25. Jahrgang | Nummer 4 | 14. Februar 2022

Briefversand

von Renate Hoffmann

Sophie von La Roche, Schriftstellerin und langjährige Freundin des Dichters Christoph Martin Wieland, bittet ihn brieflich: „[…] Fahren Sie fort, mir diesen Winter noch zu schreiben. Sie werden mich dadurch sehr verbinden, denn ich bin ganz allein, gehe kaum aus. […] Adieu. Nächstens mehr; die Post will abgehen.“ – Gotthold Ephraim Lessing an Eva König, seine spätere Ehefrau: „Freilich hätte ich Ihnen öfter schreiben sollen. […] Aber ich weiß selbst nicht, was bald diesen, bald jenen Posttag, eben in dem Augenblicke, da ich mich hinsetzen wollte zu schreiben, mich leider daran (hat) verhindern müßen.“

Im 18. Jahrhundert stand die Briefkultur in Blüte. Der handgeschriebene Brief, heutzutage eine außergewöhnliche, aber schätzenswerte Art des Austausches, damals eine wichtige Quelle der Verbundenheit miteinander. Traurige und beglückende Ereignisse, Gefühle, Geständnisse, Sehnsüchte, Überschwang, ein wenig Klatsch. Man scheute nicht davor, sich zu öffnen und den Blick in die Seele zu gewähren. Zur Beförderung des Geschriebenen von Haus zu Haus galt es, den „Posttag“ zu nutzen. Ein bestimmter Wochentag, an dem zu festgesetzter Stunde die Post „abging“ und die Briefe mitnahm.

Schon in der Antike gab es Bestrebungen zur organisierten Nachrichtenübermittlung, zu Fuß und zu Pferd. Sie war jedoch zweckgebunden und nur amtlichen Belangen vorbehalten. – Im 12. Jahrhundert begann allenthalben die Einrichtung von Poststationen, zu Pferdewechsel, Unterkunft und zur Restauration. Die Aufgabe des Postwesens bestand anfangs ausschließlich im Überbringen von Briefen und amtlichen Schreiben. Später erst kam der Personentransport hinzu. Keine ungefährliche Situation und risikoreich für Reisende, Pferde, Wagen, Begleitpersonal und Bagage: Unwegsame Fahrstrecken, Rad- und Achsenbrüche, Überfälle.

Eva König berichtet Lessing von einem Reisezwischenfall mit der Postkutsche. Die beiden Zugpferde waren gestürzt: „Bei dem ersten hielten wir uns vier Stunden auf, und versuchten alles, um es zu retten, allein es war umsonst. […] Der Postillion war ein Original. So gut als dumm, beides im äußersten Grade. O Gott, o Gott! war alles, was er vier Stunden lang sagte, wobei er beständig fort arbeitete, um das Pferd auf die Beine zu bringen.“

Die Zeit brachte diesbezüglich manche Annehmlichkeit mit sich. Das Reisen ist etwas risikoärmer geworden. Und niemand muss auf den „Posttag“ warten, um einen Herzensbrief auf den Weg zu bringen. Der gelbe Postbriefkasten um die Ecke nimmt ihn auf und sorgt unsichtbar und geheimnisvoll für seine Beförderung.

Diese Wunderkästen blicken auf eine ruhmvolle Vergangenheit zurück. Sie begann mit kisten- oder tonnenartigen Behältnissen samt Einwurföffnung bereits in der Antike. Und veränderte sich in der Folge zur Kastenform, unterschiedlich in Material und Farbgebung, und sie war auch dem Zeitgeschmack unterworfen: Holz, Gusseisen, Stahlblech, Kunststoff; mit und ohne Zierrat. Alles befindet sich im Wandel, ebenso die Farbe der Postbriefkästen. Bis 1871 wählten die Postanstalten in den verschiedenen Teilen Deutschlands ihren höchst eigenen Kastenanstrich: Grau, Weiß, Grün, Bronze. Preußen entschied sich für Blau. Ich auch. In Sonderheit für das Prachtexemplar eines Postbriefkastens in „Preußisch-Blau“. Entdeckt im Harzmuseum der Stadt Wernigerode. Mit Kunstsinn und erlesenem Geschmack gestaltet. Messing, hoch poliert, ist für besondere Aufschriften und Verzierungen vorgesehen und betont die Eleganz des Briefsammelbehältnisses. Das geschwungene Dach trägt jeweils an den Ecken goldglänzende Blüten und am wandseitigen Aufsatz einen lorbeerumkränzten, männlichen Kopf (Hermes?). Darunter als postalisches Kennzeichen ein versiegelter Brief. Dessen Inhalt darf sich jedermann nach Belieben ausdenken (Zum Exempel: Verehrter Herr, würden Sie bitte Ihre Arien während der Mittagsruhe nicht so laut und falsch schmettern? Mein Hund und ich vertragen es nicht). – Beidseitig glänzt das Posthorn. Zwei Klappen nehmen – außer der Stillen- und der Schneckenpost – alle Briefe auf. An der Vorderfront, in messinggerahmten Fenstern, finden sich korrekt und verständlich Hinweise für die Benutzer.

„Abholungszeiten. Werktags 6.45 Uhr, 10.30 Uhr, 15.15 Uhr; Sonntags 9.00 Uhr. Vergiß nicht Briefmarke und Absenderangabe. Nächster öffentlicher Münzfernsprecher: / Die Briefe gelangen zum Leerungs-Postamt / Zustell-Postamt Schierke Brockenstr. 2“ An einer verstellbaren Anzeige, die mit einem Spezialschlüssel zu bedienen ist, kann man die „Nächste Abholung“ erkennen.

Diesem ansprechenden, luxuriösen, blaugoldenen Nachrichtensammelbecken würde ich bedenkenlos folgende Zeilen anvertrauen: Werte Deutsche Post AG, der Brief meines Freundes Eberhard, der Weihnachtsgrüße enthielt, traf zu Ostern ein. Könnten Sie veranlassen, dass es beim nächstbezüglichen Anlass ein paar Tage früher geschieht? Mit vorzüglicher Hochachtung R. H.