14. Jahrgang | Nummer 24 | 28. November 2011

Arkadij Maslow

von Mario Keßler

In der DDR galt er als Renegat des Kommunismus, im Westen wurde er, wenn überhaupt, nur in Verbindung mit seiner Lebensgefährtin Ruth Fischer (1895 – 1961)* genannt: Arkadij Maximowitsch Maslow, geboren als Isaak Jefimowitsch Tschemerinskij am 9. (21.) März 1891 in Jelisawetgrad im Zentrum der Ukraine. Vor den antisemitischen Pogromen floh die Familie 1899 nach Dresen, wo Tschemerinskij aufwuchs. Dort besuchte er bis 1910 die Kreuzschule und anschließend das Konservatorium, denn sehr früh hatte er eine ungewöhnliche musikalische Begabung gezeigt. Er studierte Klavier und legte alle fälligen Prüfungen mit glänzendem Resultat ab. Schon der Zwölfjährige gastierte auf Konzerttourneen in Deutschland und Europa, sogar in Japan und Lateinamerika. Dreiundzwanzigjährig verabschiedete sich der Pianist sehr plötzlich von seinem bisherigen Beruf, um sich ganz der Welt der Mathematik zuzuwenden. Obgleich er bis 1918 formell noch am Dresdner Konservatorium eingeschrieben blieb, immatrikulierte er sich im Herbst 1914 an der Berliner Universität für die Fächer Mathematik und Physik, die er bei solchen Ausnahmegestalten wie Max Planck und Albert Einstein hörte. Er schloss jedoch das Studium nicht ab, sondern wurde Berufsrevolutionär.
Anstöße einer Linksorientierung erhielt er schon als Schüler. Seit 1916 arbeitete er illegal in Deutschland für die Bolschewiki. Zu Beginn des Jahres 1918 nahm Tschemerinskij Kontakte zur Spartakusgruppe auf. Am 5. Dezember 1918 trat er dem Spartakusbund bei, der ihn für die Agitation unter russischen Kriegsgefangenen einsetzte. Für die KPD, zu deren Gründungsmitgliedern er gehörte, war er als Übersetzer tätig.
Im Pressebüro der KPD lernte er Ruth Fischer kennen. Obgleich Fischer und Maslow, wie sich Tschemerinskij ab 1919 nannte, niemals offiziell heirateten, traten sie nicht nur wie Eheleute in der Öffentlichkeit auf, sondern bezeichneten sich auch als solche gegenüber den Komintern-Organen.
Gemeinsam stiegen Fischer und Maslow als Wortführer der Ultralinken in der KPD rasch auf. Zunächst als Leiter der Russischen Sektion (von KPD-Mitgliedern russischer Muttersprache) tätig, wurde Maslow im Oktober 1921 in die Leitung des KPD-Bezirkes Berlin-Brandenburg gewählt. Mit seiner Lebensgefährtin bekämpfte er die damals von der KPD-Führung propagierte Losung der Einheitsfront und das politische Projekt einer Arbeiterregierung mit der SPD. Man könne die Frage der Arbeiterregierung, so Maslow auf dem Leipziger KPD-Parteitag 1923, nicht stellen, ohne auf den Bürgerkrieg hinzuarbeiten. Andernfalls würden die Arbeiter glauben, „irgendwer möchte in einen Ministersessel hineinrutschen.“ Die Parteileitung um Heinrich Brandler und August Thalheimer widersetzte sich mit Recht dieser ultralinken Position. Sie fand jedoch Unterstützung in Moskau, wo die sowjetische Führung im Herbst 1923 auf einen „Deutschen Oktober“ hoffte, auf die Wiederholung des siegreichen Aufstandes der Bolschewiki.
Nach dessen Fiasko rückte Maslow am 8. Februar 1924 als stellvertretender Sekretär des zeitweiligen Parteivorsitzenden Hermann Remmele in die neu formierte Spitze der KPD auf. Obgleich er zeitweilig von diesem Posten suspendiert wurde (ihm wurde ungerechtfertigter Weise vorgehalten, sich bei einem Polizeiverhör feige verhalten zu haben) war sein Aufstieg nicht mehr zu stoppen: Der Frankfurter Parteitag wählte ihn im April 1924 zum Vorsitzenden der Partei. Am 20. Mai wurde er wegen eines angeblichen Handtaschendiebstahls verhaftet und erst zur Jahreswende 1924/25 entlassen. Unterdessen übernahm Ruth Fischer die Leitung der Partei.
Als gemeinsame Vorsitzende der KPD setzten Ruth Fischer und Arkadij Maslow im Frühjahr 1925 rücksichtslos die Bolschewisierung der Partei, ihre Angleichung an das zentralistische Moskauer Modell, durch. Als Parteigänger von Stalins Rivalen Sinowjew und als eigenwillige, nicht bedingungslos auf sowjetische Direktiven eingeschworene Intellektuelle unterlagen sie jedoch im parteiinternen Machtkampf dem von Stalin unterstützten Ernst Thälmann. Da Maslow im September 1925 des „Hochverrats“ angeklagt wurde und bis Juli 1926 erneut im Gefängnis war, stand Ruth Fischer angesichts einer schwindenden Machtbasis auf verlorenem Posten. Sie wurde zudem nach Moskau abkommandiert und dort mehrere Monate unter allerhand Vorwänden festgehalten. Erst im Sommer 1926 konnten beide wieder gemeinsam politisch handeln. Doch es war zu spät. Als inzwischen erklärte Gegner Stalins und Thälmanns wurden sie am 20. August 1926 aus der KPD ausgeschlossen. Anderthalb Jahre später waren sie kurz im Leninbund organisiert. Doch blieb dieser Versuch einer Sammlung oppositioneller Kommunisten ohne Chance. Während Ruth Fischer als Sozialarbeiterin in Bezirk Prenzlauer Berg tätig war, arbeitete Maslow als freiberuflicher Übersetzer unter anderem von Werken Plechanows und des Historikers Pokrowskij.
1933 mussten Fischer und Maslow fliehen. Während Ruth Fischers Sohn Gerhard Friedländer, Maslows Stiefsohn, über Österreich nach England gelangte, gingen sie beide nach Paris, wo sie eine Zeitlang mit Trotzki zusammenarbeiteten. Ruth Fischer war wiederum als Sozialarbeiterin tätig, Maslow schrieb für verschiedene französische Zeitungen sowie für deutsche Exilblätter und baute einen eigenen Pressedienst auf. Von einstigen sektiererischen Positionen hatte er sich längst gelöst. Er verfasste verschiedene literarische Arbeiten, darunter den kürzlich veröffentlichten Roman „Die Tochter des Generals“ sowie fiktive Memoiren Stalins. Im ersten Moskauer Prozess wurden Fischer und Maslow des Komplotts gegen Stalin und die Sowjetführung beschuldigt. 1940 flüchteten sie vor der heranrückenden Wehrmacht nach Marseille und von dort nach Lissabon.
Doch nur Ruth Fischer erhielt das so ersehnte Visum für die USA. Maslow gelang es lediglich, eine Aufenthaltsbewilligung für Kuba zu bekommen. Am 30. Mai 1941 kam er in Havanna an. Dort baute er wiederum einen Pressedienst auf. Durch das Abhören sowjetischer Kurzwellensender erfuhr er Ende Juli 1941 vom Massaker von Lemberg, dem Auftakt zum Holocaust. Am 21. November 1941 wollte ihm Ruth Fischer von New York aus mitteilen, dass sein Einreisevisum in die USA endlich bewilligt war. Doch am Telefon erfuhr sie, dass Maslow in der letzten Nacht tot in Havanna auf der Straße aufgefunden worden sei. Das ärztliche Zeugnis und die beglaubigte Erklärung eines Anwalts besagten, er sei an Herzversagen gestorben. Ruth Fischer war damals und bis ans Ende ihres Lebens davon überzeugt, dass Arkadij Maslow ermordet wurde.
Wir wissen jetzt, dass sie Recht hatte. Wie Trotzki war auch der politisch entmachtete Maslow zu einem gefährlichen Gegner Stalins geworden. Noch in Marseille war der FBI-Beamte Guenther Reinhardt auf ihn aufmerksam geworden und verhalf Ruth Fischer wie zuletzt auch Arkadij Maslow zu ihrem amerikanischen Visum. Im Gegenzug erbot Maslow sich, interne Informationen an einen von Reinhardt gebildeten Kreis von FBI-Mitarbeitern zu liefern, und zwar an FBI-Chef Hoover vorbei, der früheren Kommunisten grundsätzlich misstraute. Reinhardt und Maslow suchten amerikanische Gewerkschafter und unabhängige Linke wie Max Shachtman und Dwight Mcdonald zu gewinnen, um ein linkes Gegengewicht sowohl zum rechten Antikommunismus wie zur prostalinistischen Intelligenz zu schaffen; eine ideologische und perspektivisch auch organisatorische Herausforderung an Stalin, die Marxisten und Nichtmarxisten vereinen sollte. Doch es gab eine „undichte Stelle“: Möglicherweise gelangten diese Informationen über einen Doppelagenten zwar nicht zu FBI-Chef Hoover, jedoch nach Moskau. So fiel offenkundig dort der Entschluss, Maslow zu beseitigen. Den Rest besorgte der Fahrer eines Lastkraftwagens, der ihn in einer entlegenen Straße überfuhr. Ein Arzt, ein Anwalt und sogar die Krankentransporteure waren längst für die nötigen Falschaussagen gewonnen worden. Die Leiche wurde niemals obduziert, und die Bestattung auf dem Jüdischen Friedhof in Havanna erfolgte rasch. Dort ruhen die sterblichen Überreste Arkadij Maslows noch immer – ganz in der Nähe der Ruhestätte eines anderen kommunistischen Exilanten, seines einstigen Genossen und Rivalen August Thalheimer.

* – Ruth Fischer hieß mit bürgerlichem Namen Ruth Elfriede Eisler und war die Schwester des Komponisten Hanns Eisler und des Journalisten Gerhart Eisler.

Dieser Beitrag ist auch im Neuen Deutschland erschienen.