15. Jahrgang | Nummer 10 | 14. Mai 2012

Ein bedenkwürdiges Museum

von Wilfried Schreiber

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es ist kein Museum zur Verherrlichung von Krieg und Militär. Das neu gestaltete und im Oktober des vorigen Jahres wiedereröffnete Militärhistorische Museum in Dresden stellt differenziert und in einer modernen musealen Gestaltung das „Verhältnis von Mensch und militärischer Gewalt“ in den Vordergrund seiner Ausstellung. Die Präsentation ist fraglos kritisch und erfolgt ohne vordergründige Belehrungen. Die politischen Bewertungen sind eher zurückhaltend. Schon damit unterscheidet es sich grundlegend vom ehemaligen Armeemuseum der DDR, das bis 1990 in den alten Arsenalbauten der königlich-sächsischen Armee siedelte.
Natürlich ist spürbar, dass die Museumsmacher dem politischen Grundkonzept der neuen Berliner Republik folgen, in der Kriege und militärische Gewalt nach wie vor als reales Mittel der Politik akzeptiert und praktiziert werden. Insofern wird man bereits am Eingang des Museums mit Bildprojektionen von Zitaten des preußischen Generals und Militärtheoretikers Carl von Clausewitz begrüßt, die aus seinem Hauptwerk „Vom Kriege“ stammen. Man erfährt da unter anderem, dass der Krieg „ein wahres Chamäleon“ sei, sich immerzu ändernd, aber nie verschwindend. Ganz in diesem Sinne folgt man – ebenfalls noch bevor man die eigentliche Ausstellung betritt – gebannt einer Videoinstallation des schottischen Künstlers Charles Sandison, in der die Worte „hate“ und „love“ – Hass und Liebe – auf einer Leinwand in einem endlosen Kampf miteinander ringen, sich jagen, sich in immer neuen Strömen wechselseitig verschlingen und wieder neu hervorbrechen, ohne einander je besiegen zu können. Man ist beeindruckt, bis die Worte des Audioguides beziehungsweise des leibhaftigen Museumsführers ins Bewusstsein dringen, dass Hass und Liebe die „Urelemente menschlichen Handels sind, die die Haltung zu Krieg und Gewalt bestimmen“. Eingestimmt und leicht verärgert durch diesen anthropologisch-biologistischen Ansatz zum Verständnis der Geschichte als ewig währende Folge von Kriegen, die man zwar kritisch bewerten kann, aber letztlich als unausweichlich hinnehmen muss, schreitet man in die Ausstellung und ist – tatsächlich – fasziniert.
Es ist zunächst die veränderte Architektur des Hauses, die diese Wirkung auslöst. Eigentlich sind es zwei Gebäude, die man zugleich betritt und die in einer widerspruchsvollen Symbiose miteinander verbunden sind. Der amerikanische Stararchitekt Daniel Libeskind hat das historische Hauptgebäude des Arsenals mit einem Neubau aus Stahlelementen in Form eines Keils durchschnitten, der einen Bruch mit der militaristischen Tradition des alten Gebäudes symbolisieren soll und auch als Bildzeichen der vielfältigen Brüche und Einschnitte in der deutschen Geschichte verstanden werden kann.
Der Keil trennt und verbindet auch die innere Aufteilung des Museums in zwei Ausstellungsebenen – einen chronologischem Rundgang im Altbau und einen Themenparcours im Neubau. Der Besucher hat die Möglichkeit, sich sowohl chronologisch als auch thematisch zu orientieren – oder auch beide Ebenen im Wechsel zu begehen. Der chronologische Rundgang enthält drei grob bemessene Zeitabschnitte: vom Spätmittelalter bis 1914, das Zeitalter der beiden Weltkriege und die Zeit von 1945 bis heute. Der thematische Rundgang bietet die Möglichkeit sich mit insgesamt zwölf Einzelkomplexen zu beschäftigen wie zum Beispiel mit „Politik und Gewalt“, „Leiden am Krieg“, „Militär und Mode“, „Krieg und Spiel“. Es sind vor allem diese thematischen Komplexe, die den Besucher überraschen und zum Nachdenken anregen.
Man beginnt den Durchlauf am besten auf der obersten Ebene in der Spitze des Keils, von der man einen Blick auf das wiedererstandene Stadtzentrum von Dresden hat. Es mag ein Zufall sein, dass die Spitze des Keils genau in jene Richtung weist, aus der die angloamerikanischen Bomberverbände in der Nacht des 13. Februar 1945 die Stadt anflogen und ihre tödliche Last absetzten. Dieser Symbolik folgend, wird der Besucher  mit Trümmern aus dem zerstörten Dresden, aber auch aus den durch deutsche Flächenbombardements schwer geschädigten Städten Rotterdam in Holland und Wielun in Polen konfrontiert, die in der Keilspitze deponiert sind. Die dokumentierten Zahlen dürften vielen Gästen bekannt sein: Mehr als 55 Millionen Kriegsopfer an Soldaten und Zivilisten kostete der von Deutschland entfachte Zweite Weltkrieg. Allein 460.000 deutsche Zivilisten starben durch die britischen und amerikanischen Städtebombardierungen. Die Informationen sind eine durchaus treffende Einstimmung auf den Wahnwitz von militärischer Gewalt und Krieg, der dem Betrachter in den thematischen Abschnitten präsentiert wird.
Technikfans werden enttäuscht sein. Tötungsmaschinen findet man in den Ausstellungsräumen kaum. Es geht auch generell nicht um die Faszination an Technik oder militärischer Ausrüstung, sondern eher um deren widerspruchsvolle Beziehung zu den Menschen – Soldaten wie Zivilpersonen –, die durch Politik, Kunst, Sprache, Spiel oder anderes vermittelt wird. Man sieht die Exponate mit Beklemmung, Verwunderung und auch Erheiterung – wie etwa bei der Besichtigung einiger Modeskurrilitäten. Am ehesten empfindet man Beklemmung, zum Beispiel wenn man über sich in einem Schacht des eingebauten Keils eine Gruppe schwerer Bomben auf sich zufallen vermeint und Lichtblitze Atomdetonationen imitieren. Verwunderung löst allerdings aus, wenn man die Landekapsel Sojus 31, mit der der NVA-Offizier Sigmund Jähn als erster Deutscher in den Weltraum flog, ausgerechnet neben der Todesrakete V2 des SS-Offiziers Werner von Braun hängen sieht.
Den in der DDR sozialisierten Bürger interessiert natürlich die Darstellung der NVA als Teil der deutschen Militärgeschichte. Dabei ist zweifellos richtig, wenn die NVA trotz ihrer Eigendefinition als Volksarmee hier als Parteiarmee der SED dargestellt wird und auch alle entsprechenden Indizien dafür präsentiert werden. Zugleich mag es eine Befriedigung sein, wenn die Tatsache akzeptiert und dokumentiert wird, dass die NVA „an keinem Kampfeinsatz außerhalb des Gebiets der DDR“ teilgenommen hat. Für ein Museum mit wissenschaftlichem Anspruch ist es jedoch verwunderlich, wenn insgesamt ein NVA-Bild vermittelt wird, das etwa auf dem Niveau der 60er Jahre stehen geblieben ist. Da scheint es keinerlei Veränderungen oder Entwicklungen gegeben zu haben. Vor allem sucht man vergeblich nach einem Hinweis auf die aktive Unterstützung des Umbruchs in der DDR 1989/90 durch Soldaten aller Dienstgradebenen, die mit einer grundlegenden Militärreform dem Anspruch der NVA nach einer echten Volksarmee gerecht werden wollten. Den Ausstellungsgestaltern war lediglich noch die Auflösung der NVA erwähnenswert.
Auch die Bundeswehr wird – zumindest in der Zeit bis 1990 – kaum in ihrer Entwicklung dargestellt. Eher geht es darum, den Unterschied zur NVA zu verdeutlichen – mit Innerer Führung, Reformfähigkeit und einem permanent kritischen Spannungsverhältnis zwischen Streitkräften und Gesellschaft. Für die Zeit nach 1990 bereitet es den Ausstellungsmachern sichtlich Schwierigkeiten, die Notwendigkeit von Kampfeinsätzen für die Bundeswehr zu begründen. Bündnisverpflichtungen und ein diffuses Bedrohungsbild im Zusammenhang mit dem Islam müssen hier als fragwürdige Rechtfertigungen herhalten. Dennoch versteht sich dieser Teil des Museums keineswegs als Werbeausstellung für die Bundeswehr und hebt sich wohltuend von dem Techniktross des mobilen Wanderzirkus der Bundeswehr zur Nachwuchsgewinnung ab. Überhaupt tritt die Bundeswehr als offizieller Träger dieses Museums eher verschämt in Erscheinung. Nur in klein gedruckten Texten ist vom Militärhistorischen Museum „der Bundeswehr“ die Rede. Militärische Hoheitssymbole sind äußerlich nicht erkennbar.
Natürlich werden an einem in unserer heutigen Zeit politisch so brisanten Ort wie dem Militärhistorischen Museum in Dresden nicht alle Besucher gleichermaßen zufrieden sein können. Rechte Kritiker beklagen die fehlende Anknüpfung an die militaristischen Traditionen der Vergangenheit, liberale die mangelnde Sinnstiftung für die Soldaten der Bundeswehr. Linke Kritiker bemängeln vor allem die fehlende Benennung der sozialökonomischen Wurzeln für Krieg und militärische Gewalt. Von ihrem jeweiligen Standpunkt aus meinen alle, Recht zu haben. Wen wundert das. Wir leben in einem pluralistischen Land, wo die herrschenden politischen Kräfte Krieg wieder zu einem probaten Mittel der Politik machen wollen und zwei Drittel der Bevölkerung diese Absicht ablehnen.
Der unvoreingenommene Besucher des Militärhistorischen Museums wird sich wohl selbst ein Urteil über das „Verhältnis von Mensch und militärischer Gewalt“ bilden müssen. Die Ausstellung gibt dafür reichlich Anregung und lässt genügend Spielraum zum kritischen Bedenken. Das ist vielleicht der entscheidende Vorzug dieses Hauses.