28. Jahrgang | Nummer 13 | 28. Juli 2025

Knirschen im Parteiengebälk

von Waldemar Landsberger

Die für den 11. Juli 2025 angesetzte Wahl von drei Richtern zum Bundesverfassungsgericht durch den Deutschen Bundestag wurde kurzfristig abgesagt. Für eine Kandidatin war die erforderliche Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten nicht mehr sicher. Da diese von der SPD nominiert worden war, wurde zunächst der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Jens Spahn, lauthals beschimpft – alle, die ihm ohnehin weiter sein Wirken als Bundesgesundheitsminister zu Corona-Zeiten vorwerfen oder die Christdemokraten sowieso für die falsche Kanzlerpartei halten, meldeten sich flugs mit ihren Anwürfen zu Wort. Weite Teile der öffentlich-rechtlichen Medien und der linksgrünen Presse unterstellten, nun sei das Bundesverfassungsgericht „beschädigt“. Niemand war allerdings bisher auf die Idee gekommen, der Bundestag sei beschädigt, weil Vizepräsidenten nicht gewählt wurden, die von jeweils gerade übelbeleumdeten Parteien vorgeschlagen wurden. Früher betraf das Lothar Bisky von der PDS, heute sind es Kandidaten der AfD.

Das Verweigerungsspiel der selbsternannten „Mitte“ ist stets dasselbe, nur wurde bisher nie das Argument vorgekramt, nun sei die Institution – hier der Bundestag, dort das Verfassungsgericht – „beschädigt“. Eher könnte man das vom Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages sagen, das eigentlich die Geheimdienste überprüfen soll. Da bleiben die CDU/CSU- und die SPD-Leute unter Hinzuziehung des staatsfrommen Grünen Konstantin von Notz unter sich, während die Kandidatin der Linken und die beiden Kandidaten der AfD gerade erst durchfielen. Das heißt, die Regierungskoalition kontrolliert ihre Geheimdienste, die beim Kanzleramt angesiedelt sind, selbst, ohne von der Opposition dabei gestört zu werden. Wie das mit der Rolle des Parlaments, der Gewaltenteilung und insbesondere der Funktion des genannten Gremiums vereinbar sein soll, müsste die Koalition dem staunenden Publikum noch erklären.

Die Wahl von Richtern zum Bundesverfassungsgericht ist normalerweise ein Vorgang, der eher geräuschlos über die Bühne geht. Dieses Oberste Gericht der BRD besteht aus zwei Senaten zu je acht Richtern. Gewählt werden die Richter jedes Senats je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat. Im Bundestag bestimmt ein Wahlausschuss die Kandidaten, die dann ohne Aussprache von den Abgeordneten zu wählen sind. Die Wahl ist geheim. Da die Abgeordneten „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden“ und „nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind, wie es im Grundgesetz heißt, kann der Fraktionsvorsitzende seine Fraktionskollegen nur ermuntern oder auffordern, so zu stimmen, wie die Parteispitze es möchte, respektive mit anderen Fraktionen vereinbart hat. Er erfährt jedoch nicht, wer bei der geheimen Wahl wie abgestimmt hat: hier ist geheim wirklich mal geheim.

Stein des Anstoßes dieses Mal ist die Personalie Frauke Brosius-Gersdorf, geboren 1971, Professorin für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Verfassungs- und Sozialrecht an der Universität Potsdam. Die Anforderung, die aus Sachsen-Anhalt gestellt wurde, mehr Bundesverfassungsrichter aus dem Osten zu berufen, erfüllt sie damit jedoch nicht. Brosius-Gersdorf stammt aus Hamburg, hat dort Rechtswissenschaften studiert, war dann wissenschaftliche Assistentin an der Universität Potsdam, wo sie sich 2010 habilitierte. Nach Zwischenstationen in Göttingen und Hannover ging sie 2021 zurück nach Potsdam, um diese Professur zu übernehmen.

Das Vorschlagsrecht hatte in diesem Falle die SPD. Beim sogenannten RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) wurde der Casus so beschrieben: „Zweifel an der 54-jährigen Jura-Professorin wurden in den vergangenen Wochen immer wieder von interessierten Kreisen gesät. Von der AfD, von rechtspopulistischen Medien, von katholischen Bischöfen und dann immer stärker aus der CDU. Grundlage waren Talkshow-Auftritte, Festschriften, Kommentare.“ Gemeint war: der Kandidatin, und weiter RND: „Brosius-Gersdorf wolle die AfD verbieten, Ungeimpften die Grundrechte entziehen, ungeborenen Kindern die Menschenwürde verweigern, befürworte sogar Abtreibungen bis zur Geburt. Das war entweder verkürzt, überspitzt oder im letzteren Fall gar böswillig falsch.“ Kurz vor der Abstimmung wurden noch Plagiats-Vorwürfe nachgeschoben, die sich jedoch rasch als unhaltbar erwiesen. Ohnehin scheint der Plagiats-Vorwurf, der stets pünktlich zur Stelle ist – wie in anderen Fällen der Stasi-Vorwurf – ein wohlfeiles Instrument zur Verunmöglichung von Personen zu sein, um die es gerade geht.

Abgesehen davon, wie hier die AfD, gewisse CDU-Kreise, „rechtspopulistische Medien“ und die katholische Kirche parallel agierten, hat das Problem doch mit dem historisch gewachsenen engen Verhältnis zwischen Christdemokratie und Kirchen zu tun. Noch bevor die Nominierung Brosius-Gersdorfs am 30. Juni 2025 öffentlich bekannt wurde, hatte – einem Bericht der FAZ vom 17. Juli 2025 zufolge – Ekkehart Reimer, Rechts-Professor an der Universität Heidelberg, am 25. Juni den Artikel zu Brosius-Gersdorf im Wikipedia ergänzt, nach eigenen Angaben wissend, dass sie nominiert werden würde. Sie habe sich in der von der Scholz-Regierung berufenen „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ engagiert und setze sich für das Recht des Gesetzgebers ein, Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen zu erlauben. Reimer meinte auch, er habe Brosius-Gersdorf als „Aktivistin“ wahrgenommen, „die über eine Neuinterpretation des Grundgesetzes ein deutsches „Roe versus Wade“ erreichen wolle. (Roe versus Wade war eine Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichts der USA aus dem Jahre 1973, dass ein Strafgesetz zum Schwangerschaftsabbruch das verfassungsmäßige Recht einer Frau verletze, über Abbruch oder Fortführung ihrer Schwangerschaft selbst zu entscheiden. Dieses Urteil wurde durch eine spätere Entscheidung des Obersten Gerichts von 2022 faktisch aufgehoben.) Darin sehe er, so Reimer weiter, einen „Bruch mit der gesamten bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ zu Artikel 2 des Grundgesetzes. Reimer ist im Nebenamt Vorsitzender des Cusanuswerks, des Begabtenförderungswerks der Katholischen Kirche in Deutschland. Im Grunde nahmen alle öffentlichen Positionierungen zu Brosius-Gersdorf bei diesem Wikipedia-Eintrag ihren Ausgangspunkt.

Lars Klingbeil, SPD-Vorsitzender und Vizekanzler, betonte nun, an der Personalie Brosius-Gersdorf festhalten zu wollen, schließlich seien die Unions-Bedenken wegen der Plagiatsvorwürfe ausgeräumt. Dass die Bedenken in der CDU im Kern ganz andere sind, blendet er damit aus. Wolfgang Thierse, Mitbegründer der SPD im Osten, ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestages und praktizierender Katholik, forderte von seiner Partei, die Schärfe der Kritik an den Kirchen zu mindern, die „Menschenwürde des ungeborenen Lebens“ gehöre zu den grundsätzlichen Überzeugungen der katholischen Kirche. Markus Söder, Chef der CSU und bayerischer Ministerpräsident, betonte, der Kandidatur fehle „der notwendige Segen“, Brosius-Gersdorf solle zurückziehen.

Im Grunde versucht die SPD, die bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 9,3 Prozentpunkte verloren hatte, hier wieder, sich gegenüber der Christdemokratie zu profilieren. Nur ist es das falsche Feld zur Auseinandersetzung und das falsche Thema. Da die Klingbeil-Partei jedoch kein wirkliches Profil mehr hat, keine Inhalte, die für die arbeitende Bevölkerung anziehend wirken, werden solche Versuche unternommen, sich in der Merz-Regierung wichtig zu machen.

Es knirscht im Parteiengebälk. Die Potsdamer Professorin scheint dessen Opfer zu werden.