26. Jahrgang | Nummer 14 | 3. Juli 2023

Pyrozän

von Stephan Wohanka

„Stoppt die Heizungsideologie!“
Protest aus der bürgerlichen Mitte

 

Es wäre doch so leicht. Man lässt die Ampelkoalition platzen und verjagt über die dann notwendige Bundestagswahl die Bündnisgrünen aus der Regierung. So wäre man nicht nur die grüne „Heizungsideologie“ los; mehr noch, man rettete Deutschland vor dieser Besserverdiener-Partei mit ihrem „Heiz-Hammer“-Habeck an der Spitze. (Die „feministische Außenpolitik“ hätte man gleich noch mit abgeräumt).

Etwa auf der gleichen geografischen Breite, aber auch noch südlich davon, sahen sich Menschen mit ganz anderen Herausforderungen konfrontiert – mit ausufernden, nicht mehr kontrollierten Waldbränden und giftigen Rauchschwaden, die den Himmel verdüsterten und den Atem nahmen. Nach Medienberichten sind in Kanada – um die Brände dort geht es – in diesem Jahr bereits 37.000 Quadratkilometer abgebrannt. Haben Sie eine Ahnung, welches Gebiet hierzulande hätte abbrennen müssen, um diese Größenordnung zu erreichen? Ich wusste es auch nicht; ich sage es Ihnen: Sachsen und Thüringen zusammen, das Saarland käme noch hinzu; so in etwa. Nun ist das riesengroße und „menschenleere“ Kanada nicht mit dem dicht besiedelten kleinen Deutschland zu vergleichen; nur 11.000 Bewohner mussten in der Provinz Québec ihre Häuser verlassen. Alles halb so wild.

Wie verheerend diese Feuer wirklich sind, zeigte sich in New York und Washington, also 1000 Kilometer vom Brandherd entfernt. Nicht nur, dass es dort intensiv nach Verbranntem roch und der Himmel gelblich-grau changierte; nein, die Luftqualität war so schlecht, dass der „Code Red“ ausgerufen wurde. Menschen eilten mit Atemmasken durch verdüsterte Straßenfluchten, es kam zu Schließungen von Schulen, Kindergärten; Broadway-Aufführungen wurden gestrichen ebenso wie Flüge; es habe „Notstand“ geherrscht. Man stelle sich das Ganze auf europäische, geschweige denn inländische Dimensionen bezogen vor… wobei die kanadische Rauchwolke schon Norwegen erreicht hatte.

Ein globaler Blick zeigt – es brennt weltweit immer mehr, immer früher und auf immer größeren Flächen. Nicht wenige damit Befasste sehen schon das Anthropozän, also das Zeitalter, in dem der Mensch sich selbst zur tellurischen Kraft machte, übergehen in das Pyrozän – die geochronologische Periode des Feuers. Die Ursachen dafür liegen auf der Hand: zu wenig Regen, Trockenheit, hohe Temperaturen bei geringer Luftfeuchtigkeit, ausgedörrte Wälder, umspringende Winde – und schon genügt der sprichwörtliche Funke, um eine Feuerbrunst auszulösen. Zugrunde liegt dem Ganzen der aus Verbrennung fossiler Rohstoffe getriebene Treibhauseffekt …

Peter Sloterdijk publizierte vor Kurzem die Schrift „Die Reue des Prometheus. Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung“. Dem Mythos nach stahl Prometheus den Göttern das Feuer und brachte es den Menschen. Beginn einer fatalen Fehlentwicklung? Natürlich nicht! Erst die Zähmung des Feuers machte den Menschen zum Menschen. Aber selbst das „gezähmte“ Feuer ist immer noch mythisch umflort. Es mag sein, dass es immer noch einen „gewissen pyromanischen Anarchismus in uns gibt, der als Residuum im Gemüt da ist“, schreibt Sloterdijk. Nur so ist zu erklären, dass die Pläne ums Heizen hierzulande zu einem Kulturkampf ausarten. Den Ton setzte ein Medium, das unter dem Einfluss eines Mannes, Matthias D., steht, der „sehr für den Klimawandel“ ist; „Zivilisationsphasen der Wärme waren immer erfolgreicher als solche der Kälte.“ Auf einen ersten, durchgestochenen Entwurf eines einschlägigen Gesetzes rekurrierend, fand man dort die eingängige, schon zitierte Wortschöpfung: den „Heiz-Hammer“. Das jüngste und wohl lauteste Beispiel in der Sache war die Protestaktion in Erding; organisiert „aus der bürgerlichen Mitte heraus“. Die 13.000 Menschen dort erlebten einen Hubert Aiwanger, Chef der bayrischen Freien Wähler, der zur Rückeroberung der Demokratie aufrief, von der er gerade Gebrauch machte. In der Menge wurden Plakate hochgehalten, die sich die Grünen wahlweise „an die Ostfront“ wünschten oder sie gleich, „solange es noch Bäume gibt“, daran aufknüpfen wollten.

Völlig untergegangen ist in der hysterischen Debatte, dass das Gesetz ein Gesetz der Ampel-Regierung ist. Federführend wurde es von den Bündnisgrünen und der SPD, also von Robert Habeck und Klara Geywitz erarbeitet. Prügelknaben sind aber eindeutig und ausschließlich die Grünen. Alle Versäumnisse, Fehler, Kommunikationsdefizite der dilettierenden Bundesregierung wurden auf Habeck projiziert.

Dass die Grünen und Habeck die Dresche abkriegen, spricht insofern für die Partei und ihn, dass man in beiden die Sachwalter für Ökologisches wahrnimmt. Die Kehrseite dessen ist, so auch zur Zielscheibe zu werden für Ängste und Frustrationen, die die Zumutungen auslösen, Lebensgewohnheiten, Eingeübtes, „War-schon-immer-so“ zu verändern oder hinter sich lassen zu sollen. Man „findet“ dann eine Minderheit, eine Gruppe, der man die Schuld zuweist, die zum Ventil für die innere Aggressionen gemacht wird. Diese Gruppe ist der „Überbringer“ vermeintlich schlechter Nachrichten; die beispielsweise auf die wissenschaftliche Dringlichkeit notwendiger Änderungen hinweisen. Der Bote der schlechten Nachricht wird automatisch mit dieser verknüpft und die Betroffenen finden eine mögliche Erklärung für die Nachricht in den Absichten des Überbringers. Die wie die Nachricht selbst nur schlecht sein können. Das Problem mit schlechten Nachrichten ist: Sie zu ignorieren, beseitigt nicht ihren Gegenstand: Die menschengemachte Erderwärmung und nötige Gegenmaßnahmen sind dringlich wie nie zuvor. Und nur eine Sache ist schlimmer als schlechte Nachrichten überbringen zu müssen: schlechte Nachrichten zu spät zu überbringen! „Töte nicht den Boten“, mahnte Sophokles. Heute droht, siehe oben, bis dato wenigstens nur eine verbale Hinrichtung des „Boten“; realiter wird er politisch „abgestraft“: Die Beliebtheit der Grünen ist gemessen an Vorwahlzeiten im Keller.

Wärme und damit das Heizen hat, ähnlich der Ernährung, viel mit dem Alltag und dem Lebensstil der Menschen zu tun. Es ist so stark mit Gefühlen – „mir ist kalt“ –, Vorlieben und Gewohnheiten besetzt und nur mit „kühler Ratio“ eines so technischen Themas wie einem „Gebäudeenergiegesetz“ ist keine Politik zu machen. Zumal dann nicht, wenn man als Regierung unzureichend agiert und gegen eine Opposition steht, die wie die CDU im Kulturkampfmodus von „Heizungswahn“ schwadroniert. Auf der Website der CDU-Kampagne „Fair heizen statt verheizen“ kann man lesen: „Verheizt nicht mein Zuhause“, „Verheizt nicht mein Erspartes“, „Verheizt nicht mein Lebenswerk“. Hier wird bewusst mit Verbots- und Enteignungsszenarien gespielt, die weit über das hinausgehen, was mit dem Heizungswechsel tatsächlich verbunden wäre. Damit schrammt die Union nahe an Narrativen der Rechtspopulisten entlang, die seit jeher Bundesregierungen vorwerfen, eine – in diesem Falle – Ökodiktatur im Land einführen zu wollen. Und wenn die CDU begrifflich mit „Heiz-Stasi“ sekundiert, dann sind die populistischen Narrative von einer demokratischen Partei geadelt.

Dabei käme gerade der Union hier und jetzt eine eminent wichtige Rolle zu. So wie seinerzeit nur eine SPD-geführte Bundesregierung die in Teilen den Sozialstaat schleifende Hartz-Gesetzgebung durchsetzen konnte, so können analog dazu nur die Konservativen den Deutschen die Augen öffnen, dass sie ihr altes Leben nicht mehr zurückbekommen (können). Wenn überhaupt, kann nur eine politische Kraft rechts der Mitte die nötige Glaubwürdigkeit für skeptische bis ablehnende Milieus in Ost und West aufbringen, diesen klarzumachen, dass sich ihr Leben wird ändern müssen. Statt Kulturkampf dagegen, Kulturkampf dafür!

Am Ende wird es nicht falsch gewesen sein, lange Jahre einen „Verbrenner“ gefahren und mit Öl und Gas geheizt zu haben. Aber nur, wenn wir jetzt die Kurve kriegen, das „Zeitalter des Feuers“ noch abwenden können und die „globale Brandstiftung“ abzustellen vermögen.