14. Jahrgang | Nummer 1 | 10. Januar 2011

Horrorskop 2011

von Heinz W. Konrad

Januar: Der Jahresbeginn stellt das Blättchen gleich vor die extraordinäre Aufgabe, sich einer leidenschaftlichen Unterstützungskampagne aus dem ostdeutschen Norden zu erwehren. Heiße Verehrer „dieser wunderbaren Zeitschrift“ hatten die Produzenten selbiger mit ihrer nacheilenden Liebe dergestalt umgarnt, dass der Neustart des Projektes (fast) noch einmal in Turbulenzen gerät.
Mit einem neuerlich informellen Paukenschlag bringt sich die Enthüllungsplattform Wikileaks in Erinnerung. Angesichts einer bedrückenden Beweislast sieht sich Julian Assange zu dem Geständnis gezwungen, als IM „Glasnostj“ halbtags für die DDR-Staatssicherheit gearbeitet zu haben. Sein Kampfauftrag zur Zersetzung des Klassenfeindes sei seinerzeit nicht befristet gewesen, so Richy Wetzgenstein-Ollenschläger – wie Assanges bürgerlicher Name lautet.
Nachdem er durch die fehlerfreie Verbalidentifizierung einer komplizierten zweistelligen Zahl seine Führungsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis stellt, wird Horst Seehofer auf einem CSU-Parteitag in München einstimmig in seinem Amt als Parteivorsitzender bestätigt.

Februar: Zwecks zwischenmenschlicher Wärmeentwicklung und Stimmungsaufhellung nimmt Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg zu einem neuerlichen Truppenbesuch der uns am Hindukusch verteidigenden deutschen Soldaten diesmal neben all seinen Vornamen und Ehefrau Stefanie auch seine Schwiegermutter sowie Hella von Sinnen mit. Die Taliban stellt er überrumpelnd vor die vernichtende Option, im Falle einer ausbleibenden Kapitulation Afghanistan flächendeckend mit einer Terroroffensive von Florian Silbereisen und Carmen Nebel, den Tiroler Bergflitzern, dem Duo Sonnenschein, Stefanie Hertel, der Goisener Schuetzenmusi, Roberto Blanco und den Zillertaler Haderlumpen zu überziehen. Gegebenenfalls verbleibender Restwiderstand muss mit dem Einsatz von Dagmar Frederic sowie Peter Orloff mit dem Schwarzmeer Kosaken-Chor rechnen. Auf die Mitnahme von Birgit Homburger wird verzichtet, da der kriegsähnliche Einsatz keinesfalls ins Komische abgleiten soll.

März: Die Bundesregierung reagiert auf die schlechten Wahlergebnisse für die Koalitionsparteien in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg sowie Rheinland-Pfalz umgehend mit einer Kabinettsumbildung zu Schwarz-Gelb plus und beschließt, den Reichstag unter Tage zu verlegen, was zustimmende Demonstrationen zur Folge hat.
Der Verband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) erregt mit einer revolutionären Initiative zur noch optimalerischen Ausgestaltung des deutschen Gesundheitswesens bundesweites Aufsehen. Alle Kassenpatienten werden künftig kostenlos mit einem Do-it-your-self-Paket versehen, das eine medizinisch-technische Grundausstattung enthält und einfache bis mittlere Operationen kostengünstig im persönlichen Umfeld sowie aus eigener oder der Hand von persönlichen Vertrauten möglich macht. Für den Fall unvorhergesehener Gesundheitsschäden wie etwa von Unfällen steht zusätzlich ein ebenso handliches wie formschönes „OP-to go-Besteck“ zur Verfügung.

April: Der Bundesverband Deutscher Bestatter e.V. (BdB) greift die kundenfreundliche Initiative der Krankenkassen auf und bietet in einem Joint-Venture mit den Praktiker-Baumärkten (Motto: Geht nicht, gibt’s nicht) finanzschwachen Ablebenden kostengünstige Sargbausätze an, was den deutschen Sterbemarkt deutlich entspannt.
Um der deutschen Wirtschaft weiter den Rücken zu stärken, bringt Schwarz-Gelb plus eine fundamentale Verfassungsänderung auf den Weg. Derzufolge soll der erste Satz des Grundgesetzes künftig „Die Würde des Konsumenten ist unantastbar“ lauten. Der von der FDP gewünschte Zusatz „Aber hallo!“ findet trotz wiederholter Hammelsprünge keine Mehrheit.
Bei dem live aus Kabul ausgestrahlten TV-Blockbuster „Wetten dass“ verliert Thomas Gottschalk beim Schluchtenjodeln eine Wette gegen Hamid Karzai. Bis zum Juni muss der Entertainer nun seinen Wetteinsatz realisieren, in der Rush-hour eine Stunde lang auf der Berliner Avus ohne Zuhilfenahme unterstützender Technik über entgegenkommende Autos zu hüpfen.

Mai: Im Gefolge wachsender ethnischer Spannungen in der Partei Die Linke, in deren Gefolge es in den paritätisch besetzten Parteigremien bereits zu den ersten Handgreiflichkeiten gekommen ist, kann Heiner Geißler als Schlichter gewonnen werden. Seinen Einsatz beginnt der 81jährige mit der Bekanntgabe, dass er bereits seine Nachfolger in diesem Amt für die nächsten beiden Generationen bestimmt habe, was selbst Pessimisten dazu veranlasst, der Schlichtung eine vorsichtige Aussicht auf Erfolg zuzubilligen. Inwieweit die Schlichtung dauerhaft im TV verfolgt werden kann, ist wegen der noch umstrittenen Preise für die heißumworbene Generika-Reklame bis zu diesem Zeitpunkt noch offen.

Juni: Für den bewundernswerten Mut, trotz der ihm aus dem Drehbuch erwachsenden Lebensgefährdungen durch Einhörner und Riesen die Rolle der „Tapferen Schneiderleins“ zu übernehmen, erhält Tom Cruise von Burda den diesjährigen Furchtlosigkeits-Bambi. Abräumer der renommierten Ehrung mit gleich sechs der putzigen Rehkitze ist Norbert Blüm für das Remake seines Satzes: „Die Rente ist sicher“ von 1997.
Im Gefolge der massiven Ablehnung von Nacktscannern auf deutschen Airports bestimmt Innenminister de Maizière durchsichtige Ganzkörperburkas zum verpflichtenden Bekleidungsstück von Flugreisen.
Angela Merkel prescht mit einer neuen Initiative zur Erdrettung an die Spitze der ökologischen Bestandssicherung unserer Schöpfung. Anhand empirischer Untersuchungen belegt sie, dass die Halbierung öffentlicher Aussagen von Politikern den Ausstoß an heißer Luft dergestalt vermindern würde, dass der offiziell beschlossene Anstieg der Erderwärmung bis 2020 nicht auf zwei sondern auf 1,1 Prozent realistisch wäre.

Juli: „Wir sind WeltmeisterInnen der Herzen“ titelt Bild den vermuteten Erfolg der deutschen DamInnen bei der einheimischen Fußballweltmeisterschaft, was Chefredakteur Kai Diekmann demonstrativ dazu veranlasst, sich von seinem wegen dessen Geringfügigkeit ohnehin in Verruf geratenen sekundären Geschlechtsmerkmal operativ zu trennen und nun als erste ChefredakteurIn der Bild vorzustehen.
Wermutstropfen für die neuerliche nationale Sportbegeisterung ist die Nachricht, dass Paul, der prognosesichere Zauberkrake der Herren-WM, einem Ring von Wettspiel-Manipulateuren des Fußballsports angehört und sich seiner Entlarvung durch Freitod entzogen hat, der von medialen Kollaborateuren als tragisches Ableben inszeniert worden war. Nach der umgehenden Exhumierung Pauls geht die Gerichtsmedizin derzeit dem Verdacht nach, dass der vielarmige Krake auch dem Drogenkartell von Doping-Papst Robert Fuentes angehört haben und von Jan Ulrich mit Epo versorgt worden sein soll.
Zur Freude ihrer nach Millionen zählenden Fangemeinde, geht die Love-Parade trotz des vorjährigen Desasters neuerlich an den Start. Um Fährnisse jedweder Art von vornherein auszuschließen, findet der Umzug im Garten des Berliner Schlosses „Bellevue“, statt. Die 68, alle Bevölkerungsschichten repräsentierenden, Teilnehmer werden bei einer vorausgehenden RTL-Casting-Show „Deutschland sucht die Super-GAUdis“ ermittelt. Die traditionelle „Friede-Freude-Eierkuchen“ – Rede hält Bundespräsident Christian Wulff seine Frau.

August: Und wieder schlägt Wikileaks zu: Die Peiniger jener rund 800.000 Kinder, die in den ersten vier Jahrzehnten der Bundesrepublik in Heimen aufwachsen mussten und dort zum Teil systematisch misshandelt und ausgebeutet worden sind, so dokumentiert diese Nachrichtenquelle, waren allesamt Informelle Mitarbeiter (IM) der DDR-Staatssicherheit. Angela Merkel verbindet ihre heilige Empörung über dergestaltige Unmenschlichkeit mit der Erleichterung darüber, dass die altbundesdeutschen Pädagogen nunmehr von dem Zwielicht der perfide gestreuten Verdächtigungen befreit sind.
Durch eine herzliche Übernahme bringt sich Medientycoon Silvio Berlusconi, im Nebenberuf italienischer Premier, in den Besitz von RTL, das gerade erst zur deutschen Quotenkönigin gekürt worden ist. Eine ähnlich gelagerte Übernahme der deutschen Regierung scheitert zunächst an anzüglichen Avancen Berlusconis gegenüber Angela Merkel.

September: Für die Dauer des Berlin-Besuches von Papst Benedikt XVI. und der mit ihm verbundenen Konzentration von Bischöfen sowie anderer Kirchoberen werden märkische Ministranten in der O2-Arena am Ostbahnhof  weggeschlossen. Bei einem unter Ausschluss der Öffentlichkeit  vollzogenen Hochamt in der Herren-Toilette des Bahnhofes Zoo verteilt Papst Benedikt an männliche Prostituierte Kondome mit dem Abbild des 81-jährigen Chef-Exorzisten der katholischen Kirche, Pater Gabriel Amorth, und erklärt geduldig deren Handhabung.
Die bei den Berliner Landtagswahlen erreichte Pattsituation zwischen der SPD und den Grünen wird durch die überraschende Eheschließung von Klaus Wowereit und Renate Künast gelöst, in deren Gefolge Senator Harald Wolf seine Verlobung mit Wowereit für gescheitert und aufgelöst erklärt und das jungvermählte Paar um Adoption ersucht.

Oktober: Der Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, erhält aus Anlass des Republikgeburtstages aus den Händen von Kanzlerin Merkel die Goldene Wünschelrute am Bande.
Um die FDP wieder ins politische Gespräch des Landes zu bringen, beschließt ein kleiner Parteitag einen Tandemsprung des Parteipräsidiums aus einem A380, wobei auf Fallschirme verzichtet wird und die sanfte Landung allein durch den festen Zusammenhalt der Parteioberen demonstriert werden soll. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel lässt aus seinem viermonatigen Staatsbesuch auf Tuvalu plausibel verlauten, er sei bereits so tief gesunken, dass seine Bodenhaftung eines solchen Beweises nicht bedürfe.
Die Umstellung des Berliner ÖPNV auf Rikscha- bzw. Sänftentransport (1. und 2. Klasse) sowie Draisinenbetrieb ist weitgehend abgeschlossen. Neben der Gewährleistung des Nahverkehrs ist in der Hauptstadt durch Schaffung hunderttausender Arbeitsplätze in Start-up-Nahverkehrs-Unternehmen die Erwerbslosigkeit auf Null zu senken. Für den eventuell wieder anfallenden Winter stehen Hunde- und Rentierschlitten in ausreichender Zahl zum Einsatz bereit.

November: Für sein Aperçu „Was ist eine Terrordrohung gegen den Reichstag gegen eine Parlamentssitzung in seinem Innern?“ erhält Osama Bin Laden in Abwesenheit den von Innenminister de Maizière versöhnungsfördernd gestifteten Orden wider den islamistischen Ernst.
Was von Nuklearexperten in Nordkorea lange als Anreicherungszentrifugen zur Herstellung von Atomwaffen gedeutet wurde, ist laut der Pjöngjanger Nachrichtenagentur KNA eine eigenentwickelte Technologie zur Schaffung des neuen Menschen. Das ausgeklügelte Schleuderverfahren führt zu noch nie dagewesenen Verknotungen in den DNA-Strängen menschlicher Probanden, die bei einer späteren Fortpflanzung die Zeugung purer Schönheit, Intelligenz, Genügsamkeit und Klassenwachsamkeit garantiert. Die Liebe zum jeweils Geliebten Genossen lässt sich national spezifiziert extrudieren.

Dezember: Im Konsens mit den christlichen Kirchen wird ein bislang tradierter Teil des deutschen Weihnachtsbrauches erstmals in reformierter Form praktiziert. Nach den bahnbrechenden Erkenntnissen Thilo Sarrazins über die globale Verteilung der Intelligenz-Gene werden die Drei Weisen aus dem Morgenland durch drei Weise aus dem Abendland ersetzt.  Zu Vorbildern für die Visualisierung dieser christlich-jüdischen Kultursymbole wurden Karl Dall, Stefan Raab sowie Ronald Pofalla bestimmt. Moderiert werden die drei Weisen unverändert durch den von Amts wegen weisen Bundespräsidenten.
BDA-Präsident Dieter Hundt kündigt für 2012 an, seine Organisation mit dem BDI zu vereinigen, unter dem Namen „Savonarola-Bewegung“ die Anerkennung als Partei zu beantragen und umgehend in den Wahlkampf für die Bundestagswahl 2013 zu starten. Als Wahlkampfleiter präsentiert Hundt das Power-Trio Johannes B. Kerner und Harald Glööckler.