Um die Jahreswende 1947/48“ – so Oskar Weggel in seiner in dieser Artikelserie schon des Öfteren zitierten „Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert“ (Stuttgart 1989) – „begann die dritte und letzte Phase des Bürgerkriegs, in deren Verlauf die Regierung ihre Kerngebiete und Eliteeinheiten verlor.“ Innerhalb weniger Monate kam es zu „drei großen Schlachten“, die der Guomindang „das Rückgrat brachen“: vom 12. September1947 bis zum 12. Januar1948 im Nordosten, vom 7. November 1948 bis zum 20. Januar1949 in der Region der zentralchinesischen Stadt Xuzhou (womit der Weg nach Süden frei gemacht wurde) und vom 21. November1948 bis zum 31. Januar 1949 in der Region Beijing [damals: Beiping] und Tianjin.
Unser Tag. Volkszeitung für Baden. Organ der Kommunistischen Partei widmete am 11. Juni 1948 den Ereignissen eine ganzseitige Darstellung. Unter der Überschrift „Das Volk Chinas befreit sich aus den Fesseln des Imperialismus“ stellte die Redaktion fest, dass „ganz China […] von der Flamme des Volksbefreiungskrieges erfasst“ worden sei, die Volksbefreiungsarmee „nach einjährigen Verteidigungskämpfen auf der inneren Linie“ eine „Gegenoffensive“ mit Frontverlagerung nach Süden eingeleitet habe und „auf dem ganzen Territorium zwischen dem Jangtsekiang [Yangzijiang], dem Huangho [Huanghe – Gelber Fluss] und dem Hankiang [Hanjiang]“ das „Banner der Befreiung aufgepflanzt“ worden sei. Eine Landkarte ermöglichte geografische Orientierung.
Den Hauptteil bildete „Eine Rede Mao Tse Tungs [Mao Zedongs] vor der Kommunistischen Partei Chinas“. Genaue Orts- und Zeitangaben fehlten ebenso wie ein Hinweis darauf, wie die Zeitung in den Besitz der Rede gekommen war und von wem die Übersetzung ins Deutsche stammte. Aber wie dem auch sei: Dies war vielleicht das erste Mal in der Presse in Deutschland überhaupt, dass Mao im ausführlichen Wortlaut zu lesen war. „Wir müssen“, erfuhren die Leserinnen und Leser, „die Kuomintang [Guomindang] besiegen, weil der von ihr entfesselte Krieg ein konterrevolutionärer Krieg ist, der vom japanischen Imperialismus gelenkt wird und gegen die Unabhängigkeit des chinesischen Staates und gegen die Freiheit des chinesischen Volkes gerichtet ist.“
Und Mao weiter: „Die Ziele des chinesischen Volkes waren nach der Beendigung des 2. Weltkrieges und der Niederringung des japanischen Imperialismus die Verwirklichung demokratischer Reformen, die Herstellung der Einheit und Unabhängigkeit des Landes und die Verwandlung Chinas aus einem Agrarland in ein Industrieland. Die Reaktionäre aus der Kuomintang begannen im Juli 1946 ihre konterrevolutionäre Offensive im ganzen Lande und rechneten damit, daß sie nur 3 bis 6 Monate brauchen würden, um die Nationale Befreiungsarmee zu zerschlagen. Sie [die Guomindang – W. A.] hatte die gesamte Ausrüstung der japanischen Millionenarmee, die China besetzt hatte, erbeutet und die amerikanische Regierung erwies ihr eine ungeheure militärische und finanzielle Unterstützung. Mehr noch, die Kuomintang glaubte, daß die chinesische Volksbefreiungsarmee durch den angespannten achtjährigen Krieg gegen die Japaner ausgepumpt und der Kuomintangarmee gegenüber an Zahl und Bewaffnung bedeutend schwächer sei. Die feudalen reaktionären Kräfte im Hinterland waren noch nicht liquidiert. Die Bodenreform war noch nicht vollständig durchgeführt. Das Hinterland der Volksbefreiungsarmee war noch nicht gefestigt.
Die Tschiang-Kai-Schek-[Jiang Jieshi-]Gruppe brach im Widerspruch zu den Friedensbestrebungen des chinesischen Volkes das Abkommen, das im Januar 1946 zwischen den Kommunisten und der Kuomintang unterzeichnet wurde. Sie verletzte so die Beschlüsse des politischen Konsultativrates, in dem die verschiedenen politischen Parteien und Gruppen vertreten waren, und begann die abenteuerliche Offensive gegen die Nationale Befreiungsarmee. Der Krieg, den die Volksbefreiungsarmee führt, ist in seinem Charakter ein vaterländischer, gerechter und revolutionärer Krieg und hat die Unterstützung des Volkes im ganzen Land. Das ist die politische Grundlage für den Sieg. Unsere Truppen schlugen die wiederholten Angriffe Tschiang-Kai-Scheks zurück, behaupteten die wesentlichen Positionen in den befreiten Gebieten und gingen zum Angriff über.
Die amerikanischen Imperialisten waren anfangs im Freudentaumel, in der Annahme, daß ihre Pläne zur Umwandlung Chinas in eine amerikanische Kolonie ungehindert ausgeführt werden könnten. Im Laufe der Zeit änderten jedoch die Kuomintang und ihre amerikanischen Herren den Ton. Jetzt ist die Zeit eingetreten, da alle inneren und äußeren Feinde von pessimistischen Stimmungen erfaßt sind.“
Zum Schluss fragte Mao, ob denn „die Reaktionäre in den verschiedenen Ländern wirklich auf eine ständige Hilfe aus Amerika rechnen“ könnten? „Nein“, gab er selbst die Antwort, „absolut nicht.“ Das „Aufblühen Amerikas während des Krieges“ sei „nur eine Zeiterscheinung“. Die „Krise“ bedrohe „wie ein Vulkanausbruch“ den amerikanischen Imperialismus, weshalb er „einen Plan zur Versklavung der Welt“ geschaffen habe, „zur Invasion in Europa, Asien und anderen Erdteilen, zur Vereinigung der reaktionären Kräfte der verschiedenen Länder in einer imperialistischen, antidemokratischen Front, einen Plan zur Vorbereitung des 3. Weltkrieges.“ Diesen Plan – so Mao weiter – müssten „die demokratischen Kräfte in der ganzen Welt […] vereiteln.“
Der Mao-Rede ließ Unser Tag noch eine Nachricht aus Nanking [Nanjing] vom 7. Juni 1948 folgen, wonach chinesische Regierungsbeamte angesichts der aus Washington gemeldeten „Kürzung der Marshallhilfe für China“ die USA beschuldigten, China – „da sich die Regierungstruppen ohne amerikanische Hilfe nicht halten könnten“ – der „kommunistischen Durchdringung“ zu überlassen und „Japan zur neuen anti-kommunistischen Grenzlinie im Fernen Osten zu machen.“
Die Schreibweise des jeweiligen Originals wurde beibehalten. Wird fortgesetzt.
Schlagwörter: China, Mao Zedong, Wolfram Adolphi