16. Jahrgang | Nummer 25 | 9. Dezember 2013

Bemerkungen

Es gab keine Zensur in der DDR!

Am 27. November präsentierte die Tageszeitung junge welt dem DDR-Kulturpolitiker und Publizisten Klaus Höpcke ein Geburtstags-Präsent, das sie auch in Höpckes Interesse besser der Selbst-Zensur hätte unterziehen sollen. Unter der Überschrift „Formblatt reicht“ druckte sie einen Auszug eines Vortrags Höpckes ab, den dieser 2007 in einer Schriftenreihe des „Helle Panke e.V.“ veröffentlichte. Klaus Höpcke äußert sich darin zur Buchzensur in der DDR – als Chef der „Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel“ im Ministeriums für Kultur von 1973 bis 1989 ist er der wohl profundeste Kenner dieser Materie. Er selbst ließ sich gern die Bezeichnung „Bücherminister“ gefallen, seine Kontrahenten nannten ihn Oberzensor und verließen den Raum, wenn er in einem hauptstädtischen Café auftauchte. Die Wahrheit liegt wohl – wie so oft – irgendwie in der Mitte. „Zensur“ gab es laut Höpcke eigentlich nicht, es gab „Druckgenehmigungspraktiken“. Was diese zur Zensur machte, meint der Chef der Zensoren, „war die Einreichung von Manuskripten an eine zentrale staatliche Stelle“.
Aber klar doch, man wollte ja nur das devisenträchtige Druckpapier gerecht verteilen, Konkurrenz zwischen den Verlagen vermeiden und die literarische Qualität verbessern helfen… Dass Höpcke die von ihm anderthalb Jahrzehnte lang mit zu verantwortende Praxis nur mit dem Weichzeichner in einem sehr milden Licht abzubilden vermag muss er mit sich selbst ausmachen. Ein gehöriges Stück Chuzpe ist allerdings, dass er sich selbst gleichsam zum Abschaffer der Zensur ernennt – Klaus Höpcke behauptet nicht mehr und nicht weniger, als „dass die Abschaffung der Buchzensur in der DDR ein Jahr vor dem 89er Herbst beraten, beschlossen und in Kraft gesetzt wurde.“ Die junge welt druckt diesen Unsinn auch noch ab.
Richtig ist, dass Höpcke am 12. Oktober 1988 auf einer internen Sitzung des Schriftstellerbandes eine Veränderung der Zensurpraxis seines Amtes mitteilte: Die „Druckgenehmigungsvorgänge“ durch die Hauptverwaltung – von etwas anderem sprach er nicht – sollten sich künftig auf einen „bestätigten Themenplan“, die „Begründung des Verlages für die Veröffentlichung des betreffenden Titels“ und ein Formblatt zur Erteilung der Druckgenehmigung reduzieren. Das wäre die Einführung einer„Zensur light“ gewesen. Der Bär wollte sich den Pelz waschen ohne selber nass zu werden. Einen ähnlichen Trick versuchte Egon Krenz ein Jahr später mit dem Entwurf eines Passgesetzes, um den Ausreisedruck etwas zu mildern. Beide schürten damit den Zorn der Betroffenen eher noch an.
Klaus Höpcke ist ein guter Kenner Heinrich Heines. Wir empfehlen ihm Kapitel 12 des „Buches Le Grand“. Das besteht nur aus vier Wörtern – der Rest sind Striche: „Die deutschen Zensoren — Dummköpfe —“. Heine-Kenner unter den DDR-Autoren liebten diese Schrift.

Wolfgang Brauer 

Drei Russenstücke

Die „Welt“-Autorin Jenny Hoch hat sich erst jüngst durch die Sachkenntnis unsterblich gemacht, mit der sie – die grade mal über 30-Jährige und westelbisch sozialisierte (für beides kann sie freilich nichts)  – sich als Besucherin der Berliner Ausstellung „Alltag in der DDR“ in der Kulturbrauerei als journalistische  Konkursverwalterin der selig entschlafenen DDR qualifiziert. Hoch, die altersbedingt die Springerschen Gänsefüßchenzeiten nicht bewusst miterlebt haben kann, in denen man Begriffe wie Sozialismus oder gar DDR pflichtgemäß umzingelte, hat nun  also auch die Inszenierungen der neuen Spielzeit im Berliner Maxim-Gorki-Theater besucht. Was sie über den Dreierpack russischer Bühnenautoren schrieb, sei hier unbenommen, da – vermutlich korrekt, soweit Theaterrezensionen ein solch objektivierendes Attribut überhaupt zuzuschreiben ist. Interessanter ist die dreifach gebrauchte Wortwahl der „Russen-Stücke“. Gewiss, Anton Tschechow war Russe, und Olga Grjasnowa wie Marianna Salzmann sind zumindest in der UdSSR aufgewachsen. Indes: Würde Frau Hoch je auf die Idee kommen, in einem vergleichbaren Fall von Ami-Stücken zu reden, von Chinesen-Stücken, Franzosen-Stücken oder gar Juden-Stücken? Aber nein, soviel Verständnis von Sprachwirkung wird sie wohl haben. Ebenso, wie sie zugleich den Gebrauch der „Russenstücke“ ihrerseits als herablassend abwertend gewiss dementieren würde.
Respekt, Axel Cäsar Springer samt nachfolgenden Adepten: Ihre Saat war höchst fruchtbar. Jenny Hoch ist dafür lediglich ein gelinder Beleg.

Heinz W. Konrad

Medien-Mosaik

Knut Elstermann (geboren 1960), Radio-Journalist und Filmfachmann, lässt uns nach und nach an seiner Kindheit und Jugend teilhaben. Wir erfuhren vom Schicksal seiner Tante („Gerdas Schweigen“), konnten nachvollziehen, welche DEFA-Kinderfilme ihn warum beeinflussten („Früher war ich Filmkind“) und gingen mit ihm noch einmal aufs Berlinische Gymnasium zum Grauen Kloster („Klosterkinder“). Seine Schilderungen waren von Selbstbespiegelungen weit entfernt, erlaubten einen Blick in die Geschichte, griffen soziale Probleme und politische Verhältnisse auf. Immer aber schrieb Elstermann sehr persönlich und offen. So ist es auch in seinem neuen Buch, in dem wir erfahren, dass er als Sohn eines Volkspolizisten in der Winsstraße aufwuchs – dort, wo der Berliner Prenzlauer Berg am typischsten war. Da geht es auch um Stadtgeschichte und Architektur, aber vor allem darum, wie die Menschen hier lebten. Elstermann hat Bewohner der Winsstraße aufgesucht – solche, die noch von früher erzählen können, und solche, die sich erst in den letzten Jahren hier eingerichtet haben. Da klingt dann auch das bittere Thema Gentrifizierung an. Alle Gesprächspartner charakterisiert er als genauer Beobachter mit Respekt und Sympathie. Dass sich der Autor immer selbst mit einbringt, ist ein großer Gewinn. Von der TV-Ansagerin Monika Unferferth, die er eigentlich als Zeitzeugin befragen wollte, erfährt er Geheimnisse aus seiner Familie, die ein kleines Erdbeben auslösen. Wenn der Verlag seine Reihe „Berliner Orte“ mit diesem Niveau weiterführt, kann es eine Erfolgsgeschichte werden.
(Knut Elstermann, Meine Winsstraße, be.bra verlag 2013, 144 Seiten, 9,95 Euro)

*

Gerade in der Adventszeit hat man Empathie für die Mitgeschöpfe. Da kommt das Hörbuch „Tierisch komisch“ gerade recht. Ulla Mothes und Corinna Zimber zeichnen für die Regie (und wahrscheinlich auch für die Auswahl) verantwortlich. Christian Morgenstern, für den sich Sprecherin Eva Mattes begeisterte, kommt besonders oft zu Wort, und natürlich darf Ringelnatz nicht fehlen. Wenn Johannes Steck den Seemann Kuddeldaddeldu das Märchen vom Rotkäppchen erzählen lässt, kommt keine andächtige Stimmung auf. Zum Glück! Ein Ohrenschmaus, wenn Walter Kreye, der auch E.T.A. Hoffmanns Kater Murr zu Worte kommen lässt, Tucholskys Katz aus Insterburg eine Stimme verleiht. Konrad Beikircher erinnert mit dem Text über Hahn und Wurm an den zu Unrecht vergessenen Hermann Harry Schmitz. Und wenn Mutter und Tochter Thalbach Claudius oder Aesop interpretieren, hört man gern zu. Ein Hörbuch für Winterabende!
(CD Tierisch komisch, audiobuch 2012, 67 min., 14,95 Euro)

bebe

Bittersüße musikalische Botschaften

Mara von Ferne und David Sick haben sich vor knapp acht Jahren an der Dresdener Hochschule für Musik in Dresden kennengelernt. Als musikalisches Duo „Mara & David“ haben sie nun ihr drittes Album mit dem Titel „Call it Freedom“ herausgebracht.
Ihre Musik wirkt beim ersten Hören sehr karg – sie reduziert sich auf Maras Stimme und auf Davids Akustikgitarre. Doch in dieser bewussten Reduktion zeigen sie eine enorme musikalische Bandbreite. Maras Gesangskunst lässt zerbrechliche wie trotzige Töne erklingen, David entlockt seiner Gitarre filigranes Fingerpicking wie auch percussive Elemente.
In ihren Liedern tauchen autobiographische Erinnerungen („Cherry Tree“ als kindlicher Zufluchtsort) genauso auf wie aktuelle Zeitansagen („Call it Freedom“ als Anklage gegen verlogene Freiheitsmissionen, die nur den exklusiven Wohlstand einiger privilegierter Nationen bewahren sollen).
Die Eigenkompositionen werden durch zwei Stücke anderer Musikgruppen ergänzt: das hymnische „Glory Box“ (im Original von Portishead) und „Sweet Lies“, das in der ursprünglichen Version von Fleetwood Mac vor über zwei Jahrzehnten als klebrig-süße Soße aus dem Radio tagtäglich entströmte; befreit von unnötigem musikalischen Ballast schält sich die bittersüße Kernbotschaft dieses Liedes heraus.
Dass das Leben schlechthin manch unglaubliche Ambivalenz bereithält, müssen die beiden Musiker an sich selbst erfahren. Ihre gemeinsame musikalische Karriere findet einen paradox anmutenden Kontrapunkt in ihrer beider Kampf um ihre Sehfähigkeiten. Während Maras Sehnerv von einem mysteriösen Tumor geschädigt wurde, muss David sich damit abfinden, auf Grund einer seltenen Erbkrankheit sukzessive sein Augenlicht zu verlieren. Ob bewusst oder unbewusst – das Thema „Sehen“ taucht, teilweise als Metapher, auch in ihren Stücken immer wieder auf.
In dem Lied „What is there“ heißt es:

I open my eyes
Something has changed
There’s a scent of flowers
And a cat in the hallway…
Und in dem wütend vorgetragenen Song „Breakdown“ findet sich der Refrain:
We stand at the brink and we try not to fall
Blood on our hands and our hopes on the line
We all know the breakdown is coming
Though we don’t know when
We all see the signs.
Mara & David nehmen ihre Umwelt viel bewusster auf als die meisten „Normalsehenden“.

Thomas Rüger

Gesundheit leicht gemacht

Gesundbleiben oder – werden ist dank des opulenten Angebotes der Pharmaindustrie – televisionär vornehmlich vor und während der Vorabendserien den dort versammelten Siechen vermittelt – eigentlich keine Kunst mehr. Dennoch ist es angeraten, der Perfektionierung auch dieses Vorgangs hinreichend Aufmerksamkeit zu widmen. Läuft man doch durch die vielen Analogangebote diverser Firmen Gefahr, sich vorschnell für suboptimale Offerten zu entscheiden. Das kostet nicht nur zu viel Geld für zu wenig Wirksamkeit, es leistet auch gesundheitlich nicht maximal das Erwünschte. Dem allem lässt sich aber entgehen, wenn man darauf achtet, dass die Wirkung der angebotenen Drogen 1.auf mindestens einer Drei- bis Vierfachwirkung beruht, sie 2. wenigstens 17 Minuten schneller erfolgt als bei vergleichbaren Medikamenten, sie 3. zwei Wochen länger anhalten als herkömmliche Offerten und – nun kommst: über mindestens 70 Prozent Inhaltsstoffe (!) verfügen und schon deshalb von 92 Prozent aller Anwender nachweislich geschätzt werden. Gar nicht so schwer, oder? Zumal die Pharmaindustrie informell hilft, wo sie kann.

HWK

Reich gespart

Im November dieses Jahres habe ich meine lange schwelenden Vorurteile endlich überwunden und es getan: ich habe massiv gespart. Und zwar durch massive Käufe. Von Schnäppchen. Einige Beispiele:
Vier verschiedene  Kosmetikartikel  habe ich für 14,90 statt 40 Euro bekommen. Ein 15er Pack hochwertiger schwarzer Socken hat mich lediglich 19,99 statt 74,95 Euro gekostet. Ein Herrenchronograph mit massivem Edelstahlgehäuse und gehärtetem Mineralglas ist für 99 statt 239 Euro in mein Eigentum übergegangen. Für eine langersehnte Ballonfahrt (mit Sekt und Urkunde!) habe ich lediglich 119 statt 299 Euro ausgegeben. Und da ich nicht nur an mich allein denke: Ein viertägiger Familienurlaub (all inclusive!) in Thüringen kostet mich und meine Lieben schlappe 239 statt 490 Euro …
Dies sind wie gesagt nur Beispiele. Rechne ich all meine Schnäppchen dieses Novembers zusammen, komme ich auf eine Ersparnis von sage und schreibe 6.455,46 Euro. Das ist ein Haufen Moos, und dass es sich dafür gelohnt hat, hemmungslos einzukaufen, sollte nun auch besonders misstrauischen Mitmenschen plausibel werden.
Bleibt nun die Frage, wie ich diese Ersparnis gewinnbringend anlege. Da es derzeit nahezu keinerlei Zinsen mehr auf das gibt, was man zur Bank trägt, wird es wohl das Beste sein, das ersparte Geld solange für weitere Schnäppchenkäufe einzusetzen bis es zinsmäßig mal wieder anders kommt.

Hella Jülich

Blätter aktuell

Kein anderes Ereignis in diesem Jahr hatte derartige Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen wie die Enthüllungen Edward Snowdens. Erstmals veröffentlicht wurden sie Anfang Juni im britischen „Guardian“. Dessen Chefredakteur Alan Rusbridger zeichnet minutiös nach, mit welchen Mitteln Regierung und Geheimdienste die Presse seither einschüchtern. So entsteht das Bild einer regelrechten Schlacht mit polizeilichen und medialen Mitteln – zwischen dem Sicherheitsestablishment und den britischen Medien.
Mit dem Antritt Barack Obamas als US-Präsident im Jahr 2008 versprach sich die Welt eine Abkehr von der Außenpolitik seines Vorgängers George W. Bush. Ein fataler Irrtum, denn der Krieg gegen den Terror geht weiter, wenn auch mit fundamental anderen Mitteln – so die These von Joscha Schmierer, langjähriger Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amtes. Drohnen, Virenprogramme und globale Ausspähung stünden für den Versuch Obamas, den asymmetrischen in einen symmetrischen Krieg zu verwandeln.
Effizienzrevolution und grünes Wachstum sind die Schlagworte der Stunde – auf den Klimagipfeln von Rio bis Warschau. Dennoch steigt der Ressourcenverbrauch unvermindert an. Der Soziologe Tilman Santarius bringt gegen die Illusion der Green Economy den Rebound-Effekt in Stellung. Dieser belegt, dass bisher jede Produktivitätssteigerung nicht zu einem Rückgang, sondern zu einer Steigerung des Konsums geführt hat.
Dazu weitere Beiträge – darunter: „Familie ist kein Stillleben“, „Der ‚Fall Eschenburg‘: Die Bankrotterklärung der Politikwissenschaft“ und „Mexiko und die Logik des Drogenkrieges“.

am

Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Dezember 2013, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet: www.blaetter.de

Aus anderen Quellen

Die Informations- und ganz speziell die Internet-Industrie (Synonym: Silicon Valley) schafft es immer wieder, ihre „Kritiker als Maschinenstürmer abzutun, die sich gegen ‚Technologie‘, ‚Information‘ oder ‚das Internet‘ wenden“. Evgeny Morozow hinterfragt dieses Phänomen: „Woran können Sie die ‚digitale Debatte‘ erkennen? Schauen Sie nach Argumenten, die sich auf das Wesen der Dinge berufen – das Wesen der Technologie, der Information, des Wissens und natürlich des Internets. Wenn Sie jemanden sagen hören: ‚Dieses Gesetz ist schlecht, weil es das Internet zerstört‘, oder: ‚Dieses neue Gerät ist gut, weil die Technologie es verlangt‘, dann wissen Sie, dass Sie den Bereich des Politischen verlassen haben und in den Bereich schlechter Metaphysik geraten sind. […] In diesem Bereich verlangt man von Ihnen, sich fürs Wohlergehen digitaler Phantomgüter einzusetzen, die doch nur für die Unternehmensinteressen stehen.“.
Evgeny Morozow: Warum man das Silicon Valley hassen darf, FAZ.NET, 10.11.2013. Zum Volltext hier klicken.

„Wie ein Bumerang fliegen die Lügen der Nachkriegszeit gerade zurück“, meint Julia Voss. Sie nimmt die Affäre im die vermeintlich überraschend aufgetauchte Kunstsammlung Gurlitt zum Anlass, um über eine der Gründungslegenden der alten Bundesrepublik zu schreiben: 1949 hatte die sich unter anderem beginnend mit einer groß angelegten Ausstellung über die von den Nazis verfemte Künstlergemeinschaft „Der blaue Reiter“ in Hitlers Münchener „Haus der deutschen Kunst“ den Nimbus der wahren Hüterin der Moderne verpasst. Zu den wichtigsten Leihgebern dieser Schau und zahlreicher Nachfolgeausstellungen gehörten die Profiteure und Teilnehmer des nationalsozialistischen Kunstraubes, so die Kunsthändler Hildebrand Gurlitt und Ferdinand Möller. Der Beitrag wirft ein entlarvendes Schlaglicht auf ein jahrzehntelang kultiviertes Lügengebäude.
Julia Voss: Ablasshandel mit der Moderne, FAZ.NET, 27.11.2013. Zum Volltext hier klicken.

Dass die deutschen Kunsthändler bei der Vertreibung der Moderne im Übrigen nicht nur vom Raub jüdischen Besitzes profitierten, sondern auch mit den Kunstmuseen in zumeist trauter Eintracht handelten, weist Steffen Könau am Beispiel der Galerie Moritzburg in Halle (Saale) nach: „Als die Nationalsozialisten die Moritzburg von ‚entarteter Kunst’ säuberten, brauchten sie weder Stiefel noch Knüppel. Emsig räumte die Galerie selbst aus.“ Im Beitrag wird dies als „Selbstentleibung“ bezeichnet.
Steffen Könau: Ein Museum entleibt sich selbst, Berliner Zeitung, 18.11.2013. Zum Volltext hier klicken.

WeltTrends aktuell

Indien gilt als „größte Demokratie der Welt“. Doch ein Blick hinter diese Fassade offenbart Erschreckendes: Das archaische Kastenwesen spaltet die Gesellschaft, Gewalt und Armut beherrschen das Land, Bildungs- und Gesundheitswesen sind unterentwickelt. In krassem Kontrast dazu steht der Weltmachtanspruch der politischen Eliten. Experten diskutieren diese Kluft zwischen Vision und Wirklichkeit im aktuellen Heft von WeltTrends.
Dazu im WeltBlick Egon Bahr mit Überlegungen zur Lage der Welt und im Zwischenruf Blättchen-Chefredakteur Wolfgang Schwarz zum Thema „Interventionismus und kein Ende?“. Desweiteren Beiträge zum Verhältnis zwischen den USA und Iran, zu Italien nach Berlusconi, zu Japans Demokratie sowie zur Zivilklausel für deutsche Universitäten.
WeltTrends. Zeitschrift für internationale Politik, Nr. 93 – November / Dezember 2013 (Schwerpuntthema: Indien inside), Potsdam / Poznan, 9,50 Euro (für Bezieher des Newsletters: 6,- Euro) plus Porto. Weitere Informationen im Internet: www.welttrends.de.

Wien Berlin

Wien und Berlin zu Anfang des 20. Jahrhunderts, das sind die topografischen und zeitlichen Anker dieser Exposition. „Kunst zweier Metropolen. Von Schiele bis Grosz“ – so der Untertitel, der eine Verengung der künstlerischen Bandbreite nur scheinbar impliziert, denn tatsächlich vertreten sind die Sezessionisten beider Städte ebenso wie Im- und Expressionisten, Dada und Neue Sachlichkeit. Von den großen Namen fehlt nahezu keiner – weder Klimt noch Liebermann, nicht Richter, Beckmann, Pechstein, Slevogt oder Käthe Kollwitz. Auch Dix, Kokoschka, Schmidt-Rottluff und zahlreiche andere sind prominent vertreten.
Eine besondere Entdeckung für mich war die Anita-Berber-Mappe von Charlotte Behrend – acht grafische Blätter immer derselben Protagonistin in immer neuer, weitgehend dessoushafter Kostümierung (oder besser: erotisch raffiniert enthüllender Verkleidung). Anita Berber war Nackttänzerin, Schauspielerin und Skandalnudel in Berlin Mitte der 20er Jahre. Die Mappe zeigt, wie es in einer Pressemeldung zur Ausstellung „Femme Flaneur. Erkundungen zwischen Boulevard und Sperrbezirk“ 2005 in Bremen eher verdruckst hieß, „die als ‚Göttin der Nachtlokale‘ gefeierte Tänzerin in eindeutigen Posen“. Die Formulierung traf zumindest insofern zu, als die Posen – in diesem Fall die einer selbstbewussten weiblichen Sexualität – eindeutiger wirklich kaum hätten sein können.
Charlotte Behrend war mir, wie ich gestehen muss, bis dato kein Begriff. Im Internet findet sich, dass sie Schülerin von Lovis Corinth war und sich später als Muse, dann als Witwe auch um diesen Maler und um dessen Nachlass verdient gemacht hat.

Alfons Markuske

„Wien Berlin. Kunst zweier Metropolen. Von Schiele bis Grosz“, Berlinische Galerie, Alte Jacobstraße 124-128, 10969 Berlin; Mi-Mo 10-18 Uhr (24. Und 31.12. geschlossen); Tageskarte: 10,00, ermäßigt 7,00 Euro. Katalog (Museumsausgabe): 39,80 Euro. Noch bis 27.01.2014.

Auf ein Neues!

Ein Obdachloser auf dem Kurfürstendamm – gar nicht mal ein so alltägliches Bild! Die Spezies ist ja nicht dumm und weiß: die Wohlhabenderen sind hier zwar anzutreffen, die Mitfühlenden aber eher in anderen Bezirken. Das ist auch das Thema des französischen Autors Antoine Rault. In dem Boulevardstück „Auf ein Neues!“ erzählt er von einer noch nicht alten Mutter und ihrer pubertierender Tochter, die in ihrem noblen Block kurz vor Weihnachten mit einem singenden Obdachlosen konfrontiert werden. Um der Tochter ihre mitfühlende Seite zu beweisen, holt Cathérine den übelriechenden Michel am Heiligabend in die Wohnung und stellt leicht verwundert fest, dass es sich um einen richtigen Menschen handelt.
Hausherr Martin Wölffer hat das Stück in der Komödie am Kurfürstendamm als Futter für drei Komödianten inszeniert, ohne unbotmäßig zu vergröbern. Er setzt auf die eher leisen Töne, hätte dem Ganzen aber einen besseren Rhythmus geben können, wenn er die Unterschiede in der Lebensweise stärker hätte ausspielen lassen. Einige komische Wirkungen wurden da zugunsten des Menschelnden verschenkt. Hätte Michel nicht doch öfter in seine Hofnarrenrolle im vornehmen Hause zurückfallen können? Daniel Morgenroth, einst vielversprechender Jung-Star des Deutschen Theaters spielt seine Figur, die am Anfang durch Maske und Kostüm kaum zu erkennen ist, als „Romeo mit grauen Schläfen“ und kann seine Musikalität ein paar Mal ausspielen. Marion Kracht verwischt die Umschwünge ihrer Cathérine manchmal noch zu sehr, ist aber souverän, und man glaubt, einer solchen Frau erst gestern begegnet zu sein. Erfrischend und vom Autor mit vielen Pointen ausgestattet ist Lene Wink als Töchterchen Sarah. – Dass am Kurfürstendamm das Obdachlosenproblem gelöst wird, konnte niemand erwarten. Erfreulich immerhin, dass es überhaupt angesprochen wird!

Frank Burkhard

Wirsing

Ein wichtiges Berliner Ereignis war jüngst die Benefizgala zugunsten der AIDS-Hilfe. Deutschlandradio Kultur konnte Gutes berichten: „Die Gäste des Showprogramms, wie Vicky Leandros, Tim Fischer und Romy Schneider, verzichteten auf ihre Gage.“ Besonders Romy Schneider dürfte das leichtgefallen sein, denn in den Sphären, in denen sie sich seit 1982 befindet, benötigt man keine irdischen Güter!

Die Berliner Abendschau hatte über einen schweren Unfall zu berichten, bei dem ein Auto völlig zusammengequetscht war. „Dessen Fahrer musste die Feuerwehr aus dem Wagen schneiden.“ Hochachtung vor dem Wagenlenker, der in seiner Lage noch die Rettung der Feuerwehr aus dem Fahrzeug übernahm! Wie sind bloß die Feuerwehrleute in das Auto gekommen?

Fabian Ärmel