13. Jahrgang | Nummer 13 | 5. Juli 2010

BEMERKUNGEN

Rede des Außenministers vor Arbeitslosen zur Verteidigung der aktuellen Sparpläne

Räusper, haspel, Bügelfalte.
Also … hmhm, ganz der Alte.
Nun zum Thema, kurz und gut,
Speichelregen, Wörterflut.
Daraus folgend, ähm, na ja:
Dr. W. sagt: bla, bla, bla.

Seufzer, somit, wie ich gleich noch,
was ich meinte: ja und nein – doch!
Jetzt ein Beispiel, Fahrt durchs Haar,
schwitzen, zeigen, sonnenklar.
Da: ein Fehler! Wo? Na da!
Dr. W. sagt: bla, bla, bla.

Kämpfen, ächzen, Wörter stemmen,
kürzer fassen, Sätze klemmen,
Hilfsverb fehlt, ist auch egal,
die Idee … verflixt noch mal!
Zeit ist rum, dem Schlaf so nah …
Dr. W. sagt: bla, bla, bla.

Bernhard Spring

Deutschland. Eine Bombenlücke

Einst stand hier ein bürgerliches Haus, Jugendstil, schön anzusehen, darin gesittete Bewohner, Bücher, gegessen wurde mit dem feinen Silberbesteck, die Kinder lernten Latein und Alt-Griechisch – sie zogen in den Krieg, sie lernten Deutsch.
Einige kamen zurück, als Krüppel, das Silberbesteck wurde zur Währung, ward verschwunden, die Bücher blieben, wurden später zum Teil aussortiert – unerwünscht. Stattdessen sah man Schiller, Schiller ward nicht mehr gesehen – vom Spielplan entfernt. Das Haus stand bis zu dieser einen Nacht, die restlichen Bücher verbrannten, die Augen der Bewohner wurden matt.
Nun sah man Lessing. Vorwärts sollte Es gehen, die Trümmer blieben liegen, die Kinder, die Garanten einer großen Zukunft, spielten darin, taten sich weh, die Zukunft blieb aus, die Trümmer verschwanden, man richtete sich ein, ein bisschen Holz aus dem ein Schuppen ward, Plastikteller und Besteck vom gleichen Material am Wochenende.
Vorbei war die Gemütlichkeit, jetzt hieß es alles umkrempeln, sich umkrempeln, die Plastikteller wurden gegen welche aus Pappe eingetauscht, das Besteck kannte nur noch einen Weg. Der Farbfernseher kam, alle zwei Jahre musste man sich zurückhalten, dann kamen die Freunde ins Land und wollten Gäste sein, verschecht wurde eine Fahne entblutet, erstmal eine Kleine, langsame Steigerung, alle spielen mit. Die Entblutung hatte funktioniert, denn es war ein Meer der Blutlosen – nie wieder vereinzelt im Geheimen stolz sein.
Die Freunde sind zu Gast in den Kolonien, eine Wäscheleine wird gespannt, eine große entblutete Fahne trocknet mit rostigen Klammern befestigt.
Das Haus steht nicht mehr, wir sind alle Bürger und haben es alle so gemütlich in unserer Bombenlücke Deutschland.

Paul

Als die friedliche Revolution nach Barth kam

Als der Monat Oktober schon fast zu Ende war, dachten die Leute in Barth, dass man langsam auch mal hier etwas für die Revolution tun müsse. Obwohl damals ja noch niemand von einer Revolution sprach. Erich Honecker war gerade verabschiedet worden und Egon Krenz hatte im Fernsehen angekündigt, daß man jetzt eine Wende einleiten werde. Das klang ein bißchen beängstigend, obwohl die Leute in Barth Egon Krenz ja kannten. Der hatte ein Haus in Dierhagen, das, was man damals eine Villa nannte, als man noch nicht wußte, wie eine Villa aussieht. Und manchmal besuchte Egon Krenz dann wohl seine Mutter in Barth und spazierte durch die Stadt und grüßte freundlich die Leute und die Leute wußten vor Schreck gar nicht, wie sie sich verhalten sollten. Aber jetzt hatte Egon Krenz keine Zeit mehr dafür, der Sommer war vorbei und viele Leute waren aus dem Urlaub gar nicht mehr zurückgekommen und deshalb mußte Erich Honecker weg und die Wende eingeleitet werden. Wenn man heute von der Wende spricht, dann zitiert man also eigentlich Egon Krenz und vielleicht sagen die Leute darum jetzt lieber Revolution oder noch besser friedliche Revolution, denn von Revolution hatten Erich Honecker und Egon Krenz ja selbst häufig gesprochen. Man kann da schnell durcheinander kommen.
Jedenfalls überlegten sich die Leute in Barth, daß sie auch ein Friedensgebet machen könnten. Friedensgebete waren nicht verboten, das waren ja kirchliche Veranstaltungen, Freiräume unter dem Dach der Kirche, wie man so sagte, dagegen konnte der Staat nichts machen. Und obwohl es ja noch keine Handys gab und kein Twitter und nicht diese sozialen Netzwerke (also eigentlich gab es natürlich jede Menge sozialer Netzwerke, aber nur offline, gewissermaßen) und man ja nicht eine Ankündigung in die Zeitung setzen konnte, sondern höchstens einen Zettel in den Schaukasten mit den kirchlichen Nachrichten, war das dunkle gotische Kirchenschiff voll mit den Leuten aus Barth und alle strahlten sich an und waren aufgeregt und warteten, was jetzt passieren würde. Der Organist fing schließlich an mit der Revolution. Er stellte sich in den Mittelgang mit einem Zettel in der Hand und sprach von 1953 und 1956 und 1968 und von Solidarnosc, so diese Sachen. Der Superintendent erzählte von einem Gesprächsangebot des Bürgermeisters und dass man am nächsten Tag ins Rathaus gehen und einen Dialog mit dem Staat führen könne und auf der Straße würden man keine Gesprächspartner finden. Damit meinte er natürlich die Demonstration. Aber die Leute aus Barth waren ja gerade in die Kirche gekommen, um hinterher zu demonstrieren, so wie sie es bei den anderen Leuten gesehen hatten und die meisten gingen dann noch zusammen die Lange Straße runter. Ein paar Leute verteilten am Ausgang Handzettel und wollten das Neue Forum auch in Barth gründen, aber dazu ist es dann nicht mehr gekommen.

Orkan Fahlsten

Kleiner Gruß für Angela

Frau Professor Dr. Angela Davis war in Berlin. Ich hab sie aus der Ferne gesehen. Ihre Haare sind noch die wunderbar gleichen wie damals. Etwas grauer, wie bei uns älter Gewordenen allen. Hätte ich Gelegenheit gehabt, mit ihr zu sprechen, würde ich ihr einen kleinen Witz aus jenen Jahren erzählt haben. Möglicherweise kennt sie ihn schon, und auch manche Leserinnen und Leser des »Blättchens« erinnern sich. Aber es gibt Witze, die darf man mehrmals erzählen. Dieser geht so:

Auf einer belebten Berliner Straße steht ein vierjähriges Mädchen und weint und weint und weint. Da kommen zwei Volkspolizisten dahergeschritten und fragen das Kind: »Warum weinst’n du?«
Unter Tränen bringt das Mädelchen stotternd heraus: »Ich hab mich verlaufen.«
»Das ist doch nicht so schlimm, hör auf zu heulen, wir bringen dich nach Hause. – Wo wohnst’n du?«
»Weiß ich nicht!«
»Wie heißt’n du?«
»Weiß ich auch nicht!«
»Wie heißt’n deine Mutti?«
»Mama«
»Kennst du denn überhaupt niemanden?« fragt der eine.
»Auf der ganzen weiten Welt?« ergänzt der andere, schon leicht ungeduldig.
»Doch«, sagt das Mädchen ohne zu überlegen, »Angela Davis.«

Liebe Angela, viel Glück auf allen Ihren Wegen!

Günther Drommer

O-Töne

Mutti hat in der Waschmaschine den Schongang für Vermögende und für die Klientel der FDP eingelegt, den Schleudergang dagegen für Arbeitslose, Familien und für Kommunen.

Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender, über das Sparprogramm von Bundeskanzlerin Angela Merkel

*

Was für eine Farce! 10.000 Priester ziehen sich in Rom Kostüme an, und einer behauptet, er spreche im Namen Gottes, und die anderen küssen seinen Ring. Dieses Entschuldigungsgerede dient doch bloß der Verdrängung. Wem verziehen wird, der muss sich nicht ändern.

Norbert Denef, Ex-Ministrant und Opfer sexuellen Mißbrauchs durch katholische Amtsträger, über die – so seine Worte – „pompöse(…) Entschuldigungsrede des Papstes“ am 11. Juni auf dem Petersplatz in Rom

*

Jesus wollte diese Kirche nicht.

Eugen Drewermann, katholischer Theologe, von seiner Amtskirche vom Pfarramt suspendiert und mit Lehrverbot belegt

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Natürlich. Wenn du ein anderes Land besetzt, dann mußt du dich die ganze Zeit verteidigen.

Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper Berlin, zur Behauptung der israelischen Regierung, die Gewaltanwendung gegen Hilfslieferungen für den Gaza-Streifen sein ein Akt der Selbstverteidigung gewesen

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Ich hatte einen grundsätzlichen, unantastbaren Spaß am Theater, der mir allerdings – als Zuschauerin – im Lauf der letzten Jahre … verloren ging. Ich gehöre noch zu der Generation, die Geschichten erzählen, sie nicht zerstören, zertrümmern, verlachen wollte. Ich kann die Heuchelei nicht mitmachen: Man langweilt sich fünf Stunden und jubelt dann über eine tolle Aufführung, weil da fünf Monitore auf der Bühne standen und zwölf Nackte mit Aldi-Beuteln in der Hand Klassiker-Texte stammelten.

Ursula Karusseit, Schauspielerin

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Es macht sehr viel Spaß, in diesen turbulenten Zeiten dieses Kreditinstitut zu führen.

Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, zu Spekulationen über seinen vorzeitigen Abgang

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Wirf den Bankier, wie du willst: er fällt immer auf dein Geld.

Kurt Tucholsky (1890 – 1935)

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Das ist ja blanker Hohn jetzt. Völliger Unsinn.

Karl-Theodor zu Guttenberg, Verteidigungsminister (CSU), zum Gerücht, er folge in Kürze Kanzlerin Angela Merkel nach

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Es gibt … genug Gründe dafür, daß gerade in solchen Fällen wie Liebe und Politik, von denen alle Welt etwas zu verstehen meint, die wenigsten Fortschritte erzielt worden sind.

José Ortega y Gasset, spanischer Philosoph, Soziologe und Essayist (1883 – 1954)