28. Jahrgang | Nummer 12 | 7. Juli 2025

Grenzkontrollen

von Jan Opal, Gniezno

Bislang galt, dass der Reisende, wenn er zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice das Flussufer wechselt, kaum noch spürt, welche tieferliegende europäische Bedeutung der Grenze hier zukommt. Die Aufhebung umständlicher Grenzkontrolle nach Polens Eintritt in das Schengen-System im Jahre 2007 hatte den Alltag der Menschen auf beiden Flussseiten spürbar vereinfacht, nicht anders in den Neißestädten Görlitz und Zgorzelec, Guben und Gubin. An der Oberfläche plätscherte gefällig wie ungestört dahin, was auf festem Fundament ruht.

Ohne das große Versöhnungswerk zwischen Polen und Deutschen, in dessen Zentrum die nach dem Zeiten Weltkrieg gezogene Grenzlinie an Oder und Neiße stand, wäre jede östliche Erweiterung der Europäischen Union undenkbar gewesen. Es darf auch anders formuliert werden: Ein reibungsloses Funktionieren des EU-Betriebs setzt stillschweigend beste deutsch-polnische Beziehungen voraus. Sind die Beziehungen zwischen Warschau und Berlin verschnupft, merkt es auch der Rest des Staatenbundes recht schnell. Dass die guten Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn vor allem wirtschaftlich untersetzt und fundiert sind, hat sich als ein Segen herausgestellt, wenn auf hoher politischer Ebene doch gegen den Geist der Verständigung gesündigt wird.

Als Beispiel darf gelten, wie das damalige nationalkonservative Regierungslager aus innenpolitischen Gründen von Deutschland hunderte Milliarden Euro an Wiedergutmachung forderte für die Verbrechen und Zerstörungen während der deutschen Okkupation im letzten Krieg: Das Fundament der deutsch-polnischen Beziehungen hielt.

Wer sich in Warschau oder anderswo in Polen aufmerksam umhört, der wird nicht überhören, dass bei aller erklärten Bewunderung oder Achtung für den wirtschaftlich starken EU-Nachbarn Deutschland eine Sorge weithin mitschwingt, nämlich die über eine in die falsche Richtung führende Migrationspolitik. Wenn im nationalkonservativen Lager immer wieder das christliche Fundament der EU beschworen wird, kann erahnt werden, auf welch fruchtbaren Boden dieses Trommelrühren fällt. Verbreitet ist die Überzeugung, dass Einwanderung in dem Maße, wie sie Deutschland in den Jahren nach 1990 erlebt hat, unbedingt verhindert werden müsse, sonst drohe dem Vaterland ernste Gefahr. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im August 2015 die Landesgrenzen für die von den Bürgerkriegswirren im Nahen Osten flüchtenden Menschen weit öffnen ließ, rieb man sich in Polen verwundert die Augen. Doch die meisten beruhigten sich schnell, denn es betreffe ja weniger das eigene Land, das Ziel sei mit Deutschland ja klar vorgegeben.

Nun herrscht seit über einem halben Jahr in Deutschland eine völlig andere Stimmung, CDU-Chef Friedrich Merz sprach an der Jahresschwelle 2024/25 von einer regelrechten Notlage, so dass entsprechend gehandelt werden müsse. Er versprach, sobald er denn Bundeskanzler sei, die Rückkehr zu ständiger Polizeikontrolle an den Grenzen zu den Nachbarländern, denn illegale Einwanderung müsse hier gestoppt werden. Er betonte zwar, dass Deutschland das Schengen-System nicht verlassen werde, aber die Notsituation, in die das Land geraten sei, zwinge zu diesem radikalen Schritt und die betroffenen Nachbarländer mögen ein Einsehen haben. Die polnische Seite signalisierte schnell, entsprechend reagieren zu müssen, sollten die deutschen Grenzkontrollen länger anhalten. Und nicht hingenommen werde, wenn die an der deutschen Grenze zurückgewiesene Einwanderer nach Polen abgeschoben würden.

Ab 7. Juli kehrt Polen seinerseits zu Grenzkontrollen an der Oder-Neiße-Grenze zurück, zunächst befristet bis zum 5. August. Das Schengen-System funktioniert zwischen Deutschland und Polen reibungslos also nur noch im Luftverkehr, am Boden ist es faktisch ausgesetzt. Polens Ministerpräsident Donald Tusk reagierte mit dieser Anordnung auf den Druck, den das Kaczyński-Lager seit geraumer Zeit wegen der bereits bestehenden deutschen Grenzkontrollen billig anheizt. Die Tusk-Regierung habe die Kontrolle über das Land aufgegeben, Deutschland bestimme nun nach eigenem Ermessen über die Einwanderungspolitik in Polen.

Im nationalistischen Spektrum rechts von den Nationalkonservativen wurden „Bürgerwehren“ gebildet, die sich an der Oder-Neiße-Grenze demonstrativ als Landesschützer aufspielen, so als ob sonst niemand dort den Grenzschutz noch wahrnehmen würde. Staatspräsident Andrzej Duda begrüßt ausdrücklich die illegale Aktion, denn die besorgten Landsleute unterstützten lediglich den Grenzschutz, was ja ihr gutes Recht sei. Die Tusk-Regierung will nun der polnischen Öffentlichkeit entschlossen zeigen, dass der Grenzschutz in Polen zuverlässig funktioniere.

Die Rückkehr von Grenzkontrollen auf beiden Seiten von Oder und Neiße ist nicht die Ursache für einen schleichenden Krisenprozess innerhalb der EU, sie ist aber ein deutliches Symptom für selbigen. Die beiden konservativ-liberalen Regierungschefs zeigen sich entschlossen, wirken aber ratlos. Die Mittel, die sie nun einsetzen, gleichen dem Wasser, das auf die Mühlen der innenpolitischen Gegner gegossen wird. Wer auf beiden Seiten von Oder und Neiße dem Rückbau der EU von einer politischen Union zu einer reinen Wirtschaftsgemeinschaft sowie der Wiederherstellung der vollen nationalen Souveränität der Mitgliedsländer das Wort redet, darf frohlocken.

Falls Merz wie Tusk nach geeigneter Sommerlektüre suchten, so wäre der österreichische Schriftsteller Robert Menasse keine schlechte Wahl, der nach seinen beiden großen Europa-Romanen („Die Hauptstadt“ und „Die Erweiterung“) dem interessierten Leser zuletzt einen fulminanten EU-Essay „Die Welt von Morgen. Ein souveränes demokratisches Europa – und seine Feinde“ vorgelegt hat.