17. Jahrgang | Nummer 26 | 22. Dezember 2014

Bemerkungen

Der braunen Brut lebenslang ein Widerpart

Der große Humanist, Journalist und Publizist Ralph Giordano ist tot. Ohne Menschen wie ihn wäre die alte Bundesrepublik wohl in sehr viel stärkerem Maße von den Massen an Nazi-Amtsträgern und -Mitläufern, die nach 1949 Führungspositionen in Politik, Justiz und Polizei, später auch in den Streitkräften, und nicht zuletzt in Schulen, Universitäten und Medien der jungen Republik übernahmen, geprägt worden, als es dann tatsächlich der Fall war.
Nach Ende des Weltkrieges, den der Jude Giordano unter anderem durch mehrjähriges Verstecken in einem Keller in seiner Heimatstadt Hamburg knapp überlebt hatte, ließ er sich von der Erkenntnis, dass die „braune Brut“ mit dem Untergang des Dritten Reiches keinesfalls ausgerottet war, von der Auswanderung abhalten. Die Kommunisten als konsequenteste Gegner des Faschismus schienen ihm für den Kampf gegen die Überreste der Nazizeit eine geeignete politische Heimstatt zu sein. Gerade einmal 14-jährig fand er in ihre Reihen. Die Verbindung hielt bis 1957, dann hatte er „die Lüge, die Diskrepanz zwischen Wahrheit und Propaganda“ erkannt; sein Buch „Die Partei hat immer Recht“ wurde eine scharfe Abrechnung mit dem Stalinismus. Apropos Schärfe: Sie gehörte zu seinen Markenzeichen – bis hin zu seinem letzten Kampf, der dem islamischen Fundamentalismus galt und in dem er auch den Islam als Religion aufs Korn nahm, weil er der Auffassung war, dass in dessen Rahmen dem Menschen und seinen Rechten Gewalt angetan werde. Das brachte ihm viel Kritik bis hin zu dem Vorwurf ein, nun betreibe er das Geschäft der Neonazis: Giordano begegnete seinen Kritikern mit zum Teil schriller Polemik. Als perfide empfand er allerdings auch den Versuch der rechtsextremen „Pro Köln“-Rattenfänger, ihn mit seinem Verdikt gegen Burka und Tschador als Kronzeugen zu vereinnahmen. Seine Zurückweisung fiel entsprechend aus: „Diese Leute würden mich, wenn sie könnten, wie sie wollten, in die Gaskammer stecken.“
Dem Maßstab, den er selbst formuliert hatte und dem er stets treu geblieben ist, lautete: „Die humanitas ist unteilbar.“

Gabriele Muthesius

Turbulenzen im Königreich Schweden

Das ruhige und harmonische Schweden ist plötzlich in eine schwer zu bewältigende politische Krise geraten. Hintergrund ist die Reichstagswahl zum Parlament vom September 2014. Nach acht Jahren einer Rechts-Mitte-Regierung, bestehend aus vier Parteien der sogenannten Allianz, verlor diese fast 11 Prozent. Am stärksten waren die Verluste bei der Partei, die auch den Ministerpräsidenten stellte, der konservativen Partei (moderaterna). Die rot-grüne Opposition bekam davon aber fast keine Stimmen. Die Sozialdemokraten gewannen 0,5 Prozent dazu, die Linkspartei 0,1 Prozent. Der Sieg ging an die nationalistische und einwanderungsfeindliche Partei der Schwedendemokraten (SD), die mit 13 Prozent Zuwachs die drittgrößte Partei Schwedens wurde. Eine Regierungsbildung war fast unmöglich. Weder der rechte noch der linke Block hatten eine Mehrheit. Darüber hinaus hatten alle Parlamentsparteien im Wahlkampf verkündet, dass jegliche Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten nicht in Frage kommen würde. Eine fast unmögliche Situation bei dem Ergebnis! Daraufhin ergriffen die Sozialdemokraten (SAP) die Initiative und bildeten eine Zweiparteienregierung zusammen mit den Grünen (MP). Diese Minderheitsregierung wurde vom Parlament bestätigt, aber die große und bedeutende Frage des Haushaltes wurde auf den 3. Dezember 2014 vertagt. Bei der Abstimmung über den Haushaltsplan stimmten die Schwedendemokraten für den Vorschlag der Rechts-Mitte-Allianz und der Etatvorschlag der Regierung verlor selbstverständlich. Jetzt hat Schweden eine sehr schwache linke Regierung – ohne Mehrheit – die ein Land „regieren“ soll mit einem Haushalt der Opposition. Nach einer kurzen Bedenkzeit rief der sozialdemokratische Ministerpräsident Stefan Löfvén Neuwahlen für den 22. März 2015 aus.
Werden die Neuwahlen deutlichere Mehrheitsverhältnisse schaffen? Kürzlich durchgeführte Umfragen deuten auf ein Wahlergebnis hin, das kaum Verschiebungen zeigt. Manche Kommentatoren meinen, dass die Neuwahlen den Schwedendemokraten weitere Unterstützung bieten werden. Wie wird dann die Regierungsfrage gelöst? Vielleicht kommt dann zum ersten Mal in der Geschichte Schwedens eine sogenannte große Koalition zwischen den Sozialdemokraten und ihrem alten „Hauptgegner“, den Konservativen, zustande. Das ist auf jeden Fall der jüngste Vorschlag in den Spekulationen – in einem Fernsehbeitrag von dem langjährigen (1996-2005) Ministerpräsidenten Göran Persson ausgesprochen. Mit einem weiteren Zug im „Spiel“ drohen die Schwedendemokraten, indem sie erklärten, gegen jeden Haushaltsvorschlag, der keine Einschränkung der Einwanderung nach Schweden enthält, stimmen zu wollen. Das Königreich Schweden ist also nicht mehr das friedliche und tolerante Land, das Kurt Tucholsky auf der Flucht vor den Nazis fand, als er sich in der kleinbürgerlichen Stadt Mariefred niederließ. Dort befindet sich auch sein Grab, das von vielen Deutschen besucht wird.

Åke Wilén, Stockholm

Übersetzung: Gaby M. Oelrichs.

Gefühlter Wohlstand

„Wiesbaden – Jeder fünfte Einwohner Deutschlands war 2013 von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Das entspricht rund 16,2 Millionen Menschen beziehungsweise 20,3 Prozent der Bevölkerung, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Dienstag aus der Untersuchung ‚Leben in Europa 2013’ berichtete. Im Jahr 2012 habe der Wert bei 19,6 Prozent gelegen, 2008 bei 20,1 Prozent. Damit ist der Wert leicht gestiegen. EU-weit waren den Angaben zufolge 24,5 Prozent der Bevölkerung arm oder sozial ausgegrenzt – deutlich mehr als in Deutschland. Zur Berechnung werden drei Kriterien herangezogen: die Armutsgefährdungsquote, die Haushalte mit sehr geringer Erwerbstätigkeit sowie Bürger, die sich materiell sehr einschränken müssen. Als arm oder sozial ausgegrenzt gilt eine Person dann, wenn eines oder mehrere der drei Kriterien zutreffen.“ Dies ist die zitierte Meldung von Spiegel-Online zu der aktuellen Verlautbarung des Statistischen Bundesamtes. Es wird die Kanzlerin in ihrer Weihnachts- und/oder Neujahrsansprache gewiss nicht an der Feststellung hindern, dass es Deutschland so gut gehe wie noch nie, dass die Beschäftigungszahlen so hoch sind wie (fast) noch nie und dass wir auf einem guten Weg sind… Auch wenn die gleichnamige TV-Sendung nun verblichen ist: Wetten dass?

Helge Jürgs

Film ab

Es soll Zeitgenossen geben, die jeder neuen Staffel der formidablen britischen Kostümserie „Downton Abbey“ nur wegen der zweifachen Oscarpreisträgerin und von Elisabeth II. 1990 überdies in den Ritterstand erhobenen Maggie Smith entgegenfiebern. Die Aktrice gibt die Rolle der exzentrischen, ebenso blasierten wie selbstironischen Violet Crawley – eine Mischung, die so britisch ist wie Big Ben oder die häufig von Witzbolden vorgenommene Verunstaltung des Nelson-Denkmals auf dem Trafalgar Square. Für diese Zeitgenossen dürfte „My Old Lady“ ein besonderes Vergnügen sein, denn hier hat Maggie Smith einen ganzen Film für ihre Darstellungskunst – zusammen mit Kevine Kline und einer ebenfalls hinreißenden Kristin Scott Thomas. Zum Wiederansehen per DVD empfohlen: der tief berührende Streifen „So viele Jahre liebe ich dich schon“ von 2008 mit ihr in der Hauptrolle.
In „My Old Lady“ wird zu einem frühen Zeitpunkt konstatiert: „Wenn Sie wirklich denken, die Dinge stehen schlecht – dann kommt es schlimmer.“ Dass es so kommen kann, liegt in diesem Fall vor allem an viager. Der Begriff bezeichnet eine lebenslange Leibrente – ist aber de facto eine zwar gesetzeskonforme, doch gleichwohl makabre Wette. Auf die Lebensdauer des „Rentners“. Der nämlich verkauft seine Eigentumswohnung gegen lebenslanges Wohnrecht und einen monatlichen Festbetrag, den der neue Wohnungseigentümer bis zum Tod des Alteigentümers zu entrichten hat. Erst danach kann der neue Besitzer frei über sein Eigentum verfügen. Das kann – aus Sicht des Zahlungspflichtigen – furchtbar in die Hose gehen. Der berühmteste Fall ist der der Jeanne Calment, die 1997 im Alter von 122 Jahren und 164 Tagen starb. Sie hatte als 90-Jährige ihre Wohnung gegen Zahlung einer Leibrente von 2.500 Francs pro Monat an den 47-jährigen Rechtsanwalt Andre-François Raffray verkauft. Der kam jedoch nicht in den Genuss seiner Immobilie, weil er – nach dreißig Jahren viager – nicht nur vor der Alteigentümerin verstarb, sondern bis dahin mit rund 900.000 Francs auch noch bereits den dreifachen Marktpreis der Wohnung berappt hatte. Seine Witwe musste die Rentenzahlungen fortsetzen.
Im Film kommt es nicht ganz so arg. Was nicht an den vielen stimmungsvollen Bildern von Paris liegt, mit denen der Film zwischendurch immer wieder aufwartet, aber viel mit einem der schönsten Komplimente zu tun hat, die je einer reiferen Frau gemacht wurden:
Sie: „Ich bin nicht schön, ich bin fast alt.“
Er: „Eine perfekte Blume ist – fast alt.“
Scott Thomas und Kline waren schon einmal ein Hauptdarstellergespann – in „Das Haus am Meer“ von 2001. Damals war’s sentimentaler Gefühlskitsch. Das ist es dieses Mal mitnichten.

Clemens Fischer

„My Old Lady“, Regie: Israel Horovitz; derzeit wohl nicht mehr in den Kinos, aber in Kürze auf DVD und in guten Videotheken.

Das Stück vom Glanz

Das Entreé-Bild hat es in einem doppelten Sinne in sich: Die Seitentür des Bruckner-Foyers im Berliner Renaissance-Theater öffnet sich mit einem lauten Krachen. Herein fegt, nein fliegt Doris, mit vollgestopften Plastiktüten bepackt: „Ich will den Glanz!“ – und sie findet Halt erst in der ersten Tischreihe des erschrockenen Publikums. Das ist mutig, denn es gibt ein Spieltempo vor, das man durchhalten muss, wenn die folgenden anderthalb Stunden nicht in einem Fiasko enden sollen. Das ist mutig, weil dieses Hereinplatzen etwas von „Platz da, jetzt komme ich!“ hat – es ist eine Ansage. „Ich heiße Doris und bin getauft und christlich und geboren vor 18 Jahren. Ich will so ein Glanz werden, der oben ist!“ Ja, es ist „Das kunstseidene Mädchen“ nach Irmgard Keuns Erfolgsroman aus dem Jahre 1932, das im Haus an der Hardenbergstraße gegeben wird. Die großartige Katherina Lange hat die Doris hier in einer Textfassung von Volker Kühn seit 2003 über 150 Mal gespielt. Was heißt gespielt: Die Lange war eine kongeniale Doris. Am 9. Dezember übernahm Antonia Bill. Carsten Golbeck schuf eine neue Textfassung und inszenierte auch. Rainer Bielfeldt (am Klavier) schrieb die Musik. Natürlich wäre es für ein auch im Neuen das Gewohnte suchendes Publikum schmeichelhafter gewesen, die Melodien von Heymann, Spoliansky und Weill aufleuchten zu lassen – Applaus, das kennen und mögen wir schließlich… Golbeck und Bielfeldt gehen das Wagnis ein, aus den Textvorgaben der Keun scheinbar bruchlos ihre Chansons zu entwickeln. Und die bilden eine Brücke in das Heutige: „Ich wurde ein lachendes Weinen“, das „Chanson von den Kursen“. Das funktioniert wider Erwarten und wirkt mitnichten aufgesetzt. So wie der Keunsche Text auch: „Es ist furchtbar billig zu leben, wenn man reich ist.“ Aber Doris ist nicht reich, sie ist ein armes Luder und geht „mit Männern, um zu überleben“. Und das alles hat eine Grundierung, die so bösartig ist wie die Geschichte des Franz Biberkopf in „Berlin Alexanderplatz“. Es ist dieselbe Zeit, es ist dieselbe Gegend. Die Gegend ist geblieben, die Zeit erfuhr ein böses Wiedererwachen. Antonia Bill gibt die Doris mit all der Naivität und Skrupellosigkeit, die in dieser Figur angelegt ist. Diese Person kann abgrundtief böse sein – und wenige Momente später unser Herz zu Tränen rühren! Die Bill ist eine kongeniale Doris. Den Namen wird man sich merken müssen.
„Das kunstseidene Mädchen“ ist als List-Taschenbuch erhältlich.

Günter Hayn

Wieder am 13. Januar 2015.

WeltTrends aktuell

Südkorea steht geografisch und politisch im Zentrum einer der spannungsreichsten Regionen der Welt. Nicht nur zwischen Nord- und Südkorea verlaufen die Konfliktlinien, auch zwischen Südkorea und Japan und nicht minder zu China sind die Spannungen erheblich. Regional übergreifende Strukturen zur Konfliktprävention gibt es kaum. Diesem komplexen Beziehungsgeflecht widmet sich das Thema der Ausgabe. In der Rubrik Streitplatz wird die Frage nach dem Umgang mit der religiösen Hybris „Islamischer Staat“ gestellt. Im Forum wird die Debatte über die deutsche Außenpolitik weiter fortgeführt. Unter anderem geht Wilfried Schreiber, auch Autor des Blättchens, der Frage nach „Mehr Verantwortung – wofür und womit?“. Sein Fazit: „Mehr deutsche Verantwortung wird sich vor allem daran zeigen müssen, dass außenpolitisches Handeln von der primary ratio der Krisenverhinderung bestimmt wird und nicht von der ultima ratio eines Militäreinsatzes. Die Erfahrungen aller militärischen Interventionen der NATO oder beliebiger ‚Koalitionen von Willigen’ in den vergangenen 25 Jahren bezeugen die begrenzten Fähigkeiten von Militär bei regionalen Krisen. Eine Außenpolitik, die verstärkt auf die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt setzen will, wird keine Chance auf Erfolg haben – weder für Deutschland noch für die Europäische Union, und auch nicht für die USA und andere Großmächte.“

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WeltTrends. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 99 – November / Dezember 2014 (Schwerpunktthema: Südkorea und seine Nachbarn), Potsdam / Poznan, 9,50 Euro (für Bezieher des Newsletters: 6,- Euro) plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

Blätter aktuell

Nicht erst der jüngste Krieg gegen den Gazastreifen hat gezeigt, wie dramatisch die Lage in Palästina ist. Vor allem die israelische Besatzungspolitik verhindert das würdevolle Zusammenleben beider Völker. Eva Senghaas-Knobloch, Professorin für Arbeitswissenschaft an der Universität Bremen, sieht dennoch Anzeichen einer Annäherung von unten – von israelischen Soldaten, die sich gegen die verordneten Schikanen wehren, bis zu palästinensischen Initiativen, die sich für Frieden und Dialog einsetzen. Während die Terrororganisation »Islamischer Staat« weiter Angst und Schrecken verbreitet, ist für westliche Beobachter oft unklar, was diese konkret mit dem Islam verbindet – oder eben gerade nicht. Katajun Amirpur, Professorin für Islamische Studien und Mitherausgeberin der Blätter, vertritt die These, dass die Ideologie des IS die islamische Tradition völlig ignoriert. Die Gleichsetzung des Islam mit Gewalt – durch die Krieger und ihre Kritiker – zeuge von einem Fundamentalismus des Wortes. Zehn Jahre nach Einführung der Hartz-Reformen folgt nun endlich das, was deren Kritiker seit Langem fordern – der gesetzliche Mindestlohn. Doch wie wirksam ist dieser tatsächlich, um Armut zu bekämpfen? Christoph Butterwegge, Professor für Politikwissenschaft, kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Der Niedriglohnsektor wird bloß auf höherem Niveau zementiert – durch zu viele Ausnahmen von einem ohnehin zu niedrigen Mindestlohn.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Von Primark bis Hugo Boss: Geschäfte ohne Skrupel“, „IKEA: Zahlst Du noch oder hinterziehst Du schon?“ und „Die Mär vom unpolitischen Hooligan“.

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Januar 2015, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

Kein Spiel zuviel

Sie ist bisher die einzige Schriftstellerin, von der ich jeden Roman gelesen habe. Diese literarische Dauerliaison datiert zurück in die DDR, in der einige ihrer Titel erschienen sind. Andere führte ich von Dienstreisen in westelbische Gegenden illegal ein …
Ihr Erstseller, „Ein Spiel zuviel“ (1962), nebenberuflich – sie war seinerzeit Beamtin im der staatlichen Krankenhausverwaltung – verfasst, beginnt mit dem Satz: „Genau drei Monate vor dem Mord in Martingale hatte Mrs. Maxie eine Abendgesellschaft gegeben.“ Das war möglicherweise nicht der erste Satz der britischen Kriminalliteratur, aber er war programmatisch genug, und was – meist mit der Zentralgestalt des Scotland-Yard-Ermittlers Adam Dalgliesh, der in seiner Freizeit als Lyriker reüssiert, – folgte, ließ den jeweils nächsten Roman bei ihrer schnell wachsenden Fangemeinde immer mit Spannung erwarten. Als in zwei Fällen eine Privatdetektivin mit- („Ein reizender Job für eine Frau“, 1972) und später auch allein („Ende einer Karriere“, 1982) ermittelte, erhöhte das den Reiz eher noch. Zumal die Werke die Kriterien des Genres Gesellschaftsroman jeweils ebenso wie die des Krimis aufs Vorzüglichste erfüllten, so dass der Leser stets auch Einblicke in die Verhältnisse und ihre Verwerfungen im Vereinigten Königreich gewann.
Im Jahre 2009 – gerade war ihr Roman „Ein makelloser Tod“ auf Deutsch erschienen – hatte sie einem Hamburger Nachrichtenmagazin auf die Frage, ob dies, wie ihre Fans befürchteten, ihr letztes Werk gewesen sein könnte, geantwortet: „Es ist tatsächlich möglich, dass nichts mehr kommt. Ich werde schließlich 89. Mir ist es wichtig, dass ich das Niveau halte. Es gibt zu viele Beispiele von Autoren, die weitergeschrieben haben, obwohl sie es besser nicht getan hätten.“ Und dann toppte P(hyllis). D(orothy). James sich selbst. 2011 legte sie mit „Der Tod kommt nach Pemberley“ eine Fortsetzung von Janes Austens „Stolz und Vorurteil“ als Krimi vor, der den Stil und den Ton des Originals in kongenialer Weise aufnahm. P. D. James hat Jane Austen tief verehrt und deren Werke häufig wiedergelesen. Zu ihrem Sequel sagte sie: „Mir gefällt die Idee, ein Buch in Pemberley anzusiedeln – sechs Jahre nach der Heirat von Elizabeth und Darcy. Und mir gefällt die Idee, Mord nach Pemberley zu bringen.“
Das ist ihr einmal mehr auf anbetungswürdige Weise gelungen. Für ihre weltweite Lesergemeinde bestätigte die Baroness James of Holland Park, als Life Peer seit 1991 Mitglied des House of Lords, damit allerdings nur ihren längst erworbenen Ruf als Her Majesty, the Queen of Crime – in würdiger Nachfolge von Agatha Christie und Dorothy L. Sayers. Dafür sieht ein bekennender Linker wie der Autor ihr selbst ihr politisches Engagement als lebenslanges Mitglied der britischen Konservativen mit Vergnügen nach.
P. D. James starb am 27. November 2014 im Alter von 94 Jahren in ihrem Haus in Oxford.

Alfons Markuske

Freedom and democracy

Einer Umfrage des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Pew zufolge befürworteten 51 Prozent der Befragten die sogenannten verschärften Verhörmethoden der CIA, weltweit gemeinhin als Folter qualifiziert. Nur 29 Prozent haben die Misshandlungen abgelehnt. Aber Mehrheit ist Mehrheit, und realisierte, zumal freiheitliche Mehrheitsmeinung ist praktizierte Demokratie, und Praktizierer wie George W. Bush und Dick Cheney sind lupenreine Demokraten, oder?

HWK

Pianomusik als meditatives Gedankenkino

Schlimmer die Lieder nie klingen
Als in der Weihnachtszeit.
Man würde am liebsten wegspringen –
Die Schleimspur im Ohr ist breit.

Wer in den Tagen und Wochen des hemmungslosen Konsumierens in der Vorweihnachtszeit sich aus den Fängen der akustischen Dauerbeschallung und der sensorischen Deprivation befreien will, kann beispielsweise mit einem Glas Wein und einer guten CD die glühwei(h)nachtliche Sinnesvernebelung auflösen. Das Ozella Label hat hierzu ein passendes musikalisches Kontrastprogramm aufgelegt. „The Magic & The Mystery“ ist eine Zusammenstellung instrumentaler Titel überschrieben. Sie enthält dreizehn als „Ballads & Lullabies“ bezeichnete Stücke von überwiegend skandinavischen Piano Trio Bands im Jazzbereich.
Es sind fast ausschließlich Eigenkompositionen. Auch das David Bowie-Coverstück „Life on Mars“ in der Version des Eivind Austad Trio fügt sich gut in diese Anthologie ein. Das jeweils dominierende Piano changiert zwischen ruhigen und verträumten, verhaltenen und eher beschwingten Tönen. Und die ergänzenden Musikinstrumente, meistens Bass und Schlagzeug, stehen hierzu in Ergänzung oder auch in bewusstem Kontrast, so dass als Effekt beim Zuhörenden keine süßliche Wohlgefälligkeit, sondern nachdenklicher Ohrenschmaus entsteht. Somit geben diese akustischen Anreize Anlass für ein meditatives Gedankenkino im Kopf … und das nicht nur zur Weihnachtszeit.

CD „The Magic & The Mystery of the Piano Trio – Ballads & Lullabies“, Ozella Label 2014, zirka 16 Euro.

Thomas Rüger