14. Jahrgang | Nummer 7 | 4. April 2011

Überall Gewinner

von Günter Hayn

Die Ouvertüre wurde in Hamburg gegeben. Dort ließ die GAL am 28. November 2010 die schwarz-grüne Koalition unter Christoph Ahlhaus (CDU) platzen. Einerseits wuchs wohl deren Konfliktpotenzial unerträglich an, andererseits erhofften sich die hanseatischen Grünen von Neuwahlen einen erheblichen Stimmenzuwachs in der Bürgerschaft. Dass ihre Bundesspitze eine Korrektur des schwarz-grünen Tabubruchs wollte, ist nicht auszuschließen. Die grünen Strategen verrechneten sich. Der glücklose Ahlhaus wurde zwar gestürzt (mit 21,9 Prozent halbierte die CDU ihr Ergebnis der vorherigen Wahl), die Hoffnungen der GAL erfüllten sich nur minimal: 11,2 Prozent statt bisher 9,6. Die FDP schaffte dank einer smarten Spitzenkandidatin mit 6,6 Prozent den Wiedereinzug in die Bürgerschaft. Die LINKE hielt mit 6,4 Prozent ihren Stimmenanteil. Zur eigenen Überraschung erreichte die SPD mit 48,3 Prozent die absolute Mehrheit. Olaf Scholz kann allein regieren. Das Wort von der „Kanzlerinnendämmerung“ machte die Runde.
Das war voreilig. Eine Schwalbe macht noch keine Sommer. In Sachsen-Anhalt gewann die SPD am 20. März heftige 0,1 Prozent hinzu. „Kein Bullerlanti“ spottete die Mitteldeutsche Zeitung in Anspielung auf die Ministerpräsidententräume des SPD-Mannes Jens Bullerjahn. In Baden-Württemberg verlor die Partei am 27 März 2,1 Prozent im Vergleich zu 2006, in Rheinland-Pfalz dramatische 9,9 Prozent. Auch wenn das SWR-Fernsehen Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) die schmalzbackige Siegerpose ermöglichte – er holte in seinem Wahlkreis 53,1 Prozent der Wahlkreisstimmen –, Siegen ist etwas anderes. Die SPD hat im Reiche von „König Kurt“ nur noch 0,5 Prozent Vorsprung vor ihrer schwarzen Konkurrentin. Auch bei den hessischen Kommunalwahlen gelang es ihr nicht, die CDU-Vorherrschaft zu brechen. Weit und breit kein „Gabrielanti“ in Sicht.
Reinhard Höppner, von 1994 bis 2002 Chef der PDS-tolerierten SPD-Minderheitsregierung, bestätigte am 21. März die Tagesspiegel-Frage, dass sich die Linkspartei in Sachsen-Anhalt „angesichts der Tatsache, dass keiner einen linken Ministerpräsidenten wählen will“, „zu Tode gesiegt“ habe. Wahlergebnisse und Stimmung im Lande bestätigen Höppners Aussage nicht. Die Parteienpräferenzen blieben stabil. 3,7 Prozent Stimmverluste für die CDU (auf 32,5 Prozent) sind nicht dramatisch. Der Wahlverlierer wird – wie die SPD in Rheinland-Pfalz – den Ministerpräsidenten stellen. Die SPD hielt ihr Wahlergebnis in etwa, die LINKE sackte 0,4 Prozent ab. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn sie sich nicht bereits im Sommer 2010 ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der CDU geliefert hätte. Spitzenkandidat Wulf Gallert sah sich schon als Ministerpräsident. Hinter den Kulissen wurde fleißig am Personaltableau des Kabinettes gebastelt. Anfang Februar war klar, dass das nichts werden würde. Gallert selbst schob den Umfrageabsturz auch auf die „Kommunismus-Überlegungen einer Berliner Politikerin“. Eher war es wohl der von den Medien mit zunehmendem Ärger (worüber soll man da berichten?) und dem Wahlvolk mit wachsendem Unverständnis begleitete „Kuschel-Wahlkampf“ von CDU, SPD und LINKER. Keiner wollte dem anderen so richtig wehtun. Alle sahen sich irgendwie als potenzielle Kabinettskollegen. Die LINKE wurde erst etwas unwirscher, als der CDU-Mann Reiner Haseloff zunehmend mit der ideologischen Keule auf Gallert eindrosch. Richtig spannend war das aber auch nicht, weil es keine Auswirkungen auf die politischen Konzepte der Kontrahenten hatte. Die notwendige offene Auseinandersetzung mit der NPD vermied man weitestgehend. Man wolle sie „nicht aufwerten“ hieß es allenthalben. Das wurde bestraft: Mit 4,6 Prozent der Stimmen verfehlte die NPD den Einzug in den Magdeburger Landtag äußerst knapp. Sie übersprang in 17 von 45 Wahlkreisen locker die Fünf-Prozent-Latte. In Nebra, einem beschaulichen Städtchen an der Unstrut im Burgenlandkreis, erzielte sie sogar 8,4 Prozent. Der Kreis hat die drittgrößte Arbeitslosigkeit im krisengebeutelten Bundesland. 18 Prozent der jungen Männer, 14 Prozent aller Erstwähler/innen und elf Prozent der Hartz-IV-Empänger in Sachsen-Anhalt wählten braun! Wenn deren Spitzenkandidat nach den Wahlen verkündete, dass „4,5 Prozent ja nicht nichts“ seien, so stimmt das unbedingt. Der Nichteinzug der NPD ist kein Verdienst der anderen Parteien, sondern den Wählern geschuldet. Manche gingen nur, damit die Nazis wegbleiben! Die Hälfte aller Wahlberechtigten jedoch blieb den Urnen fern… Die LINKE wäre gut beraten, ihre Politik und ihr Personal im Lande zu überdenken. Sprüche wie sie jüngst Bundes-Chef Klaus Ernst im Neuen Deutschland klopfte („Wir sehen uns dazu berufen, eine Regierung zu bilden.“), helfen ihr nicht weiter. Sich berufen fühlen ist das eine. Gerufen zu werden das andere.
In Südwestdeutschland war es ein eher piepsiges Rufen nach der Linkspartei. 3,0 Prozent in Rheinland-Pfalz (+ 0,4) und 2,8 (- 0,3) in Baden-Württemberg scheinen ein Beleg dafür, dass die LINKE hier im Moment offenbar keiner braucht. Die Partei tat auch fleißig das Ihrige für diesen Eindruck: „Mappus ablösen … mit links“ wahlkämpfte sie in Baden-Württemberg. Das überzeugte offenbar bisherige Linkswähler: 33.000 gingen zu den Grünen, 1.000 zur SPD. Immerhin 25.000 Nichtwähler wählten links. Das glich aber die Verluste nicht aus. Und von den Nichtwählern gewannen die Grünen 266.000 hinzu. Es ist richtig, dass nach der Katastrophe von Fukushima und dem offensichtlichen Moratoriumsschwindel der Bundesregierung die AKW-Frage für viele Menschen wahlentscheidend war. Herbert Mertin, gescheiterter Spitzenkandidat der FDP in Rheinland-Pfalz, stotterte in der Wahlsendung des Südwestdeutschen Rundfunks etwas von „dem Ereignis in Japan“ das „die Dinge geändert“ habe. Für einen Satz allerdings wie folgenden, am Wahlabend in der „Berliner Runde“ des ZDF geäußerten, „dass wir von der aktuellen Diskussion, insbesondere von der Katastrophe in Japan nicht profitiert haben“, gehörte die Rednerin zum Teufel gejagt. Es war Caren Lay, die Bundesgeschäftsführerin der LINKEN.
Da war und ist zudem kein Jota Nachdenken über die mangelnde bis absolut fehlende kommunale Verankerung der Linken in beiden Bundesländern. Da ist auch nicht der Ansatz einer Korrektur verschwiemelter linker Politik-Sprache, die auf eine ebenso verschwiemelte Denke schließen lässt. Vor Ort führt man die alten Flügelkämpfe weiter und erlaubt sich die Torheit, dies auch noch als positives Markenzeichen der LINKEN dem erstaunten Wahlvolk zu präsentieren. „Eine Partei, die nicht streitet, ist tot. Streit gehört zur Demokratie.“ So Tanja Krauth, Spitzenkandidatin der LINKEN in Rheinland-Pfalz. Krauth erzielte im Wahlkreis Birkenfeld immerhin 5,3 Prozent, der SPD-Gewinner aber 41,0. Tanja Krauth über die CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner: „Inhaltlich habe ich sie jenseits ihrer Rhetorik als sehr schwach wahrgenommen.“ In Bad Kreuznach holte Frau Klöckner 44,4 Prozent, die LINKE stolze 3,3. Da liegt der Unterschied. Auch deshalb gehört die Äußerung der SPD-Geschäftsführerin Andrea Nahles in jener „Berliner Runde“ zu den dümmsten Sprüchen des Wahlabends: „Wir haben unser Wahlziel, die Linke aus den Landtagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz herauszuhalten, erreicht.“ Haben Sie nicht, Frau Nahles. Das hat die LINKE selber getan.
Sicherlich gibt es in Stuttgart den ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik. Sicherlich werden die Grünen (15,4 Prozent) mit Kurt Beck hart verhandeln und irgendwie ein Kabinett bilden. Zur Not können sie auch mit der CDU gehen. Ein fundamentaler Politikwechsel wird so oder so damit nicht verbunden sein: „Die Grünen sind in der bürgerlichen Mitte angekommen“, argumentierte Michael Theiß vom SWR. Solch Politikwechsel wird erst möglich werden, wenn die LINKE ihre parteiführenden Selbsterfahrungsgruppen in die Wüste schickt und die SPD aufhört, in der für sie einigermaßen ungefährlichen LINKEN den Hauptgegner zu sehen, Solange tut man gut daran, sich die Namen Reiner Haseloff, Julia Klöckner und wahrscheinlich auch Stefan Mappus zu merken.