegt. Können die USA von einer solchen Entscheidung abgehalten werden, muss die übrige Welt hinnehmen, dass Nordkorea fortan mit am Tisch der Atommächte sitzt. So hätte der Norden den industriellen Rückstand zum Süden durch militärische Mittel ausgeglichen – die Systemkonkurrenz zwischen den beiden Koreas wäre machtpolitisch wieder auf Augenhöhe.