von Axel Fair-Schulz, Potsdam, N.Y.
Vom Regen in die Jauche meinte 1976 der gerade aus der DDR in die Bundesrepublik gekommene Wolf Biermann gereist zu sein. Inzwischen hat zwar der gewesene DDR-Liedermacher die ideologischen Hemden gewechselt, doch dieses sprachliche Bild bietet sich durchaus an, wenn man im Jahre 2011 seinen Blick von Obama hin zu den ihn in etwas über einem Jahr herausfordernden Republikanern schweifen lässt. Ohne Frage sind viele Amerikaner vom ersten schwarzen US-Präsidenten enttäuscht, denn so wenige seiner Versprechen und Zielsetzungen vor der historischen Wahl im November 2008, die ihn unter dem Banner von Hoffnung und Veränderung ins Weiβe Haus brachten, sind auch nur ansatzweise umgesetzt. Als progressiv eingestellter Mensch fühlt man sich von Obama und seinem Kabinett durchaus im Regen stehen gelassen. Doch was uns bei den Republikanern erwartet, ist nicht nur noch schlimmerer Regen, sondern leider eben auch gen Himmel stinkende ideologische Jauche, die uns alle einmal ersticken könnte. Ein in Chaos und Proto-Faschismus zerfallendes Amerika würde auch Europa mit in den Abgrund reiβen. Und diese Jauche hat seit der Präsidentschaft von Ronald Reagan (1981-1989) Aufwind, ja wird von Jahr zu Jahr giftiger.
Ist diese Metapher überzeichnet? Dies zu vermuten mag tröstlich sein, ist aber doch zugleich realitätsfremd. Schlieβlich sollten wir zumindest mit offenen Augen ins potenzielle Verderben gehen. Was für Kandidaten, was für Programme und was für Geldgeber sammeln nun sich bei den innerparteilichen Debatten um die Kür des republikanischen Präsidentschaftskandidaten oder der Kandidatin, denn zwei Frauen mischen kräftig mit? Die eine, Sarah Palin, ist sicher noch vom Wahlkampf des Jahres 2008 in guter oder weniger guter Erinnerung. Zwar hat sie sich inzwischen durchgerungen, auf ihre Präsidentschafts-Kandidatur zumindest für 2012 zu verzichten, doch ihre Popularität gerade bei der rechts-konservativen Stammwählerschaft ist nach wie vor enorm. Wer nun dachte, dass es sich bei den exotisch-reaktionären Ansichten der ehemaligen Gouverneurin von Alaska um Ausrutscher handelt, der wird nun eines besseren belehrt. In Palins Weltbild koexistierten damals Dinosaurier mit Frühmenschen, sie betete um die Erlösung der Menschheit von Hexerei und anderer Übel, zu denen allerdings die durch unsere Wirtschaftsweise forcierte Umweltzerstörung nicht gehörte. „Drill, baby, drill“ war vor drei Jahren ihre Antwort auf die Einwände derjenigen, die vor Amerikas suchthafter und selbstzerstörerischer Abhängigkeit von fossilen Energiequellen warnten. Auf die Begrenztheit der Weltölvorräte angesprochen, wies die damalige Vizepräsidentenkandidatin auf die noch unerschlossenen Ölvorkommen besonders in ihrem Heimatstaat Alaska hin. Seien diese nicht gigantisch genug, um die gegenwärtige amerikanische Lebensweise für lange Zeit aufrechtzuerhalten?
Solcherart Milchmädchenrechnungen haben Hochkonjunktur nicht nur im Dunstkreis der faschistoiden Tea Party, sondern zunehmend auch im Mainstream der amerikanischen Politik. Denn nicht nur bei Sarah Palin kann einem das Gruseln kommen. Michelle Bachmann, Kongressabgeordnete aus Minnesota und Darling der Tea Party, dominierte die ersten Debatten der Republikaner in den Bundesstaaten New Hampshire und Iowa. Und obgleich sie in den letzten Wochen von ihren rechten Mitbewerbern zunehmend überschattet wurde, ist sie nach wie vor einflussreich. Die studierte Steuerrechtsanwältin ist seit ihren Studententagen an der radikal-evangelikalen Oral Roberts University davon besessen, das amerikanische Rechtswesen nach biblisch- fundamentalistischen Vorstellungen umzustrukturieren. Bachmann hat es dabei besonders darauf abgesehen, den in der amerikanischen Verfassung verankerten Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche(n) zu revidieren. Die rhetorisch nicht unbegabte Juristin verbindet ihre religiöse Agenda mit scharfen Angriffen auf sozialstaatliche Strukturen, die sie selbstverständlich für Teufelswerk hält.
Neben Bachmann ringen Newt Gingrich, Rick Santorum, Ron Paul, Herman Cain, Jon Huntsman und Mitt Romney um die republikanische Nominierung zur Präsidentenwahl 2012. Gingrich, Santorum und Paul haben geringe Chancen, obgleich sie Palin und Bachmann in puncto erzreaktionärer Positionen nicht nachstehen. Ron Paul, der als prinzipientreuer Libertianer zwar die amerikanische Auβenpolitik der letzten Jahrzehnte von einem konservativ-isolationistischen Standpunkt aus kritisiert und deren Imperialismus anprangert, plädiert zugleich dafür, jegliche staatliche Sozialleistungen vollständig abzuschaffen. Jon Huntsman hat ebenso geringe Aussichten, ist aber unter all den Kandidaten im konservativen Lager der Vernünftigste. Obgleich gläubiger Mormone, hat sich der Ex-Gouverneur aus Utah doch durch aufgeklärt-konservative Ansichten hervorgetan. Huntsman legte sich besonders mit dem viel aussichtsreicheren Mitbewerber Rick Perry an, dessen fundamentalistische Angriffe auf die Evolutionsbiologie dem schwerreichen mormonischen Geschäftsmann und ehemaligen Top-Diplomaten zu weit gingen.
Perry, zurzeit texanischer Gouverneur und neben Romney wohl gegenwärtig aussichtsreichster Kandidat, boxte in seinem Bundesstaat durch, dass im Biologieunterricht gleichberechtigt neben der Evolutionsbiologie auch eine wortwörtliche Interpretierung des biblischen Schöpfungsepos, inklusive Adam und Eva nebst Schlange, angeboten werden muss. Und als evangelikaler Christ bekennt sich Perry voller Stolz zu den 234 Todesurteilen, die in seiner Amtszeit in Texas vollstreckt wurden. Erschreckenderweise erntete Perry tosenden Beifall seitens der Zuhörer, als er während der Fernsehdebatte der republikanischen Kandidaten seine Entscheidung bekräftigte, die entsprechenden Gnadengesuche abgelehnt zu haben.
Es bleibt zu fragen, was für politische und sozial-kulturelle wie auch sozial-ökonomische Pathologien derartige bizarre Glaubens- und Handlungsstrukturen begünstigen. Es ist auf jeden Fall sehr bedenklich, wenn ein politisches und wirtschaftliches System fragwürdige Figuren vom Schlage einer Sarah Palin oder eines Rick Perry in die oberen Etagen der politischen Macht Amerikas spült. Und wie lange eine Bruchlandung eben dieses Systems noch hinausgezögert werden kann, sollte es nicht zu einer grundsätzlichen Demokratisierung und Neuorientierung kommen. Noch ist es für Obama nicht endgültig zu spät, eben diese Wende mit auf den Wege zu bringen. Die von Republikanern wie Romney und Cain als “anti-amerikanisch” diffamierte Occupy Wall Street-Bewegung scheint an Dynamik zu gewinnen und könnte zu einem Kurswechsel weg vom Raubtierkapitalismus und hin zu einer neuen solidarischen Wirtschafts- und Sozialordnung nicht nur in Amerika beitragen.
Schlagwörter: Axel Fair-Schulz, Fundamentalismus, Obama, Präsidentschaftswahlen, Republikaner, USA