18. Jahrgang | Nummer 22 | 26. Oktober 2015

Bemerkungen

Keuners Enkel

Der Enkel von Herrn Keuner wird von einem Journalisten gefragt, wie seine Bilanz nach 25 Jahren deutscher Einheit denn nun ausfalle. O, sagt der Enkel von Herrn Keuner, ich bin höchst zufrieden. Alle Urteile, die ich mir in den ersten 25 Jahren meines Lebens über den Kapitalismus gebildet habe, wurden in den zweiten 25 Jahren bestätigt.

Henry-Martin Klemt

Erkenntnisse eines Forschungsverbündlers

Klaus Schroeder, Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität, leitet den Forschungsverbund SED-Staat. Am 20. Oktober erklärte der Experte im Deutschlandfunk: „In den neuen Ländern gibt es eine Tradition, die bis in die DDR zurückreicht, die sehr stark geprägt ist, alles Fremde abzulehnen, mit Sozialneid auf andere Leute zu reagieren, und das hat sich fortgepflanzt bei einer Minderheit, bei einer nennenswerten Minderheit im Osten. Sie ist zudem nicht in der freiheitlichen Demokratie angekommen, kommt nicht klar mit den demokratischen Regularien, lehnt Vielfalt ab, hängt der alten Homogenität noch nach, die es ja in der DDR gab. Und um noch mal auf ein weiteres hinzuweisen: In fast allen postkommunistischen Ländern sehen wir etwas Ähnliches. Es sind die Länder, die zu Zeiten des Sozialismus-Kommunismus so eingepfercht waren, dass sie das Fremde nicht kennenlernen konnten, und die sich jetzt dagegen sperren, sich mit dem Fremden auseinanderzusetzen.”
Da erschauere ich als Westdeutscher noch nachträglich: Nicht nur in Westberlin, nein, auch in Westdeutschland waren wir vom Ostblock eingekreist: Österreich, die Schweiz, Frankreich, das flämische Belgien, die Niederlande, Dänemark – alle heimlich im Ostblock! Ohne willkommene Gastarbeiter, ohne Reisefreiheit, ohne Vielfalt … Oder wie erklärt der Herr Forschungsverbündler uns Ahnungslosen die Freiheitlichen, die SVP, den Front National, den Vlaams Belang, die Partij voor de Vrijheid, die Dansk Folkeparti? Alles „rotlackierte Nazis” (Kurt Schuhmacher), deren originäre Grundfärbung wieder durchbricht! Oder habe ich da was falsch verstanden?

Martin Franke

Wortspielreiche Spielverderber

Erlangen ist bekannt als Universitätsstadt und als großer Siemens-Standort. Musikalisch ist diese fränkische Stadt bisher kaum hervorgetreten. Zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle in den 80er Jahren gab es durch die Gruppe „Foyer des Arts” einen kleinen Hit mit dem Stück „Wissenswertes über Erlangen”, wobei dieses Lied bestenfalls als ironische Hommage an die Stadt durchgehen kann.
Peter „Point” Gruner liefert mit seiner Band „Die Spielverderber”, wenngleich in der Erlanger Region beheimatet, gleichfalls keine Oden an die fränkische Fahrrad-Stadt.
Musikalisch bieten sie dezente Reggae- und kernige Rhythm’n’Blues – Rhythmen, hin und wieder mit kräftigen Bläserzusätzen gewürzt.
Die Liedtexte sind wortspielreich, abzulesen nicht nur am Albumtitel oder an Songtiteln wie „Reiche Arme” und „Verlorene Arme”. Point verhackstückt unterhaltsam-witzig Liebeslust und Liebesfrust, alltägliche Flausen und Befindlichkeiten. Statt der unerträglichen Schnoddrigkeit des intellektuellen Jammerlebens wartet er mit (selbst-)ironisch gesungenen Lebensepisoden und -erkenntnissen auf.
Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass es die Point-Alben „bewusst nicht über Amazon oder andere Internet-Gangster” zu kaufen gibt. Auch wenn er kein dezidiert politischer Liedermacher ist, zeigt er jedenfalls Rückgrat. Es zieht ihn wohl weniger in die Hitparaden, sondern „immer weiter und weiter auf der unsichtbaren Spur …”

Point & Die Spielverderber: „Ich will nicht sein wo ich nicht bin”. www.point-und-die spielverderber.de, 10 Euro plus Versandkosten.

Thomas Rüger

Von Klugen und Dummen

Klug fragen können ist die halbe Wahrheit.
Francis Bacon

Die kluge Frau wünscht sich immer ein bisschen mehr, als ihr Mann ihr bieten kann, aber niemals so viel, dass er entmutigt wird.
Sarah Bernhardt

Wer möchte nicht lieber durch das Glück dümmer als durch Schaden klug werden?
Salvador Dali

Wünsche sind nie klug. Das ist sogar das Beste an ihnen.
Charles Dickens

Nur der Dumme lernt aus Erfahrungen, der Kluge aus der Erfahrung der anderen.
Rolf Hochhuth

Zusammengestellt von fbh

Aus anderen Quellen

Mit Blick auf Syrien fragen die Macher des Internet-Projekts dekoder.org: „Was steht hinter dem sogenannten Putin-Plan? Hofft der Kreml, auf den Trümmern Syriens und auf dem Rücken derer, die vor dem Chaos fliehen, eine Neudefinition der Einflusssphären durchzusetzen, ähnlich den Ergebnissen der Konferenz von Jalta?“ Mit dieser Frage leiten sie einen Kommentar von Pawel Felgengauer, einem einschlägigen russischen Experten in der in Moskau erscheinenden Novaja Gazeta ein. Felgengauer kommt zu dem Fazit: „Das Vorgehen Russlands in Syrien ist außerordentlich riskant. Bislang läuft alles leidlich, aber aus Jalta 2.0 wird wohl kaum etwas werden, und Syrien wird für das vergleichsweise kleine russische Kontingent bald zu einer glühenden Pfanne: Die Verluste werden schmerzlich, und das Assad-Regime zu retten wird auch nicht gelingen.“
Pawel Felgengauer: Ein neues Jalta auf den Trümmern Syriens?, Novaja Gazeta, 21.09.2015 (Übersetzung: 01.10.2015). Zum Volltext hier klicken.

Anmerkung der Redaktion: dekoder.org bietet seit Kurzem Beiträge aus russischen Medien in deutscher Übersetzung an. Ausführlicher dazu im Internet.

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Wenn nach Talleyrand den Menschen die Sprache gegeben ist, um ihre Gedanken zu verbergen, dann sind Pegida-Aktivisten auch in dieser Hinsicht ein Sonderfall. Die führen, wie Anna-Maria Schielicke zusammengetragen und analysiert hat, eine dermaßen selbstentlarvende Sprache, dass man „nicht lange nach dem Wesen suchen [muss]“. O-Ton Ober-Pegidist Bachmann zu den Strophen des Deutschlandliedes: „Wenn wir es irgendwann mal geschafft haben, die Verräter aus Berlin zu vertreiben, dann singen wir hier Strophen, so viel wir wollen.“.
Anna-Maria Schielicke: Herbst in Dresden – Pegida im Spiegel ihrer Sprache, www.sehnsuchtsort.de, 06.10.2015. Zum Volltext hier klicken.

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„Mit den Flüchtlingen hat das rechte Aufbegehren nur bedingt zu tun“, vermerkt Christian Wolff auf seinem Blog und fährt fort: „Es bedurfte nur eines Anlasses, damit sich das, was sich seit 25 Jahren in allzu vielen Regionen Sachsens an Rechtsradikalismus aufgebaut hat, in seiner ganzen Bandbreite entladen kann. Pegida ist das vor einem Jahr vom rechten Netzwerk geschaffene Dach, unter dem sich neben den Möchtegern-Politiker aus dem Türstehermilieu NPD-Größen bis hin zu den ach so bürgerlich-intellektuell daherkommenden Frauke Petry und Alexander Gauland von der AfD und ihre Mitläufer aus der sächsischen CDU (und leider auch aus anderen Parteien) versammeln und inzwischen auch vor nichts zurückschrecken.“
Christian Wolff: Der ganz alltägliche Faschismus – oder: Das sind doch nicht alles Nazis, wolff-christian.de/blog, 13.10.2015. Zum Volltext hier klicken.