20. Jahrgang | Nummer 17 | 14. August 2017

Nach der Barrage

von Erhard Crome

Eine „neue Barrage von Sanktionen“ nannte Willy Wimmer, einer der hellsichtigsten konservativen Kritiker derzeitiger westlicher Konfrontationspolitik, die jüngsten Beschlüsse des US-Kongresses. Sie richteten sich gleichermaßen gegen US-Präsident Trump, europäische NATO-Mitgliedsländer und Russland. Es sollte eine Sperre errichtet werden, die Entspannung und gedeihlicher Zusammenarbeit den Weg verlegt.
Donald Trump hat geschickterweise das Paket unterschrieben, „um der nationalen Einheit willen“. Ein Bild davon für die Medien wurde nicht publiziert. Stattdessen gab es eine lapidare Mitteilung des Weißen Hauses und eine Vorbehaltserklärung des Präsidenten: Die Gesetze seien in Teilen verfassungswidrig, schon deshalb, weil sie gegen das von den Verfassungsvätern verankerte Prinzip der Gewaltenteilung verstießen. Er werde die exekutiven Möglichkeiten weiter nutzen, aber die „Wünsche des Kongresses“ berücksichtigen. Das meint keine Eins-zu-Eins-Umsetzung.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung vermerkte erstaunt „die neue Rollenverteilung“ in Washington: Bei früheren Gelegenheiten seit Trumps Amtsantritt sei es am US-Kongress gewesen, „die Verbündeten“ zu beschwichtigen, jetzt dagegen – umgekehrt.
Da sich das Gesetz dezidiert auch gegen die Erdgasleitung Nordstream 2 in der Ostsee richtet, warnte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, diese US-Sanktionen könnten die europäische Energieversorgungssicherheit beeinträchtigen. Deshalb gelte: „Wir müssen unsere Wirtschaftsinteressen auch gegenüber Amerika verteidigen.“ Im Zweifelsfalle mit Gegensanktionen.
Russland sprach von „Handelskrieg“ und dem Höhepunkt einer verfehlten Russland-Politik der USA und des Westens seit dem Ende des Kalten Krieges. Ende Juli fanden bekanntlich erstmals chinesisch-russische Seemanöver in der Ostsee statt. Am 30. Juli 2017 hat der russische Präsident, Wladimir Putin, in Sankt Petersburg eine große Flottenparade abgenommen, an der auch die chinesischen Flottenkräfte teilnahmen. Buchstäblich am selben Tag nahm Chinas Präsident, Xi Jinping, nördlich von Peking auf einem Truppenübungsplatz eine große Militärparade ab, in der auch neue nuklear-strategische Waffen gezeigt wurden. Beide Weltmächte haben ihrerseits nicht den Handelskrieg ausgerufen, sondern die jüngsten Signale aus Washington als politische genommen, auf die sie mit militärisch-politischer Symbolik geantwortet haben. Insofern gibt es keine sektorale Verschlechterung der Beziehungen, die nicht auch Auswirkungen auf andere Politikbereiche hätte.
Die russische Regierung hat derweil verfügt, die Personalzahl an der US-Botschaft und den Konsulaten in Russland bis September um 755 auf 455 Personen zu reduzieren. Das entspricht der Zahl der russischen Diplomaten in den USA nach der Ausweisung eines Teils von ihnen durch Präsident Barack Obama Ende 2016. Ein Wochenend-Domizil der US-Diplomaten wurde geschlossen. Ebenfalls eine spiegelverkehrte Maßnahme – diplomatisch gesprochen: Retorsion – zu einem Schritt Obamas Ende 2016. Putin hatte seinerzeit nicht reagiert – auf eine Verbesserung der russisch-US-amerikanischen Beziehungen nach dem bevorstehenden Wechsel im Weißen Haus hoffend, der im Januar 2017 erfolgte.
Zwischenzeitlich ist nicht klar, ob der US-Kongress und Präsident Trump sich „nur“ in Auseinandersetzung befinden, oder ob wir es auch mit einer Art Arbeitsteilung zu tun haben. Bekanntlich lautete der Grundbefund Trumps, bereits im Wahlkampf, dann auch nach der Amtsübernahme: Die USA seien geschwächt, weil die wirtschaftlichen Grundlagen erodiert sind. Eine kohärente Außenpolitik müsse auf amerikanischen Interessen beruhen. Dazu müsse das Land „aus dem Geschäft des nation-buildung“ in anderen Ländern „aussteigen“ und auf „Stabilität in der Welt“ zielen. Die Spannungen mit Russland sollten verringert, die Beziehungen verbessert und der „Zyklus der Feindschaft“ beendet werden. „America First“ wurde als politische Grundlinie verkündet. Das Volk der USA werde „den falschen Gesängen des Globalismus“ nicht länger folgen. Die Re-Industrialisierung der USA und die Reduzierung des Außenhandelsdefizits wurden zu zentralen Zielen erklärt. Damit rückten die beiden „Exportweltmeister“, China und Deutschland, in den Fokus.
Eine Verschärfung der US-amerikanisch-russischen Beziehungen passte nicht in Trumps Weltsicht, sondern gehörte zum Konzept Obamas und der traditionellen Interventionisten. Die Wirtschaftsbeziehungen zu China schien Trump ausbalancieren zu wollen. Die Deutschen hingegen ging er direkt an.
Die frühzeitige Befürwortung des Brexit, der Besuch Trumps in Warschau, bei dem er besondere Beziehungen zu Polen zusicherte, sich gegen Nordstream 2 aussprach und die Lieferung von amerikanischem Flüssiggas anbot, sowie der Besuch in Paris, bei dem er dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ungeteilte Unterstützung zusicherte – all das schien auf ein Intervenieren der USA in die EU-Binnenverhältnisse zu Lasten der deutschen Hegemonialposition hinzudeuten.
Die jetzigen Barrage-Regelungen entsprechen dem in vielem, mit den Festlegungen und den Drohungen gegen deutsche und andere Firmen, wenn sie sich dem amerikanischen Gesetz nicht unterwerfen. Es wird sich erweisen müssen, ob darin nicht mehr Elemente stecken, die dem „America First“ Trumps entsprechen, als es zunächst den Anschein hat.
Außenminister Rex Tillerson betonte – trotz oder gerade wegen der Kongress-Beschlüsse gegen Russland – am 1. August 2017, die USA wollten die Meinungsverschiedenheiten mit Russland ohne einen offenen Konflikt beilegen. „Ich glaube nicht“, sagte er, „dass die Amerikaner wollen, dass wir schlechte Beziehungen zu einer großen Atommacht haben.“ Den Hintergrund für die jüngsten Gesetze interpretierte er so: „Aber ich glaube, sie (die US-Amerikaner – E.C.) sind frustriert, und diese Frustration spiegelt in vielem wider, dass wir nicht jene Verbesserung der Beziehungen zu Russland sehen, die wir gern sehen wollten.“ Damit hat er zwar Moskau für die Kongress-Beschlüsse verantwortlich gemacht, gleichzeitig jedoch den Willen der US-Regierung zu guten Beziehungen zu Russland bekräftigt. Das ganz gewiss entgegen den antirussischen Intentionen der Kongress-Boykotteure. Andererseits aber erhöht das die Unsicherheiten in Berlin und Brüssel, gegen wen es nun eigentlich und hauptsächlich geht.