Die Krise der Kultur, jajajajaja, das hören wir doch jeden Tag. Eine Musikschule macht dicht, eine kleine Bibliothek schließt, Orchester werden fusioniert, Kammermusikreihen stillgelegt, einem Kiez-Projekt geht die Luft aus. Das kennen wir doch alles bis zum Abwinken. Aber im Moment kommt es mir vor, als müsste man besonders oft „Mensch ärgere Dich nicht“ spielen: also auf eine gewürfelte Sechs warten und auf immer neuen Spielfeldern wieder und wieder von vorn beginnen, weil Musikmensch von Gesetzen, Verordnungen, Bürokratien, Verwaltungsrichtlinien oder gar politischen Entscheidungen ein ums andere Mal rausgekegelt wird. Es ist einfach nur ermüdend.
Das kleine Theater in meiner Heimatgemeinde hatte in den unseligen Corona-Jahren diverse Anträge auf Unterstützung bei „Neustart Kultur“ gestellt. Erst hieß es, dieses Programm ist für private Kultur-Unternehmer nicht vorgesehen, solche Firmen könnten nicht gefördert werden, dann hieß es: ja, es geht doch, aber nur im Rahmen eines anderen Förderprogramms, dort war dann die erbetene Fördersumme zu klein, im dritten Paket war sie zu groß. Zwischendurch brachen bei jeder Neuanmeldung nach vielstündiger Wartezeit regelmäßig die Server der online-Anmeldung wegen Überlastung zusammen. Also bitte: Neustart. Der befreundete Handwerker nebenan hatte schon dreimal Unterstützung erhalten und auch die Pandemie war fast vorbei, dann kam das Fördergeld. Das Theater hatte wundersamerweise überlebt – noch –und bezahlte von der Fördersumme die zuvor auf Pump gekaufte Licht- und Tontechnik für die Ausweichspielstätte, die sich einen Landkreis weiter befand und erstaunlicherweise bespielt werden durfte. Für die eigentliche Spielstätte, die wegen Corona gesperrt blieb, die aufzugeben aber Wahnsinn gewesen wäre, liefen in der Zwischenzeit die Miete und die Nebenkosten immer schön weiter.
Die Pandemie war vorbei, der Amtsschimmel wieherte und es kamen die Rückforderungsbescheide. Seitdem befindet sich das Team des Theaters zusammen mit Steuerberatern und Rechtsanwälten im Dauerstreit mit den Behörden über die „ordnungsgemäße“ Verwendung der Fördergelder. Auch mehrere meiner langjährigen freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen mussten erhebliche Teile der mühsam ergatterten Förderung zurückzahlen, weil sie davon Miete oder Strom bezahlt oder Essen gekauft oder gar getankt hatten. Bürokratische Schikanen aller Arten waren und sind noch bis zum heutigen Tag zu erdulden und der ganze amtliche Schriftverkehr läuft in dieser personenverachtenden Amtssprache ab, für die deutsche Behörden zu recht berüchtigt sind: Die Menschen als Künstler sind auch bloß ein Verwaltungsgegenstand; die Künstler aber als Bittsteller, die ein paar Brosamen von unser aller Steuergeld beanspruchen, das anderswo täglich in Millionenhöhe verschwendet wird, also diese freischaffenden Spinner, die bis Mittag schlafen und abends ein bisschen rumfiedeln, denen wird jetzt mal vorgeführt, wie eine ordentliche Verwaltung tickt und wo der Hammer hängt. Es kam mir in den letzten Jahren immer so vor, als wenn sich diejenigen der Gesellschaft, die am besten abgesichert sind, also Beamte und Verwaltungsmitarbeiter, nun endlich mal an denjenigen rächen konnten, die ihre Freiheit und Kreativität zu leben wagten. Aber wofür und warum?
„Sie können ihre Musik doch streamen“, hörte ein Komponistenkollege von einem Richter, der seine Klage abwies. Dieser „sachkundige“ Tipp bedeutet in praxi, 1000 Euro gegen einen Cent einzutauschen. „Wenn Ihnen was nicht passt, beantragen Sie doch Hartz-IV, die nehmen alle auf“, hörte eine andere Kollegin im Amt. Da blitzte sie immer wieder auf, die typisch deutsche Verhaltensweise: Es wird etwas getan für die Bedürftigen, ja, es gibt Hilfe, aber sie wird in einer Weise präsentiert, dass das Gesicht der Betroffenen entweder schamrot oder zornesbleich wird.
Auch nach der Pandemie ging es in diesem Gutsherren-Stil weiter. Die (Kultur-) Behörden, nutzten und nutzen ihre Machtfülle viel stärker aus als früher. Ein Beispiel: Zwei Gemeinden weiter wurden der Musiklehrerin die Kurse für die musikalische Früherziehung in der Kita gestrichen. Die Räume würden benötigt. Die Kollegin bietet die Kurse seit 15 Jahren in dieser Kita an: Die Kinder sind begeistert und die Eltern zufrieden. Die Begründung der Verwaltung lautete wie folgt: Bei der Durchführung der Kurse in den Räumen der Kita steht der benötigte Raum (einer) den anderen Kindern in diesem Zeitraum (eine Stunde) nicht zur Verfügung; der Kurs stellt also eine Ungleichbehandlung derjenigen Kinder dar, die nicht daran teilnehmen. Die Kurse finden übrigens nachmittags statt, die Hälfte der Kinder ist schon zu Hause und es ist auch nur noch eine Erzieherin da, die die Spätschicht betreut und sich über die Entlastung freut. Alle Eltern bekamen die Info, das die Kurse weitergehen werden und: Der Landkreis bemühe sich, „eigene Formen“ der künstlerischen Anregung für die Kinder zu entwickeln. Personal dafür ist natürlich nicht da und wird auch nie da sein, woher auch, wenn noch nicht mal die Inhalte feststehen. Auch einen Anfangstermin für neue Angebote gibt es nicht. Es wird nie einen geben, denn der Landkreis muss ja die „eigenen Formen“ der Bildung erst entwickeln. Denn um etwas zu tun, muss man es können, also den Stoff vorher selber erlernt haben. Dazu gibt es Hoch- und Fachschulen, Lehrpläne und Forschungsergebnisse. Die Musiklehrerin hatte das hinter sich und konnte es, aber sie war freiberuflich, gehörte also nicht zum Verwaltungsapparat der Abgesicherten. Schwups, avancierte sie zur „Unternehmerin“ mit finanziellen Interessen zulasten der Allgemeinheit.
Die Kollegin klopfte noch an viele Kitatüren und erhielt nirgendwo einen Raum. Irgendwann flüsterte ihr jemand hinter vorgehaltener Hand zu, dass die Verwaltung, der Landkreis, die „da oben“ versuchten, generell alle Fremdanbieter (Kapitalisten, Profitmacher, Ausbeuter) aus den Kitas zu verbannen, weil in öffentlich finanzierten Räumen kein privater Geschäftsbetrieb durchgeführt und Gewinn erzielt werden soll. Das Ganze ist aber leider sehr kurzsichtig gedacht. Denn Kinder, deren musische und sportliche Neigungen früh gefördert werden, sind logischerweise die besseren Schüler, die besseren Studenten und Lehrlinge und die besseren Fachkräfte, Erfinder, Handwerker und Lehrer, deren Fehlen an allen Ecken und Enden zu spüren ist. Das weiß doch wirklich jeder Mensch und die Landesregierung äußert sich immer in dieser Weise. Nur die Praxis sieht eben anders aus und wenn dieses Denken und Handeln erst mal in der Kitas Fuß fasst, dann sind bald die Grundschulen dran, danach alle anderen Schulen und damit wären alle privaten Musikpädagogen und alle Musikschulen des Landes betroffen, die keine eigenen Räume haben. Schulen aller Art mit ihren auf den Vormittag konzentrierten Unterricht und Musikschulen mit Unterrichtsangeboten am Nachmittag sind eigentlich die ideale Symbiose. Aber offenbar soll das nicht so sein. Ist es Politik, steckt ein Plan dahinter, und wenn ja, welcher? Ist es die Dummheit einzelner Entscheidungsträger, ist es Zufall? Nichts Genaues weiß man nicht. Deshalb gilt wieder mal: Mensch, ärgere dich nicht, würfle eine „6“ und fang von vorne an. Bitte haben Sie etwas Geduld, derzeit sind alle Leitungen belegt …
Schlagwörter: Bürokratie, Kindergarten, Krise, Kultur, Musikerziehung, Schule, Walter Thomas Heyn