24. Jahrgang | Nummer 21 | 11. Oktober 2021

Museum des schlechten Gewissens

von Günter Hayn

Eine strahlende Eröffnung sieht anders aus. Seit dem 23. September sind im Humboldt-Forum die Räumlichkeiten des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst zugänglich. Jedenfalls ein Torso von einem Drittel der sich auf zwei Etagen erstreckenden Räumlichkeiten der ehemaligen Dahlemer Institute. Die Eröffnungsterminierung auf die Woche vor den Bundestagswahlen wirkte denn auch eher wie ein letzter Kratzfuß vor der möglicherweise scheidenden Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Auch dem Bundespräsidenten wollte man offenbar noch einen staatsmännischen Auftritt ermöglichen. Das kann als misslungen abgehakt werden. Es gab eine Eröffnung, aber der erwünschte Glanz fehlte. Die Gründe sind vielschichtig.

Auf der Presekonferenz drei Tage vor der Eröffnung mühte sich Helmut Dorgerloh, Chef des Humboldt-Forums, redlich, die seit vielen Jahren behauptete Synthese der Weltkulturen durch den jetzt möglichen Dialog der Sammlungen der Museumsinsel mit den außereuropäischen Kulturen zu beschwören. Eine Legende, die durch ihre Wiederholung nicht besser wird. Da ist kein Dialog, da ist kein gemeinsamer Auftritt. Nach wie vor macht jeder seins. Die Highlights der Insel sind allerdings sehr wohl asiatischen Ursprungs! Und bis zum heutigen Tag sehen sich die Staatlichen Museen zu Berlin nicht in der Lage, der staunenden Welt zu erklären, weshalb man zwei separat betriebene Sammlungen islamischer Kunst und Kultur betreibt. Ägypten hingegen immer noch als gleichsam außerafrikanischen Sonderfall zu behandeln widerspricht nicht nur dem aktuellen Forschungsstand, es ist genau betrachtet auch eine postkoloniale Sichtweise, die Afrika eines wesentlichen Momentes der eigenen kulturellen Tradition beraubt – und sie mit gehabter europäischer Arroganz in die eigene Traditionslinie einordnet. Die Staatlichen Museen sind noch tief dem Denken des 19. Jahrhunderts verhaftet.

Der Streit über die Sinnhaftigkeit der Verlagerung der Dahlemer Bestände in das große Haus in Berlins Mitte ist inzwischen müßig. Geschehen ist geschehen. Dass die Staatlichen Museen sich überhaupt darauf eingelassen haben, dürfte nur dem erheblichen politischen Druck ihrer Finanziers und deren Weigerung, die dortigen Museumsstandorte grundlegend zu sanieren, geschuldet gewesen sein. Die City-Trunkenheit der Berliner Politik tat ein Übriges. Die Räume des „Forums“ taugen durchaus für alles Mögliche. Für die Präsentation von Kunst aus extrem lichtempfindlichen Materialien – das sind außereuropäische Sammlungen in der Regel – sind sie denkbar ungeeignet.

Die Präsentation – ich nehme einige Räume vor allem der asiatischen Sammlungen explizit aus! – ist auch entsprechend lieb- und einfallslos. Selbst der von manchen Kollegen über den grünen Klee gelobte Keller, in dem die pazifischen Boote präsentiert werden, ist im Vergleich zum Dahlemer Saal langweilig. Wenn denn schon der religiöse Charakter einer Vielzahl der ausgestellten Objekte nicht zu übersehen ist – und die Ausstellungsmacher verweisen zu recht immer wieder darauf –, dann verbietet sich eigentlich die klinisch-reine Präsentation á la Völkerkundemuseum der traditionellen Art. Dass es auch anders geht, hat vor sechs Jahren der Berliner Gropius-Bau bewiesen, als er die Kunst vom Sepik präsentierte. Objekte vom Sepik-Fluss sind auch im Humboldt-Forum auffindbar. Aber wer sie nicht kennt, wird an ihnen vorbeigehen und keine visuelle Verlust-Erfahrung spüren.

Das hat Gründe, auf die noch zurückzukommen sein wird.

Aber noch einmal zum Grundsätzlichen. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sprach von der großen Chance, „hier über die Kraft der Kultur ein grundlegend neues Verhältnis zum globalen Süden zu entwickeln“. Warum „globaler Süden“? Die Kunst und Kultur der nördlichen Seidenstraße, Chinas, Koreas und Japans nimmt einen wesentlichen Raum im Humboldt-Forum ein! Was ist mit Nordamerika? Warum stottert Parzinger, der es als weltweit hoch geachteter Archäologe besser weiß, begrifflich so herum?

Lassen wir es uns sachlich auf der Zunge zergehen: Der von den Staatlichen Museen „bespielte“ Teil des Forums gehört dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst. Beide haben inzwischen wenigstens mit Lars-Christian Koch einen gemeinsamen Direktor. Dennoch sind es strikt voneinander separierte Einrichtungen. Klar doch, das „Asiatische“ zeigt „Kunst“, im Stockwerk darunter residiert die Völkerkunde … Das ist der alte koloniale Blick. Das ist die bis auf Johann Joachim Winckelmann zurückreichende rassistisch grundierte Sicht auf die Kulturen der Welt. Es gab das Primitive – und dann war da noch das Exotische. Der Reiz des Teehauses ist seit Friedrich II. bis heute ungebrochen.

Die aktuelle Restitutions- und Dekolonisierungsdebatte wirkt angesichts der immer noch benutzten alten Strukturen eher wie ein Feigenblatt. Man rückt die Objekte heraus, die man herausrücken muss, weil es offensichtliche – zudem blutgetränkte – Hehlerware ist, wie nachgewiesenermaßen die Benin-Bronzen. Man pflegt den Dialog mit den Ursprungs-, manche sagen jetzt Entnahmekulturen – was die Geschichte nicht besser macht. Aber die Gleichwertigkeit des pazifischen hölzernen Idols mit der nordindischen Buddha-Figur – oder gar dem spätromanischen Bronzeguss des Gekreuzigten! – zu akzeptieren, das geht nun gar nicht. Und wenn dann noch das Auswärtige Amt in Restitutionsfragen mitmischt, dann bekommt das Ganze erst recht ein Geschmäckle, wie man im Süddeutschen zurückhaltend formuliert.

Warum in drei Teufels Namen nennt man das neue Haus nicht von Anfang an „Museum der Weltkunst“? Ist es die Scheu vor der Profildebatte mit dem gleichfalls bundesfinanzierten „Haus der Kulturen der Welt“? Ist es die dann noch offensichtlicher werdende Peinlichkeit, das „Museum der europäischen Kulturen“ in seiner Dahlemer Verbannung belassen zu haben? Sind die Unterlassungssünden der Kulturpolitik der Wiedervereinigungsjahre wirklich so festgezurrt, dass wir damit noch unsere Kinder und Kindeskinder belasten werden?

Aber immerhin widmet man sich jetzt der „postkolonialen Provenienzforschung“ – was auch immer das ist. Mit vier „eigens angestellten Provenienzforscher*innen“, die zudem noch „transkulturelle Projekte anstoßen und durchführen“ sollen. Alle vier gaben am 20. September interessante Statements ab. Mit der Aufgabenstellung, die ihnen von Humboldt-Forum und Preußenstiftung aufgebürdet wurde, dürften sie, wie jeder andere auch, hilflos überfordert sein. Die Nagelprobe wird der Umgang mit der Benin-Kunst werden. Die großspurige Rückgabeankündigung der Kulturstaatsministerin vor einiger Zeit – an wen eigentlich? – ist das Eine. Das Andere ist, was passiert eigentlich nach dem Staatsakt in Lagos oder Benin City?

Das Ethnologische Museum irrlichtert in diesen für seine Zukunft entscheidenen Fragen noch hilflos herum. Wer den Zugang über die Afrika-Abteilung wählt, wird nach einem Saal mit zum Nachdenken anregenden Installationen sich plötzlich inmitten eines „Schaudepots“ befinden. In den hohen Glasvitrinen sind tausende – künstlerisch hochkarätige! – Objekte zusammengepfercht, die man sich mit einiger Mühe an diversen Medienstationen erschließen kann. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend sind die Vitrinenbeschriftungen. Sie verweisen auf die Erwerbsumstände, ohne sie näher zu erklären. Wer allerdings weiß, wie sich ein gewisser Herr Wisssmann in Deutsch-Ostafrika aufgeführt hat, ahnt, dass hier die große Restitutionswäsche vorbereitet wird. Und dann ist alles wieder gut …

Ich habe das Haus innerlich zerrissen zwischen tiefem Nachdenken und Zorn ob der verspielten Chancen verlassen. Glücklicherweise war da auch die Freude über die Wiederbegegnung mit so manch seit langem nicht mehr gesehenen Kunstwerk.