20. Jahrgang | Nummer 14 | 3. Juli 2017

USA: Knast als Geschäftsmodell

von Sarcasticus

Es gibt ja immer noch und immer wieder Zeitgenossen, die gläubig ins Schwärmen geraten, wenn von den USA als dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten und als Hort der siamesischen Zwillinge freedom and democracy die Rede ist. Für die Donald Trump nicht des Systems vollendetsten Ausdruck darstellt, sondern lediglich einen Betriebsunfall. Das sind dann meist auch Zeitgenossen, die die Schokoladenseiten von New York, Los Angeles und San Francisco für die USA schlechthin halten und sich im Übrigen nicht mit Details der amerikanischen Gesellschaft belasten, die nicht zur erträumten Idylle passen. Die deshalb auch Beiträge wie den vorliegenden nachhaltig ignorieren. Denen also (leider?) nicht zu helfen ist.

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Wie ein Vergleich zwischen den USA und Russland sowie der Volksrepublik China ausfällt, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Parameter man heranzieht. In der Regel, das soll gar nicht bezweifelt werden, dürften die USA an der Spitze liegen. Bei einem der Hauptindikatoren für staatliche Strenge gegenüber den eigenen Landeskindern stimmt das auf jeden Fall: 2016 saßen hinter US-Gefängnismauer 2,3 Millionen Menschen. „Konkret bedeutet das“, so das Handelsblatt, dem diese Angabe entnommen ist, „dass zwischen Ost- und Westküste mehr Strafgefangene einsitzen als in Russland und China zusammen.“ Seit 1972, als auf 100.000 US-Bürger 161 Inhaftierte kamen, hat sich die Gefängnisinsassenrate auf 670 (Angabe für 2015) mehr als vervierfacht. Und das bei seit längerem landesweit rückläufiger Gewaltkriminalität; deren Rate, so Holly Harris, Exekutivdirektorin des U.S. Justice Action Network, in einem Beitrag für die März/April 2017-Ausgabe von Foreign Affairs mit dem Titel „The Prisoners Dilemma“, lag „2014 […] 16,5 Prozent niedriger als 2006“. Harris brachte den Zusammenhang zwischen beiden Aspekten auf folgenden Punkt: „Die Vorstellung von einer neuen Welle an Kriminalität ist eine Legende. Was hingegen real ist, ist eine Epidemie an Einkerkerungen.“ Und sie ergänzte: „Im Verlauf nur eines einzigen Jahres werden mehr als 11 Millionen Menschen in ein amerikanisches Gefängnis oder in eine Haftanstalt eingewiesen.“
Ihren Gefängnisinsassenrekord erreicht und konsolidiert haben die USA nicht zuletzt durch eine Eigenheit ihrer Ermittlungsbehörden und ihrer Justiz: Die Polizei verhaftet wegen geringfügigster Straftaten und die Richter verhängen Gefängnisstrafen wie am Fließband. Inimai Chettiar vom Brennan Center for Justice in New York zu den Hintergründen: Es gebe in den USA eine Mentalität, wonach man jeden Sünder bestrafen müsse. „Und der Knast gilt da als ultimative Lösung.“ Larry Miller, ein langjährige Abgeordneter der Demokraten im Bundesstaat Tennessee, legt den Finger in eine weitere Wunde: „Steckt Kriminelle ins Gefängnis und werft den Schlüssel weg“, das sei ein Slogan, mit dem man in den USA Wahlen gewinne.
Hinzu kommt ein für finanziell Minderbemittelte teuflischer Kreislauf: Zwar müsste, wer etwa beim Diebstahl einer Handtasche im Wert von, sagen wir, 20 US-Dollar erwischt wird, nicht zwangsläufig sofort in den Kahn, sondern könnte, vom Richter verfügt, gegen eine Kaution in Freiheit bleiben. Die Höhe der Kaution? Sagen wir 5000 US-Dollar. Die haben der Dieb oder die Diebin allerdings fast nie, denn sonst hätten sie ja nicht … Also geht es doch sofort ins Gefängnis. Für anderthalb Monate mit anschließender Bewährung. Verpasst man dann aber auch nur einen Termin mit dem Bewährungshelfer, folgt sofort wieder der Knast. Logisch dass, soweit die Delinquenten nicht sowieso bereits arbeitslos waren, kein Arbeitgeber dieses Rein und Raus mitmacht. Ergo – wer einen hatte, verliert in der Regel seinen Job. Vielen Betroffenen, die zuvor nicht wirklich kriminell waren, lässt dieser Verlauf nur den Ausweg ins Berufsganoventum.
Zu einem sprunghaften Anstieg der Gefängnisinsassenzahlen war es gegen Ende der 1980er Jahre gekommen, als Law-and-Order-Präsident Ronald Reagan den Krieg gegen die Drogen ausrief und Gesetzte drastisch verschärfte, so dass seither praktisch jeder erwischte Kiffer hinter Gitter wandert. Und seit die ewig klammen US-Kommunen immer höhere Strafen etwa bei Ordnungswidrigkeiten im Verkehr wie Geschwindigkeitsübertretungen verhängen dürfen, die immer weniger Autofahrer zu zahlen in der Lage sind, befüllt auch dies mit bleibender Regelmäßigkeit die Knäste.
Eine Branche sieht das mit zwei lachenden Augen – die privaten Betreiber von Gefängnissen. Das älteste Unternehmen dieser Art ist die Correction Corporation of America (CCA), die seit 1983 am Markt operiert. 2015 machte der Konzern mit 53 Einrichtungen bei einem um 8,6 Prozent gesteigerten Jahresumsatz von 1,79 Milliarden US-Dollar einen Ebit-Gewinn von 282 Millionen. Natürlich ist CCA ebenso börsennotiert wie die beiden anderen Branchengrößen Geo Group und MTC. Insgesamt sind acht Prozent der rund 3300 größeren US-Gefängnisse in Privatbesitz – mit immerhin 950.000 Insassen. Denn der Mythos hält sich hartnäckig, dass privat effizienter sei als staatlich, also billiger für den Steuerzahler. Laut Paul Ashton vom Justice Policy Institute in Washington gibt es aber „keine überzeugende Studie, die das belegt“. Die dürfte auch schwerlich zu erstellen sein – angesichts einer Versiebenfachung der Bundesausgaben für Gefängnisse im Zeitraum von 1980 (970 Millionen Dollar) bis 2013 (sieben Milliarden). Diese Angaben finden sich bei Holly Harris.
In anderer Hinsicht gibt es allerdings beträchtliche Unterschiede zwischen staatlichen und privaten Gefängnissen, und zwar unter dem Rubrum „Schlimmer geht’s immer!“. Während den ersteren in den meisten Fällen ein mindestens schlechter Ruf vorauseilt, legen die privaten – höherer Rendite wegen – noch einige Kohlen drauf. Sie sparen am Personal, und zwar gleich doppelt: Sie halten ihre Wärterschaft auf Minimalniveau und zahlen nur Mindestlohn. Was unter anderem, wie Insider betonen, dazu führe, dass es in Privatgefängnissen mehr Prügeleien und Revolten gäbe als in staatlichen. Und was die Häftlinge selbst anbetrifft, die für Ein-Dollar-Stundenlöhne Auftragsarbeiten für die Privatwirtschaft oder für staatliche Behörden erledigen dürfen, so formulierte ein Ex-Insasse, die seien für CCA wie ein Stück Fleisch, denn: „McDonald’s brät keine Burger, damit die Leute satt werden, sondern damit Geld verdient wird.“
Noch weit attraktiver als das Geschäft mit einheimischen Straftätern ist für CCA & Co. im Übrigen die Unterbringung von aufgegriffenen illegalen Einwanderern. Während die Kosten für erstere sich bei CCA auf knapp 80 Dollar täglich belaufen sollen, bringt die Übernahme letzterer fast 300 Dollar pro Kopf und Tag, die staatlicherseits zu berappen sind. Da könnte sich Donald Trump also bei einer Branche, die sein kantiges Weltbild und seine ruppige Art durchaus zu schätzen weiß – im Wahlkampf hatte er getwittert: „Das Verbrechen ist außer Kontrolle, und die Lage verschlechtert sich rasant. Wenn ich im nächsten Jahr den Amtseid ablege, werde ich Gesetz und Ordnung in unserem Land wiederherstellen.“ – doch noch so richtig unbeliebt machen. Mit seinem Vorhaben, die Grenze zu Mexiko durch eine Mauer zu blockieren …