Das diesjährige, nunmehr 16. BRICS-Gipfeltreffen fand vom 22. bis 24. Oktober im russisch-tatarischen Kasan statt. BRICS ist – das sei erinnert – das Akronym aus: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Das erste Treffen der Präsidenten Brasiliens, Russlands und Chinas sowie des Ministerpräsidenten Indiens fand im Mai 2009 in Jekaterinburg, ebenfalls in Russland statt. Südafrika kam 2011 hinzu, nach dem Gipfel 2023 in Südafrika wurden zusätzlich Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate aufgenommen. Saudi-Arabien war nach seinem Antrag 2023 ebenfalls eingeladen, hatte seine Mitgliedschaft danach jedoch nicht formalisiert, war aber in Kasan offiziell vertreten. Argentinien hatte unter dem neurechten Präsidenten Milei seinen Antrag zurückgezogen.
Nach südafrikanischen Angaben hatten bis zum Sommer 2023 mehr als 40 Staaten Interesse an einer Mitgliedschaft gezeigt, 23 Staaten einen Antrag gestellt. In Kasan wurde die Aufnahme von 13 neuen assoziierten Mitgliedern bekannt gegeben. Dies sind Algerien, Belarus, Bolivien, Indonesien, Kasachstan, Kuba, Malaysia, Nigeria, Thailand, die Türkei, Uganda, Usbekistan und Vietnam – BRICS mit den Erweiterungen ist die Mehrheit der Weltbevölkerung.
Insgesamt nahmen in Kasan Delegationen von 36 Staaten teil, darunter 22 auf der Ebene der Staats- oder Regierungschefs. Wie das mit den Erweiterungen weitergeht, muss abgewartet werden. Die Differenzierung zwischen Vollmitgliedern und assoziierten Mitgliedern scheint gewollt und gibt den ursprünglichen BRICS-Staaten die Möglichkeit, den Gesamtprozess weiter zu kontrollieren. Die Vereinigung ist auch weiterhin ein Bündnis souveräner Staaten auf der Grundlage politisch-diplomatischer Zusammenarbeit, nicht eine internationale Organisation mit eigenen Institutionen, wie die EU oder die NATO. Daher hatte das Gipfeltreffen zwei Abschnitte: ein Treffen der Vollmitglieder der Gruppierung und eines der erweiterten Runde. Hier ging es um „BRICS und der globale Süden – gemeinsam eine bessere Welt aufbauen“.
Der Abstieg der nordatlantischen Welt und der Aufstieg der BRICS-Staaten sind zwei Seiten desselben historischen Vorgangs. In ihrer wirtschaftlichen Entwicklung verzeichneten die BRICS in den vergangenen Jahren höhere Wachstumsraten als die G7 und überholten sie 2020 im realen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Nach Angaben des IWF hatten die G7 im Jahre 2023 einen Anteil am globalen BIP (nominell – hier sind im Westen stets die parasitären Bilanzen der Finanzwirtschaft eingerechnet) von 42,9 Prozent, die BRICS-Staaten von 24,5 Prozent. Dabei verteilen sich die wirtschaftlichen Gewichte recht unterschiedlich. Das BIP Südafrikas liegt bei etwa 381 Milliarden US-Dollar, das Russlands bei 2,0 Billionen, Brasiliens bei etwa 2,2 Billionen und Indiens 3,6 Billionen. Bei China sind es 17,8 Billionen US-Dollar. Rechnet man die neu aufgenommenen Staaten des Verbundes von 2023 hinzu, kommt man bereits auf 26,9 Prozent Anteil am globalen (nominellen) BIP, mit den in Kasan assoziierten Staaten auf 31,7 Prozent. Durch die Erweiterungsprozesse der BRICS-Gruppe steigt also auch deren Gewicht in der Weltwirtschaft. In Kaufkraftparität gerechnet hatten die G7 1980 einen von Anteil am globalen BIP von 50 Prozent, die BRICS von 10 Prozent. Gegenwärtig verzeichnet die G7 einen Anteil von 29,48 Prozent, der Anteil der BRICS hingegen erhöhte sich auf 33,15 Prozent – das sind die Zahlen nur für die ursprünglichen BRICS-Staaten. Die Erweiterungen von 2023 und 2024 sind noch nicht eingerechnet.
Die westlichen Mainstream-Medien haben sich nahezu ausschließlich abfällig zu den BRICS im Allgemeinen und ihrem Gipfel im Besonderen geäußert. Putin habe „vor Kraft nicht laufen können“, es sei eine Veranstaltung gewesen, mit der Russland vor allem zeigen wollte, dass es global nicht isoliert sei. Ein eigenständiges Finanzsystem, das den US-Dollar als „Weltwährung“ ersetzt oder auch das westliche Abrechnungssystem SWIFT, sei nicht zustande gekommen. Außerdem sei das keine richtige internationale Organisation, mit Vereinssatzung und Vereinsvorstand, wie EU und NATO, sondern „nur“ eine Verbindung souveräner Nationalstaaten.
Auch wurde wieder versucht, dem BRICS-Verbund ein Etikett aufzukleben: „Westliche Demokratien kämpfen gegen einen Zusammenschluss von Autokratien.“ Während sich das aus Sicht westlicher Politikwissenschaft und Propaganda in Bezug auf China, Russland, Iran und Saudi-Arabien in gewissem Sinne behaupten ließe, sind Indien, Südafrika und Brasilien nach allen westlichen Kriterien Demokratien. Insofern verfängt dieses Scheinargument nicht – vorausgesetzt, der Betrachter schaut auf die realexistierende Wirklichkeit und nicht auf seine ideologischen Vorgaben.
Die feindliche Lesart des Westens war, BRICS sei ein „anti-westliches Bündnis“. Die BRICS+ verstehen sich als „nicht-westliches Bündnis“. Zudem will China keinesfalls eine Zerlegung des Weltsystems in zwei Teile – wie sie einst Stalin vorschwebte –, sondern seinen weiteren Aufstieg innerhalb des existierenden Weltsystems erreichen. Deshalb tritt es auch gegen die Zerstörung der globalen Weltmärkte auf, wie sie derzeit von den USA und der EU betrieben wird. Indien verfolgt nicht ein Konzept des „Non-alignment“, der Nichtpaktgebundenheit, wie in Zeiten des Kalten Krieges, sondern eines „Poly-alignment“, also der Pflege guter Beziehungen zu China und Russland und zugleich zu den USA und zur EU. Brasilien, Südafrika und Saudi-Arabien vertreten eine vergleichbare Position.
In Kasan wurde eine Reihe wichtiger Vereinbarungen getroffen. Insofern war Russland ein verlässlicher Gastgeber, aber nicht der alleinige Taktgeber. Chinas Präsident Xi Jinping schlug die Schaffung von Plattformen für den Technologietransfer vor, so ein China-BRICS-Zentrum für den Aufbau von Sonderwirtschaftszonen, ein BRICS-Kompetenzzentrum für die Entwicklung moderner Industrie, eine Plattform für künstliche Intelligenz und für Informationstechnologien. Putin regte eine Investitionsplattform zur Lenkung von Krediten und Kapitalströmen sowie eine Plattform für den Getreidehandel an, um Preisspekulationen entgegenzuwirken.
Brasiliens Präsident Lula betonte das, was die Länder des Südens am dringlichsten brauchen: ausreichend Nahrungsmittel, menschenwürdige Arbeit, gute öffentliche Schulen und Krankenhäuser. Vor allem ein Leben in Frieden. Hier stimmte er ausdrücklich dem türkischen Präsidenten Erdogan zu, der vor der UNO-Vollversammlung den Gazastreifen den „größten Friedhof der Welt für Kinder und Frauen“ genannt hatte. Lula übernimmt ab 1. Januar 2025 die BRICS-Präsidentschaft, Brasilien richtet das 17. Gipfeltreffen aus.
Besonders bösartig wurde im Westen die Teilnahme von UNO-Generalsekretär António Guterres in Kasan kommentiert. Stefan Kornelius, bekannter Scharfmacher von der Süddeutschen Zeitung, beispielsweise schrieb, das sei „Selbstdiskreditierung der Vereinten Nationen“. Das Luxemburger Tageblatt meinte, mit dem Besuch werde „das Völkerrecht ad absurdum geführt“. Die dänische Politiken dagegen wusste: Mit allen zu reden, sei die Idee der UNO.
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