Die Grafikstiftung Neo Rauch in Aschersleben feiert ihr zehnjähriges Bestehen – mit einer Ausstellung ihres Bestandes der Druckgrafik des Malerstars seit 1988.
Den Namen Neo Rauch muss man längst nicht mehr erklären. Seine Bilder hängen in allen bedeutenden Sammlungen zeitgenössischer Malerei. Trotz – vielleicht auch wegen – seines Beharrens auf dem Figürlichen. Eigenwillig herbeigeträumte Gestalten und Motive bevölkern eine eigene Welt. Sie sind auf den ersten Blick als Neo-Rauch-Kreationen erkennbar; leicht zu enträtseln sind sie gleichwohl nicht. Wenn überhaupt. Seine Malerei simuliert Nähe zum Betrachter – durch Wiederholung und Variationen. Sie hält ihn aber auch auf Distanz durch die Rigorosität, mit der er nicht nur in seine eigene Welt abtaucht, sondern sie auch schafft. Bei Bildern von Neo Rauch gehört es zum ästhetischen und intellektuellen Vergnügen, dass sie sich oder ihren Schöpfer eben nicht völlig entblößen.
Von sich gibt der Maler auf ganz andere Weise etwas preis: die Verbundenheit zu Aschersleben, der Stadt seiner vom frühen Tod der Eltern überschatteten Kindheit. Die taucht nicht nur in den Bilderträumen auf. Er hat ihr mit der Grafikstiftung zu einem echten Schmuckstück verholfen. Diese Grafikstiftung wurde gemeinsam mit der Stadt Aschersleben, Neo Rauch, seinem Galeristen Gerd Harry Lybke und Kerstin Wahala gegründet. Der Namensgeber sorgt mit jeweils einem Exemplar seiner grafischen Editionen für den stetig wachsenden Bestand.
Am 1. Juni 2012 öffnete die Grafikstiftung mit einer Auswahl von Grafiken Neo Rauchs aus eigenen Beständen erstmals ihre Pforten – in einem höchst gelungenen, maßvoll modernen Gebäude, das den auch sonst liebevoll (und mit erheblichem Aufwand) hergerichteten Besthornpark am Rande der historischen Innenstadt ziert.
Im Prinzip wird hier Rauchs druckgrafisches Werk gesammelt und zugänglich gemacht. In Einzelausstellungen werden seine Arbeiten auch zu Werken anderer Künstler ins Verhältnis gesetzt. Etwa von Kollegen oder Lehrern, an denen er sich gerieben hat und gewachsen ist. Oder von Schülern, die von ihm inspiriert wurden und sich mit einer eigenen Handschrift emanzipiert haben. Ein Beispiel war die bis März 2022 gezeigte Ausstellung „Vorder-Mittel-Hintergrund“, die auch Werke des 1940 in Zwickau geborenen väterlichen Malerfreundes Hartwig Ebersbach und des 1980 in der Schweiz geborenen einstigen Meisterschülers Stefan Guggisberg zeigte.
Jetzt, zum Zehnjährigen, präsentiert sich die Stiftung quasi als solche und zeigt in den nächsten zwei Jahren (geplant ist bis Ende April 2024) ihre Schätze. „Neo Rauch. Der Bestand. Druckgrafik seit 1988“ ist denn auch der sachliche wie treffende Titel. Die von der neu installierten Beleuchtungsanlage profitierende Präsentation hält, was ihr Titel verspricht. Eine informative, strenge Chronologie liefert eine Zeitleiste mit ausgewählten Drucken am Eingang. Die Ausstellung selbst folgt aber ihrer eigenen, verführerischen Logik.
Ohne dass der Besucher dazu gezwungen wird, lange Texte zu lesen, sprechen die Drucke für sich selbst. Die Ausstellungsmacher haben sogar auf Titel neben den Blättern verzichtet – die Informationen gibt es natürlich separat. Außerdem hat der E.A.Seemann Verlag ein Bestandsverzeichnis als deutsch/englisch betexteten Hardcover-Katalog herausgebracht, der sich schon wegen der exzellenten Reproduktionsqualität der Abbildungen lohnt. Diese Beigaben sind heutzutage längst keine Selbstverständlichkeit mehr.
Es sind 155 vorwiegend Lithografien, weniger Radierungen und Siebdrucke ganz unterschiedlicher Formate zu sehen, die die verschiedenen Drucktechniken ebenso belegen wie die Entwicklung der künstlerischen Bildsprache Neo Rauchs. Die Blätter aus den Jahren 1988 bis 1993 entstanden zum großen Teil an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, an der Rauch ab 1981 bei Arno Rink studierte und von 2005 bis 2009 Professor lehrte. In den Jahren zwischen 1993 und 2011 entstanden vor allem ausstellungsbezogene Entwürfe für Plakate – eine Entdeckung sind die Originaldrucke für eine Reihe von Buchumschlägen.
In den letzten Jahren nahm die Bedeutung der Druckgrafik für die Malerei Neo Rauchs zu. Der nennt seine Grafiken zwar gerne „Beifang“, aber ohne geringschätzigen Unterton. Er wirft die, verglichen mit seinen großformatigen Tafelbildern, kleinen Fische auch nicht zurück ins Meer der Skizzenblätter. Er hat sich mit den gleichsam protokollierenden Gaben nach Aschersleben selbst einen Ort der Reflexion seines Werkes geschaffen, um den ihn viele Kollegen möglicherweise beneiden – oder beneiden könnten.
Die Grafikstiftung ist übrigens nur ein paar Fußwegminuten vom Bahnhof Aschersleben entfernt.
Neo Rauch: Der Bestand. Druckgrafik seit 1988. Ausstellung in der Grafikstiftung Aschersleben. Öffnungszeiten: Mittwoch–Sonntag (März bis Oktober 11–17 Uhr. Eintritt 5,00 Euro. Katalog erschienen bei E.A.Seemann (In der Grafikstiftung ist der Katalog zum Vorzugspreis von 32,00 Euro erhältlich.)
Schlagwörter: Aschersleben, Ausstellung, Druckgrafik, Joachim Lange, Neo Rauch