24. Jahrgang | Nummer 26 | 20. Dezember 2021

Bidens Amerika

von Bernhard Romeike

Der Trumpismus wird bis 2024 nicht an sein Ende gekommen sein. Darauf deutete bereits das Beharren auf den Betrugsvorwürfen nicht nur durch Donald Trump, sondern auch durch die Rechtsrepublikaner hin. Selbst nach dem Ende des zweiten Amtsenthebungsverfahrens, vier Wochen nach seinem Ausscheiden aus dem Amt, erneuerte Trump den Vorwurf, ihm sei „ein klarer Wahlsieg gestohlen“ worden. Das betont Roland Benedikter in seinem gerade erschienenen Buch: „Joe Bidens Amerika. Einführung in ein gespaltenes Land“. In Teilen ist es ein „Lesebuch“ in dem Sinne, dass es recht viele, manchmal lange Zitate enthält, die jedoch auch der interessierte deutsche Zeitungsleser nicht kennt und die einen wichtigen Einblick in den Zustand der öffentlichen Debatten in den USA geben.

In einem Vorwort schreibt der renommierte österreichische Politikwissenschaftler Anton Pelinka: „Die Erfahrungen mit Trump sind ein Warnsignal für Gegenwart und Zukunft. Die Präsidentschaft Bidens kann und wird nicht einfach die Uhr zurückdrehen können. Trump hat die Welt nicht verändert. Aber er warf, in seiner grob simplifizierenden und willkürlich verzerrenden Art, das Scheinwerferlicht auf alles, was an explosivem Potential vorhanden ist – in Amerika, in den transatlantischen Beziehungen, in der Welt überhaupt.“

Was von Trumps Regierungszeit bis 2021 bleiben wird, ist nicht die Mauer an der Grenze zu Mexiko oder der Austritt der USA aus internationalen Abkommen, sondern das Verhältnis zu den „alternativen Fakten“. Das bedeutet letztlich, so Benedikter, „dass Realität mehr oder weniger beliebig, jedoch mit hohem Willensaufwand, konstruiert und dekonstruiert werden kann. Die ,Logik des Sinns‘ wird dem starken Willen verfügbar.“ In gewisser Weise ist Trump ein paradoxaler Vertreter der zentralen „postmodernen“, sich „links“ verstehenden Lehre der Effizienz der Kombination von „Differenz und Wiederholung“, wie sie der französische Philosoph Gilles Deleuze entwickelt hat. Oder – eine Ironie der Geschichte der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts – „der vielleicht wichtigste politische Vertreter jener postmodernen ,Konstruktions‘- und ,Dekonstruktions‘-Lehre, wie sie etwa ein Jacques Derrida (1930–2004) mit seinem zum Universalismus stilisierten ,Dekonstruktivismus‘ auch in den USA […] lehrte: dass nichts ohne unbewussten Unterbau real wird, der von Menschen gemacht und in seiner historisch-linguistischen Genealogie decouvriert werden muss, um die Bedingtheit auch noch des letzten eigenen ,Wahrheitsschleiers‘ zu durchschauen. Ziel ist Befreiung des eigenen Bewusstseins.“ Die vollen Konsequenzen dieser Einsicht „in einer universalisierten Medienwelt, die den neuen ,Überbau‘ des ,Geistes‘ als Wirklichkeit weltschaffender Ideen post-postmoderner Gesellschaftsrealitäten darstellt, hat Donald Trump instinktiv meisterhaft umzusetzen beherrscht – zum eigenen Vorteil, und rücksichtslos.“ Vermutlich ohne Hegel oder die Postmodernisten je gelesen zu haben. Es ist diese Logik der „alternativen Fakten“ und des aus ihnen abgeleiteten entschiedenen Willens, die hier und heute auch die Fronten der Impfgegnerschaften bewegt.

Der Politikwissenschaftler und Soziologe Roland Benedikter, geboren 1965 in Südtirol, studierte in Innsbruck und in Padua. Er hatte seit 1996 eine Reihe von Gastprofessuren inne, vor allem auch in den USA, forschte jahrelang an der University of California, Santa Barbara, und ist jetzt Co-Leiter des Forschungszentrums Eurac in Bozen sowie Gastwissenschaftler am Willy-Brandt-Zentrum der Universität Wrocław. Das hier vorgestellte Buch fußt auf der Vielzahl seiner Untersuchungen zur Entwicklung in den USA und seiner intimen Kenntnisse der Arbeit der US-amerikanischen Think-tanks.

Während die Republikanische Partei im Sog von Donald Trump und seiner kompromisslosen Diskreditierungs- und Aussortierungspolitik in den eigenen Reihen zwangsläufig nach rechts gewandert ist, geriet die Demokratische Partei nach dem überraschenden, ja traumatischen Verlust der Wahl 2016 durch Hillary Clinton und den folgenden Selbstzweifeln in einen strategielosen Taumel, der ihr eine Niederlage nach der nächsten gegen Trump eingebracht hatte. Das rückte sie in Teilen weit nach links. Daher ist Verliererin der gnadenlosen Auseinandersetzung zwischen Konservativen und Liberalen die Demokratie in den USA selbst. Mit der „Kriegsrhetorik“ hatte zwar Trump begonnen, die Demokraten zogen jedoch rasch gleich. Sie haben Trump, etwa mit dem jahrelangen, ergebnislosen Amtsenthebungsverfahren „ab Tag eins oft sogar an Untergriffen überboten. Das war auch eine Reaktion auf die kompromisslose Blockade-Politik, mit der die Republikaner in der Obama-Ära […] begonnen hatten“.

Die „liberalen US-Mainstream-Medien“ entgleisten im Kampf gegen Trump „nicht nur zeitweise, sondern systematisch“ und verließen immer stärker ihre Objektivität und ideologische Mäßigung, entfachten in Abstimmung mit entsprechenden Think-tanks regelrechte Kampagnen. „Die Ironie ist, dass der Präsident mit seiner ständigen Neck- und Reiz-Taktik genau das erreichen wollte, um die Voreingenommenheit, das wahre Machtausmaß und den Elitismus der liberalen Mainstream-Medien offenzulegen. Das ist Trump weitgehend gelungen.“ Benedikters Buch enthält sehr lesenswerte kultursoziologische Passagen, um die gegenwärtigen Probleme der Gesellschaft in den USA oder auch der „Postmoderne“ zu verstehen, darunter Verweise auf den neofeudalen Charakter der Plattformen und elektronischen Medien, die „Werbekultur“ als Realität der „alternativen Fakten“, die Rolle der Blasen und die Medien als neue Kolonialherren.

Ein Fazit lautet: „Die Überwindung der amerikanischen Spaltung hat globale Bedeutung und wird globale Konsequenzen haben. Und das Neuengagement der USA in außenpolitischen Belangen wird auf die innenpolitische Lage zurückwirken. Beide: Außen- und Innenpolitik können unter Biden einen positiveren hermeneutischen Zirkel entstehen lassen als unter Trump.“ Benedikter schließt, die Trump-Jahre 2017–2021 und die Biden-Jahre 2021–2025 werden eine Umbruchsphase in der Globalisierung darstellen. Die Globalisierung der Jahre 1990–2020 habe eine hohe Komplexität und „die Grenzen des Prinzips ,maximaler Entropie‘ erreicht“. Trump war ein „großer Unterbrecher“, der Kern seiner Politik „der Bruch mit der bisherigen Globalisierung – und zu diesem Zweck die Herauslösung der USA aus internationalen Verpflichtungen, um Amerika nach innen ,wieder groß zu machen‘. Die Identifikation von ,Re-Globalisierung‘ mit ,De-Globalisierung‘ war dabei die prägende Charakteristik von Trumps Denkweise.“ Mit Biden ändere sich dies, „sein Programm will ,Re-Globalisierung‘ als ,Neo-Globalisierung‘, wobei damit eine Mischung aus ,Revision‘ und ,Wiederherstellung‘ gemeint ist.“

Biden hatte bereits in den ersten 48 Stunden seiner Präsidentschaft 27 Eildekrete erlassen, um die Ära Trump rasch abzuwickeln. Als Erbe bleibt jedoch die Erfahrung der „Umstülpung“ aller Dinge durch Trump, am Ende ein mehr denn je gespaltenes Land. Die zentralen politischen Aufgaben liegen nicht in China oder Europa, sondern in den USA selbst.

Roland Benedikter: Joe Bidens Amerika. Einführung in ein gespaltenes Land, Berliner Wissenschafts-Verlag 2022, 372 Seiten, 43,00 Euro.