26. Jahrgang | Nummer 19 | 11. September 2023

Bisky trifft Pechstein

von Joachim Lange

Wenn es um die berühmtesten Künstlersöhne der Stadt Zwickau geht, kommt gleich nach dem Komponisten Georg Schumann der Maler Max Pechstein (1881-1955). So wie der expressionistische Brücke-Star in der Ausstellung „Entartete Kunst“ der Nazis vertreten war, so findet man ihn heute exemplarisch in jeder Expressionisten-Sammlung, die etwas auf sich hält.

Als der Zwickauer „Kunstverein Freunde Aktueller Kunst“ bei Norbert Bisky wegen einer Ausstellung anfragte, schlug der eine malerische Auseinandersetzung mit Max Pechstein vor. Etwas Besseres kann einem rührigen regionalen Kunstverein kaum passieren, als dass ein Star der Szene bereit ist, sich mit neuen Werken inhaltlich auf den Ort der Ausstellung und seine Heroen einzulassen.

Der 1970 geborene Bisky stammt aus einer prominenten DDR-Familie. Sein Vater Lothar war Chef der Filmhochschule und ein prominenter Politiker der Linken. Sein Bruder Jens ist Journalist und Autor.

Als Maler ist der Baselitz-Schüler Norbert Bisky längst eine Marke für sich. Das Spiel mit den Formen einer oft verächtlich gemachten figürlichen Ästhetik war für ihn schon während seines Studiums an der Universität der Künste in (West-)Berlin Ende der 90er Jahre auch eine Geste von Trotz und Neugier. Mit seinen Versuchen, damit zu spielen, wurde er – vor allem bei privaten Sammlern – schnell erfolgreich. Deren Reduktion auf einen schwulen Schönheitskult griff aber schon damals zu kurz, weil bei ihm hinter der schönen Fassade immer schon irgendein Abgrund lauert. Bisky ist nicht nur ein Könner, der souverän mit Farben und seinen Sujets umgeht. Seine Bilder haben eine suggestive Wirkung und provozieren konträre Urteile. Die einen verorten seine blonden Jungs schon mal in Riefenstahl-Nähe, anderen ist zu viel vermeintlicher sozialistischer Realismus darin verarbeitet.

Die auf Anhieb erkennbare Handschrift hat sich im Laufe der Jahre spürbar weiterentwickelt. Dezidierte Zeitgenossenschaft hat Bisky vor zwei Jahren in der Leipziger G2 Kunsthalle mit einer großen Schau unter dem Titel „Disinfotainment“ eindrucksvoll belegt. Mittlerweile hat sich seine nachhaltige Hinwendung vom einstigen blendenden Hintergrundweiß zu kräftigen expressionistischen Farben etabliert. Die sind der deutlichste Pechstein-Bezug – sonst ist es eher die Inspiration durch das Exotische oder das eine oder andere Zitat. Ein Kontinuum bleiben die realistischen Porträts und die Freiheit einer surrealen Entfesslung, die bei ihm bis ins Apokalyptische reicht. Das titelgebende Bild der Ausstellung „Im Freien“ (150×120) knüpft daran an. Vier Jungs in Bewegung – die Schwerkraft aufgehoben und die realen Größenverhältnisse von Blattwerk und Menschenmaß auch. Ein losgelöstes Austoben oder doch ein Absturz? Man weiß das nie so genau.

Es sind zwei Dutzend Öl-auf-Leinwandbilder vom handlichen 40×30- bis zum großen 200×150-Zentimeter-Format. Da nur fünf davon nicht aus diesem Jahr stammen, wird das Ganze quasi zum Werkstattbesuch. Dabei sind es nicht nur die Porträts der jungen Männer, die Norbert Biskys Bilder schon früh bevölkerten und auch hier dabei sind. Diese Schau beginnt mit „Siegrune“ von 2022 (170×130). Eine junge, attraktive Schwarze mit dem Namen einer Walküre. Sie hat Kopfhörer im Ohr, Blätter einer Bananenstaude über sich und hält ein Feuer in der Hand, während sich hinter ihr der Himmel ins Dunkle des Alls öffnet.

In „Langmatt“ aus dem Jahr 2018 (120×150) schweben über dem detailgetreu wiedergegebenen schweizerischen Langmatt-Museum zwei männliche Gestalten aus Biskys früheren Apokalypse-Visionen auf die Idylle zu, während sich die skizzierte Kontur einer Gestalt beobachtend in einer gelben Farbfläche abzeichnet. Das kann die malerische Vision einer entstehenden oder auch untergehenden Wirklichkeit sein. Es sind gerade diese Ambivalenz und der leichte Rückenschauer, den der zweite Blick auf Biskys Feier der Farben und der (zumeist männlichen) Schönheit in seinen Bildern bereithält, die ihren Reiz ausmachen. Davon gibt es in Zwickau eine beeindruckende Auswahl.

Ausstellung noch bis 29. September 2023: Zwickau Kunstverein Freunde Aktueller Kunst, Hauptstraße 60/62