28. Jahrgang | Nummer 17 | 6. Oktober 2025

Nationalkonservative Konturen

von Jan Opal, Gniezno

Nationalkonservative Positionen gewinnen in vielen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union an Profil und Zustimmung. Die oft genug recht trotzig daherkommende Forderung, von Brüssel eine Art Rückgabe an sich unveräußerlicher nationaler Souveränitätsrechte zu verlangen, hat jedenfalls auffällige Konjunktur. Ein interessanter Sonderfall sind im Augenblick sicherlich die überdurchschnittlich hohen Zustimmungswerte für die AfD in Ostdeutschland, soweit diese Protestpartei ins nationalkonservative Spektrum eingeordnet werden kann. Aber nicht dieser Sonderfall soll hier interessieren – er ist auch eher für die deutsche Innenpolitik von Belang –, vielmehr soll eines der Flaggschiffe nationalkonservativer Politik in Europa kurz beleuchtet werden. Neben dem von Viktor Orbán regierten Ungarn gibt Polen spätestens seit Herbst 2015 bestes Beispiel, wohin die Reise geht. In folgenden drei Punkten lassen sich feste Konturen der politischen Absichten des von Jarosław Kaczyński geführten nationalkonservativen Lagers ausmachen:

Erstens wird der Umbau im Staatsaufbau angestrebt und immer wieder gefordert. Statt parlamentarischer Republik soll in Polen eine strikte Präsidialrepublik errichtet werden – dem direkt gewählten Präsidenten sollen Regierungsbildung und auch weitgehende Regierungskontrolle obliegen. Um dieses Ziel zu erreichen, soll eine neue Verfassung verabschiedet werden. Ein immer wieder vorgeschobenes Argument gegen die geltende Verfassung von 1997 ist, dass die Menschen damals – als sie über die Annahme der Verfassung abstimmten – noch keine rechte Vorstellung gehabt hätten vom Leben innerhalb der EU, jetzt aber könnten sie viel besser entscheiden, was gut sei für das Land und den Schutz seiner nationalen Souveränität. Die Wahlsiege von Andrzej Duda 2015 und 2020 sowie der von Karol Nawrocki in diesem Jahr sind den Nationalkonservativen genügender Beweis, dass sie unter plebiszitären Bedingungen die verhasste politische Konkurrenz schlagen können. Und Donald Trumps Wahlsieg im November 2024 gibt ihnen zusätzlichen Auftrieb.

Zweitens hat die Stärkung der nationalen Souveränität unbedingten Vorrang in allen politischen Überlegungen. Gezielt wird in zwei Richtungen: Einmal nach innen gegen sogenannte illegale Migration, hier ist natürlich jetzt US-Präsident Donald Trump mit seiner schrillen Anti-Migrations-Rhetorik der Leitwolf. Die Migrationspolitik in der EU laufe in eine völlig inakzeptable Richtung, die EU-Mitgliedschaft des eigenen Landes dürfe nicht dazu führen, dass Schlupflöcher für illegale Einwanderung zugelassen werden. Als ein Muster gilt den Nationalkonservativen das eigene entschlossene Vorgehen gegen die von Moskau und Minsk massenhaft organisierten unerlaubten Grenzübertritte aus Belarus nach Polen im Herbst 2021. Das äußere Ziel ist hingegen der Rückbau der EU zu einem Verbund souveräner Nationalstaaten, also die Rücknahme der viel zu weit fortgeschrittenen politischen Integration der Staatengemeinschaft. Faktisch läuft es auf die Wiederherstellung einer weiter gefassten Wirtschaftsgemeinschaft hinaus, wobei die „freiwerdenden“ Souveränitätsrechte wieder an die Mitgliedsstaaten zurückgegeben werden müssten. Wie weit dieser Rückbau erfolgen soll, ist im Detail nicht erkennbar, aber Vorbild waren immer die Tories, die einst wichtigster politischer Partner der polnischen Nationalkonservativen im EU-Parlament waren, bevor sie sich der politischen Integration gänzlich verweigerten.

Drittens verstehen sich die Nationalkonservativen als feste Burg zur Verteidigung der besonderen Rolle und Stellung der katholischen Kirche im gesellschaftlichen Leben Polens. Die Nationalkonservativen haben sich überaus wirksam als einziger nennenswerter Verbündeter der katholischen Kirche im politischen Raum in Position gebracht, was bedenkliche Folgen hat. Spätestens im Frühjahr 2015 wurde deutlich, dass maßgebliche und einflussreiche Kreise in der Kirchenhierarchie auf ein festes politisches Bündnis mit den Nationalkonservativen zielen und das in der Verfassung eingeschriebene politische Neutralitätsgebot für Kirchen und Religionsgemeinschaften verletzen. Daran hat sich seither nichts geändert, auch nach dem Herbst 2023 nicht – also nach dem Amtsantritt der liberal geführten Regierung unter Donald Tusk. Die katholische Kirche in Polen sieht sich nach dem erfolgreichen Referendum über die gleichgeschlechtliche Ehe in Irland im Frühjahr 2015 als letzte Bastion aufrechten Christentums innerhalb der EU. Die Nationalkonservativen behaupten, die einzige politische Kraft in Polen zu sein, die das Christentum als Grundlage der westlichen Zivilisation wirksam gegen die es von allen Seiten bedrängenden Angriffswellen schützen könne. Der Anteil, den die massive Unterstützung durch die katholische Kirche an den politischen Erfolgen der Nationalkonservativen hat, kann als sehr hoch angesetzt werden. Es ist kein Zufall, dass die Nationalkonservativen dort überdurchschnittlich gut abschneiden, wo die strukturellen Bindungen zwischen Kirche und Gesellschaft besonders fest und ausschließlich sind. In der gemeinsam von Kirchenführung und hohen Regierungsvertretern im Sommer 2019 vom Zaun gebrochenen Kampagne gegen den gesamten LGBTQ+-Bereich – die Regenbogenfahne wurde als neues Rotbanner verteufelt – konnte gut gesehen werden, welche reaktionäre gesellschaftliche Kraft da entfaltet wird. Und die unverhüllte Beschneidung elementarer Frauenrechte in der nationalkonservativen Regierungspolitik ist ein Ausdruck dieses politischen Schulterschlusses.