16. Jahrgang | Nummer 10 | 13. Mai 2013

Fünf vor Zwölf

von Jörn Schütrumpf

In den ersten Jahren stand Kohls „Mädchen“ in Springers Medien unter Quotenschutz: Frau und Ostlerin; nach dem Vatermord schwankte man mehr als einen Moment zwischen Nibelungentreue und Seitenwechsel; seit ihrer Kanzlerschaft 2005 genoss sie aber den selben Denkmalschutz wie ihr einstiger Förderer. Nun ist sie in Verruf. Viereinhalb Monate vor der Bundestagswahl entdeckt BILD das „Das Leben der anderen Angela Merkel“. Die WELT mutmaßt gar: „Merkel, früher eine ehrgeizige Reformkommunistin?“
Ist man bei Springer verrückt geworden? Ralf Georg Reuth, Autor des „Enthüllungsbuches“, befragt, warum das Buch ausgerechnet im Jahr der Bundestagswahl erscheine, macht Hundeaugen: „Ganz simpel, weil es nach langer Arbeit gerade jetzt fertig geworden ist.“
Dabei steht in diesem Text nichts, was 1990 nicht schon bekannt gewesen wäre: Angela Merkel, eine unauffällige Mitläuferin und hoffnungsvolle Wissenschaftlerin, die sich im Herbst 1989 dem „Demokratischen Aufbruch“ anschloss und nach der Bloßstellung von Wolfgang Schnur als IM zur CDU ging. Wo ist die Nachricht?
Es ist ein heftiger Machtkampf entbrannt, mächtige Wirtschaftskreise sind in den vergangenen Wochen umgeschwenkt. Es geht nicht mehr um Angela Merkels Wiederwahl – die auch sie wollen –, sondern ums Ganze.
Am 9. April 2013 hielt George Soros, Holocaustüberlebender, Spekulant und Philanthrop, der seine Milliarden schon seit Jahrzehnten zusammen hat, im „Center for Financial Studies“ der Goethe-Universität in Frankfurt am Main einen Vortrag zum Thema: „Wie man die Europäische Union vor der Eurokrise retten kann“. Am 12. April druckte die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Text. In ihm wendet sich Soros direkt an Angela Merkel: Sie sei mit ihrer Austeritätspolitik, die den verschuldeten Staaten die Luft abwürge, dabei, Europa zurück in einen Kontinent der Nationalismen zu schleudern. Gerettet werden könne das Ganze nur noch durch die Einführung von Eurobonds.Weil sie damit ihren Wahlsieg zu gefährden glaubt, will das aber Angela Merkel nicht,.
Als zweitbeste Lösung empfiehlt Soros den sofortigen Austritt Deutschlands aus dem Euro – auch dann könnten die anderen wieder atmen. Andernfalls würde auch Deutschland noch vor der Bundestagswahl in eine verheerende Exportkrise rutschen – und es käme zur Katastrophe.
Am 14. April legte Soros in einem FAZ-Interview nach:
„Warum interessieren Sie sich so dafür, was mit Europa passiert? Sie könnten sich doch eigentlich bequem in Ihrem New Yorker Domizil zurücklehnen, weitere Milliarden für gute Zwecke spenden, und wenn Ihnen irgendwo auf der Welt etwas gegen den Strich geht, die Nachrichten ausschalten. Was treibt Sie an, da mitzumischen?“
„Wenn es mir möglich wäre, die deutsche Öffentlichkeit wachzurütteln, dann wäre das der krönende Abschluss meines Lebenswerks. Es würde alles andere, was ich erreicht habe, in den Schatten stellen. Ich habe zwar einen amerikanischen Pass, aber in meinem Herzen bin ich nach wie vor Europäer. Und es hängt jetzt allein an Deutschland, die Eurokrise zu lösen. Es ist eine schwere Krise in einem sehr wichtigen Teil der Welt. Die Europäische Union ist die Verkörperung einer offenen Gesellschaft, wie Popper es genannt hat, das ist etwas von großer Bedeutung, nicht nur für Europa sondern für die ganze Welt. Ich halte das zurzeit für das drängendste Thema überhaupt.“
Doch Angela Merkel blieb stur: Am 7. Mai schickte sie ihren Berater Hans-Werner Sinn mit einem Gastbeitrag für die FAZ in die Spur: „Die Argumente von George Soros stechen nicht“.
Damit war Angela Merkel auch öffentlich zwischen ihre eigenen und die Interessen der deutschen Wirtschaftseliten geraten. Am 10. Mai begannen BILD und WELT die Kampagne; im Internet wird sie weiter befeuert…
Noch kann es sich Angela Merkel aussuchen: Überlaufen, das hat sie oft genug getan, oder am Ende als CDU-Kreisvorsitzende von Rügen dastehen.
Laut BILD will jeder zweite Deutsche, dass Angela Merkel nach dem 23. September 2013 Bundeskanzlerin bleibt. Noch.