15. Jahrgang | Nummer 2 | 23. Januar 2012

Verkapptes Kriegsgeheul

von Erhard Crome

Zu den Eigenheiten der Geschichte der USA gehört, dass ihre Kriege in der jüngeren Vergangenheit nicht von den Konservativen, sondern von liberalen Präsidenten begonnen wurden. Der Demokrat Harry S. Truman war für den Korea-Krieg verantwortlich, John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson für den Vietnam-Krieg und seine Eskalation, Bill Clinton für den Jugoslawien-Krieg. George W. Bush als rechter Republikaner mit den Kriegen gegen Afghanistan und Irak war da eher die Ausnahme in der US-Geschichte, die aber hing mit dem 11. September 2001 und dem Konzept seines Vaters von der „neuen Weltordnung“ – dass die USA nach dem „Sieg“ im Kalten Krieg die uneinholbare Supermacht sein und bleiben sollten – zusammen.
Das Problem, das im Hintergrund steht, ist das der tatsächlichen oder gefühlten „Stärke“. Rechte Präsidenten gelten per se als stark. Deshalb konnten die republikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower und Richard Nixon den Korea- beziehungsweise Vietnam-Krieg beenden, ohne dass jemand ihnen Weichheit vorgeworfen hätte. Demokratische Präsidenten dagegen meinen, ihre „Härte“ immer wieder neu beweisen zu müssen und fürchten den Vorwurf, nicht genug Stärke zu zeigen. Zudem sind Kriegshandlungen bei einer solch großen Macht stets auch Moment der Innenpolitik: Immer wenn Bill Clinton eine Zuspitzung der politischen Auseinandersetzungen um sein Privatleben zu vergegenwärtigen hatte, ließ er Bagdad bombardieren, wegen angeblichen oder tatsächlichen Verstoßes gegen die nach dem zweiten Golfkrieg verhängte Flugverbotszone durch Saddam Hussein.
Vor diesem Hintergrund ist die Gefahr eines Iran-Krieges unter Barack Obama größer, als sie es unter Bush 2006 oder 2008 war, weil der nichts beweisen musste, was er mit den Kriegen in Afghanistan und Irak nicht schon bewiesen hatte. Wenn der Irak-Krieg ein militärischer und politischer Erfolg gewesen wäre, hätte der damals vorgeplante Iran-Krieg dessen Fortsetzung im Sinne der dem „Großen Mittleren Osten“ durch die USA verordneten Neuordnung bedeutet; so ließ die Niederlage in Irak den diesbezüglichen Eifer erlahmen. Obama dagegen steht wegen seiner Sozialpolitik im Innern ohnehin unter Druck. Die innenpolitische Situation ist durch die „Tea-Party-Bewegung“ in einer für die USA-Geschichte untypischen Weise extrem aufgeheizt, die wirtschaftliche Krisensituation mit hoher Arbeitslosigkeit hält an und Obama hat bereits Reduzierungen in den militärischen Planungen und eine Verminderung der Steigerung der Rüstungsausgaben angekündigt. Insofern wird im diesjährigen Wahlkampf um die Präsidentschaft bei einem Teil der rechten Klientel im Lande das Argument mangelnder Stärke greifen. Das „beste Argument“ Obamas dagegen ist ein neuerlicher, „gerechter“ Krieg, nun gegen einen so finsteren Feind, wie es den Drohbildern nach die Mullahs in Iran sind.
Die Szenarien sind klar. Es ist die Wiederauflage des Irak-Kriegs-Drehbuches: angebliche oder tatsächliche Massenvernichtungswaffen, Verhängung von „Sanktionen“, um die Bösewichter von weiteren Untaten abzuhalten, Erklärung, dagegen sei verstoßen worden, weitere Eskalation des Druckes und am Ende der Krieg. Es wird behauptet, die Sanktionen seien Formen „friedlichen“ Drucks und könnten den Krieg verhindern. Tatsächlich aber – und die Fälle Jugoslawien, Irak und Libyen haben das deutlich gezeigt – sind sie Teil der Vorbereitung des Krieges, einschließlich der Vorbereitung der Bevölkerungen in den westlichen Ländern auf den kommenden Krieg.
Und die Friedensbewegung, die Linke? Auf der alternativen Konferenz der Friedensbewegung in Bonn aus Anlass der Afghanistankonferenz der Herrschenden und Kriegsmächte im Dezember 2011 wurde vereinbart, rechtzeitig gegen diesen Krieg zu mobilisieren und nicht wieder so hilflos still zu verharren, wie im Falle Libyen. Auch da war es klar, dass Kritik der Kriegspolitik nicht Solidarität mit Gaddafi sein konnte.
Vor diesem Hintergrund ist es von besonderer Bedeutung, in welche Richtung die Positionierung auch in den linken Medien geht. Die Zeitung Neues Deutschland brachte in ihrer ersten Wochenendausgabe des neuen Jahres am 7. Januar 2012 auf Seite 1 einen Gastkommentar von Behrouz Khosrozadeh unter dem Titel: „Gefahr am Golf“. Der Autor, 1959 in Iran geboren, seit 1985 in Deutschland lebend inzwischen deutscher Staatsbürger, 2003 zu einem Iran-Thema promoviert und zeitweise an der Universität Göttingen lehrend, gilt als Kenner. Auf seiner Webseite findet sich der Hinweis, dass die USA seit 1991 drei Kriege „gegen muslimisch bevölkerte Staaten“ geführt haben. Unter Bush galt der Iran als „Kernstaat der ‘Achse des Bösen’. Für die Mullahs gibt es keine Garantie, nicht das nächste Angriffsziel Amerikas zu werden.“ Zugleich aber heißt es dort: „Doch der Siebzig-Millionen-Einwohner-Staat Iran ist weder Afghanistan noch Irak. Als einzig verbliebener ernst zu nehmender“ Staat, der den USA die Stirn bietet „auf der Bühne der Weltpolitik kann es sich der Gottesstaat nicht leisten, einen Präventivschlag Amerikas oder Israels gegen ihre Nuklearanlagen unbeantwortet zu lassen.“
Das klingt wie eine Kritik der USA-Politik und eine Erklärung der Position Irans. Die Manöver der iranischen Truppen in den vergangenen Wochen hatten das offensichtliche außenpolitische Ziel, dem Westen genau das vor Augen zu führen. Was aber schreibt nun Khosrozadeh in Neues Deutschland? Der Iran habe „eine sehr bedrohliche Konfrontationsgefahr heraufbeschworen“. Es wird der Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde über das iranische Atomprogramm vom Herbst vergangenen Jahres – von dem alle kritischen Experten gesagt hatten, er enthalte nichts Neues, keinen neuen Beweis für Atombombenbau, nur eine neue Kompilation bekannter Fakten – für bare Münze genommen und behauptet, der Iran habe nichts unternommen, um das zu entkräften. Schon bei Saddam Hussein war es so, dass seine Regierung erklären konnte, was sie wollte, es wurde vom Westen bestritten, eben weil es nicht um Sanktionen zur Kriegsverhinderung, sondern zur Kriegsvorbereitung ging.
Das scheint der Politikwissenschaftler Khosrozadeh vergessen oder verdrängt zu haben. Seine Pointe in diesem ND-Kommentar: „Schwerwiegende Sanktionen sind dringend vonnöten, um Iran zum Einlenken zu bewegen.“ Das allerdings hatte der Autor im Grunde zeitgleich bereits an anderen Stellen bekundet, so in der Berliner Zeitung am 9. Januar 2012 und im Dezember 2011 in der Jüdischen Zeitung. In letzterer war er noch etwas deutlicher: Die „internationale Gemeinschaft“ dürfe gegenüber den Ajatollahs „nicht tatenlos bleiben“, China und Russland trieben ein „doppeltes Spiel“, weil sie die westliche Drohpolitik nicht unterstützen, und „Europas Friedensaktivisten und Linke dürfen nicht dem Populismus Ahmadinedschads verfallen und ihn in seinem Insistieren auf das ‚legitime Recht des Iran auf friedliche Nutzung der Kernenergie’ und seinem vermeintlich mutigen Trotz gegen das ‚imperialistisch-kapitalistische’ Amerika bestätigen bzw. ermutigen.“ Mit anderen Worten: Wer die Kriegsvorbereitungen des Westens kritisiert, macht sich zum Erfüllungsgehilfen jenes iranischen Präsidenten und seiner Politik.
Es ist ja bekannt, dass zum Beispiel die iranischen „Volks-Modschahedin“ dem Krieg gegen den Iran das Wort reden; sie hatten einst in Iran gegen den Schah gekämpft, waren von den Islamisten dann unterdrückt worden, wurden im Ausland erst von Saddam Hussein und dann von der CIA bezahlt, standen auf den Terroristen-Listen des Westens, und wurden dort 2009 heruntergenommen, als der Iran-Krieg in den Vordergrund rückte. Eine solche Position aber in Neues Deutschland zu lesen, ist etwas Neues. Gegen den kommenden Krieg jedenfalls mobilisiert man damit nicht. Im Gegenteil, die Differenz zur Kriegspropaganda der Herrschenden verschwimmt – um es freundlich auszudrücken.