13. Jahrgang | Nummer 21 | 25. Oktober 2010

Bemerkungen

Kriminalität mit System

Nun ist es quasi amtlich: Die Treuhandanstalt zur Privatisierung des volkseigenen Vermögens der DDR – es handelte sich um 8.500 Betriebe mit mehr als vier Millionen Beschäftigten – hat in hohem Ausmaß Wirtschaftskriminalität in Kauf genommen. Das geht aus einer im Ergebnis eines dreijährigen Forschungsprojektes der Universität Münster gerade veröffentlichten wissenschaftlichen Analyse über Wirtschaftskriminalität im Zuge der Wiedervereinigung hervor.

Kriminologen und Juristen hatten unter anderem untersucht, ob die Strukturen der Treuhandanstalt kriminelle Handlungen nicht nur ermöglicht, sondern auch möglicherweise begünstigt hatten. Die Forscher konstatierten erhebliche Kontrolldefizite als Folge des politisch gewollten Primats einer schnellen Privatisierung.

So war eine interne Stabsstelle der Treuhand zur Untersuchung von Unternehmenskriminalität in der wichtigsten Privatisierungsphase zwischen 1991 und 1995 lediglich mit einem Staatsanwalt und einem beurlaubten Polizisten besetzt gewesen. Daraus lässt sich nach Auffassung der Universitätsfachleute schließen, dass die Leitung der Treuhand an einer umfassenden strafrechtlichen Aufklärung verdächtiger Privatisierungen nicht interessiert gewesen sei. Überdies sei die „Selektivität der Strafverfolgung zum zentralen Konzept“ entwickelt worden. Einen Ermittlungs- oder Anzeigenzwang gab es nicht.

Die Folge: Diverse Staatsanwaltschaften hätten damals insgesamt lediglich 1.426 Ermittlungsverfahren eingeleitet, wovon lediglich ein Drittel auf Anzeigen der Treuhand-Stabsstelle zurückging.

Boers, K., Nelles, U., Theile, H. (Hrsg.): Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe. Nomos-Verlag, Baden-Baden 2010. 98,00 Euro

Clemens Fischer

Lang, lang ist’s her …

Die Zeit vor 1933 hat zu große Zusammenballungen industrieller Unternehmungen gebracht. Diese bekamen dadurch einen monopolartigen Charakter. Sie wurden für die Öffentlichkeit undurchsichtig und unkontrollierbar. Wenn der Aktienbesitz der großen industriellen Unternehmungen, abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie z.B. Krupp, auch stark gestreut war, so wurde doch die Zusammensetzung des Aufsichtsrats und Vorstandes infolge der Vertretung der zahlreichen Aktionäre durch wenige Banken von einem verhältnismäßig kleinen Kreis von Personen bestimmt. Die zu dem engen Kreis der Vertreter der Großbanken und der großen industriellen Unternehmungen gehörigen Personen hatten infolgedessen eine zu große wirtschaftliche und damit zu große politische Macht.

Aus dem Ahlener Programm der CDU der britischen Zone vom 3. Februar 1947

Noch’n Spruch? Gern: Die „soziale Marktwirtschaft“ steht aber auch im Gegensatz zur sogenannten „freien Wirtschaft“ liberalistischer Prägung. Um einen Rückfall in die „freie Wirtschaft“ zu vermeiden, ist zur Sicherung des Leistungswettbewerbs die unabhängige Monopolkontrolle nötig.

Aus den Düsseldorfer Leitsätzen der Arbeitsgemeinschaft von CDU und CSU
vom 15. Juli 1949, die zur Weiterentwicklung des Ahlener Programms vorgelegt wurden.

Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung

Sprachquark à la DDR

„Die aktuell- und massenpolitische Agitations- und Breitenarbeit war unabdingbarer Bestandteil des einheitlichen und geschlossenen Handelns aller Genossen, denn unsere Menschen an der Basis bedurften global, also im Republikmaßstab, einer permanenten, parteilichen und ideologierelevanten Agitation und Propaganda, also der Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit, sei es über die Machenschaften des Klassengegners, die Bündnispolitik der Partei oder anstehende gesellschaftliche Höhepunkte. Eine Fehlerdiskussion war nicht vorgesehen.“ Wem dieser Sprachquark bekannt vorkommt, der war gewiß DDR-Bürger. Diese Floskeln standen nicht nur auf der Tagesordnung, sondern auch in der Presse. Der ehemalige Weltbühnen-Autor Jan Eik, der im Sommer seinen 70. Geburtstag begehen konnte (Glückwunsch nachträglich!) hat das DDR-Deutsch in einer lesenswerten Broschüre untersucht und nach Themenschwerpunkten geordnet erklärt. Worüber wir heute stehen, kann getrost gelacht werden. – Übrigens ist das der Nachfolgeband einer mindestens ebenso witzigen Arbeit über den Berliner Jargon, der Jan Eik geläufig ist, wie kaum einem anderen!

Jan Eik, DDR-Deutsch – Eine entschwundene Sprache. Jaron Verlag, Berlin 2010, 80 S., 4,95 €

bebe

Joachim Ringelnatz

Als Joachim Ringelnatz am 17. November 1934 im Alter von nur 51 Jahren an Lungentuberkulose starb, war er mittellos. Schon 1933 war der als Hans Bötticher Geborene von den Nazis mit Auftrittsverbot belegt worden, seine Bücher wurden verbrannt. Es darf als sehr mutig gelten, dass Ringelnatz´ Witwe Leonharda drei Jahre später einen Privatdruck in kleiner und nur an Freunde vertriebenen Auflage zusammenstellte, der mit nachgelassenen Texten des Dichters, aber auch mit Bildern, Briefen oder Gedichten von Freunden dem Schriftsteller, Maler und Kabarettisten ein ehrendes Andenken wahrte.

Der nun vorliegende Nachdruck dieser Erstausgabe von 1937 darf, durch die eigene Geschichte seines Entstehens bedingt, gewiß als ein rätselhaftes Buch gelten. Aber es ist ein höchst vergnügliches und ein Zeitzeugnis des nicht nur von Kurt Tucholsky so Geliebten und Verehrten eben auch. Dankbar darf man Herausgeber und Verlag zudem dafür sein, diesen Band durch eine CD mit Originalaufnahmen von Ringelnatz zu ergänzen.

In Memoriam Joachim Ringelnatz, Nachdruck der Erstausgabe von 1937, herausgegeben von Frank Möbus, Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2010ISBN 978-3-86650-371-7, 168 Seiten,22,90 Euro

Herbert Jahn

Frohes Fest!

Gunther von Hagens ist unsereinem als Gestalter von Ausstellungen gefledderter Leichen ja durchaus ein Begriff. Dass der Adelsspross verblichene Menschen – komplett oder per wählbaren Körperteilen aber auch für das traute Heim anbietet, erfährt erst, wer sich die Homepage seines Gubener Plastinariums zu Gemüte führt. Da es auf Weihnachten zugeht und allerorts die Suche nach dem beginnt, was man den Lieben auf den Gabentisch legen (oder stellen) kann, sei also von Hagens Offerte mit christlicher Güte wärmstens empfohlen. Inwieweit man aus dem Katalog kauft oder sich die Verblichenen des eigenen Familienkreises liebevoll für die Schrankwand aufarbeiten lässt, liegt dabei in jedermanns Ermessen. Ich jedenfalls habe mich schon entschieden. Ich zahle jeden Preis für ein Ganzkörperplastinat von Gunther von Hagens – es muss allerdings auch wirklich das Original sein!

Helge Jürgs

O-Töne

Der Gordische Knoten ist das Wappenzeichen der Regierungskunst und die fluchtartige Selbstentfernung aus dem Amt der neue Standardreflex des Politikers.

Thomas Assheuer
Die Zeit

Ich glaube, dass die Politik entweder daran krankt, dass die Ideen aus kleinen Köpfen in kleinere Herzen, oder dass sie aus kleinen Herzen in kleinere Köpfe übergehen.

Karl Kraus

Ich möchte für etwas eintreten, verlässlich, klar und eindeutig.

Stefan Mappus (CDU)
Ministerpräsident von Baden-Württemberg,
zum Festhalten am Bahnprojekt Stuttgart 21

Solche Projekte sind nötig, um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands über viele Dekaden hin zu sichern.

Klaus Zimmermann
Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung,
über Stuttgart 21

Die Menschen sind in zunehmender Zahl sehr unduldsam und wohlstandsverwöhnt.

Ulrich Goll (FDP)
Justizminister in Baden-Württemberg,
über Gegner von Stuttgart 21

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus und nicht von der Landesregierung, der Stadt Stuttgart oder der Deutschen Bahn.

Ernst-Gottfried Mahrenholz
Ex-Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts,
zum Widerstand gegen Stuttgart 21

Es ist eine Mär, dass das Geld für was anderes ausgegeben werden kann. Wissen Sie, wo das Geld landet? Beim Schäuble im Bermudadreieck.

Rüdiger Grube
Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn, zur Frage,
ob die Mittel für Stuttgart 21 auch anders verwendet werden könnten

Ich habe nur noch darauf gewartet, dass sie sagt, das ist eine Frage des Weltfriedens.

Sigmar Gabriel
SPD-Chef,
über die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Stuttgart 21

Aufgabe mit imaginären Größen: 1 sozialdemokratische Partei hat 8 Jahre 0 Erfolge. In wie viel Jahren merkt sie, dass ihre Taktik verfehlt ist?

Kurt Tucholsky,
dem natürlich noch nicht bekannt war,
dass die SPD erst jahrelang für Stuttgart 21 votieren,
bevor sie auch in dieser Frage nicht mehr wissen würde,
wie sie eigentlich dazu steht