von Wolfgang Brauer
Geschichte ist nie vorbei. Ihre langen Schatten machen sich immer dann bemerkbar, wenn man sie am wenigsten erwartet. Das Team des Ethnologisches Museums Berlin meinte im Jahre 2008 etwas Gutes zu tun, als es in Kooperation mit dem Museum für Völkerkunde Wien, dem Pariser Musée du quai Bramly und dem Art Institute of Chicago seinen wertvollen Sammlungsbestand an Benin-Bronzen präsentierte und der Meinung war, damit leiste es einen Beitrag zum Nachweis, dass Afrika südlich der Sahara alles andere als geschichtslos sei. Das Museum zog sich den geballten Zorn aller Kolonialismus-Kritiker Berlins zu. Zeitgleich verhökerte ein bekanntes rheinisches Auktionshaus einen kostbaren bronzenen Königskopf aus Benin für eine runde halbe Million Euro. Der moralische Aufschrei darüber war kaum hörbar …
Warum greife ich sieben Jahre zurück? Dieser Tage las ich in einem Ausstellungsgästebuch einen bemerkenswerten Eintrag. Voller Empörung bemerkte ein Besucher, dass man sich einmal vorstellen solle, irgendwelche fremden Völker stellten in ihren Museen den Grabstein einer deutschen Großmutter aus. Lassen wir einmal beiseite, dass dieser Gerechte keine Ahnung hat, was nach Ablauf der bezahlten „Liegezeit“ mit hiesigen Grabstätten – und ihren Steinsetzungen – geschieht, offenkundig traf er einen frei liegenden Nerv. Andere Besucher fühlten sich genötigt, in den Diskurs einzutreten.
Worum geht es?
Diesmal veranstaltete der Martin-Gropius-Bau Berlin in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Museum Rietberg und dem Musée du quai Bramly die Schau „Tanz der Ahnen. Kunst vom Sepik in Papua-Neuguinea“. Ja, es ist Kunst, die da präsentiert wird. Es ist Kunst von höchster Qualität. Kunst, die einen Grad der Abstraktion und zugleich eine Formenvielfalt aufweist, die die Betrachter erstarren und andächtig schweigend durch die Ausstellungssäle schreiten lässt.
Es handelt sich um Arbeiten, die in den zurückliegenden gut einhundert Jahren im Gebiet des Sepik entstanden sind. Der Sepik ist ein über mehr als 1100 Kilometer überwiegend mäandrierender Strom im Norden Neuguineas, der zweitgrößten Insel der Erde. Einige Jahre waren dieses Gebiet und etliche der vorgelagerten pazifischen Inseln deutsche Kolonie. Politisch unabhängig ist der Osten der Insel erst seit 1975, der Westen wurde 1957 von Indonesien annektiert. Diese Geschichte spielt allerdings in der Ausstellung nur am Rande eine Rolle. Sie wendet sich den künstlerischen Entäußerungen im Alltag einer Kultur zu, die weniger in Folge kolonialer Unterwerfungen als vielmehr durch eine erbarmungslose renditegierige Moderne in Bälde restlos zu verschwinden droht.
In den ersten Räumen begegnen uns zunächst sehr profan erscheinende Dinge wie Kanus, Sago-Essschalen oder Aufhänge-Haken – sieht man genauer hin, ist da aber nichts profan. Die Basis eines Hakens – an ihm versucht man Lebensmittel vor gefräßigem Getier zu sichern – erweist sich als Kopf eines Welses. Auch das stark stilisierte Krokodil am Bug des Kanus ist kein Zufall und mitnichten nur Zierrat. Krokodile gelten den Papua als heilig, sie werden verehrt und dürfen weder gejagt noch beunruhigt werden. Auf der Unterseite der Essschale sind jeweils vier Frauen und Männer erotisch eindeutig ineinander verschlungen dargestellt.
Stark sexuell geprägte Motive, Vogelköpfe, mythische Mischwesen tauchen überhaupt in jeder Form auf. Bereits im ersten größeren Saal nach dem Raum mit den Booten, der der Ausstattung des Frauenhauses gewidmet ist, schlagen sie den Betrachter in ihren Bann. Rätselhafte Malu-Bretter und Aufhänge-Haken mit großen Figuren sind hier zu finden. Eine Frauenfigur auf einem solchen Haken, er wirkt wie eine Mondsichel oder das kretische Stiergehörn, fällt besonders auf. Unwillkürlich vermeint man Analogien zur archaischen Kunst Europas zu erblicken. Es ist faszinierend zu sehen, zu wie ähnlichen ästhetischen Lösungen räumlich weit entfernte menschliche Kulturen immer wieder gelangen.
Im nächsten Raum das Männerhaus: Giebelmasken, Hauspfosten mit unübersehbarem Bezug zu den Ahnen. Dann eine überlebensgroße weibliche Figur aus dem Innenraum, eine Giebelfigur mit breit geöffneten Schenkeln. Die erotische Funktion schien den Katalogautoren wohl doch zu eindeutig, sie hängten ihr vor dem Fotografieren einen Schurz um. Erinnert uns das nicht an etwas? Ebenso drastisch allerdings die weiblichen Figurenhaken, die im Saal mit den großen Schlitztrommeln und etlichen männlichen Figuren, die teils wohl Initiationsriten dienten, zu finden sind. Von letzteren stellen einige auf eindrucksvolle Weise Ahnen dar, denen gottähnliche Eigenschaften zugewiesen werden. Ist man mit ihnen allein im halbdunklen Saal, glaubt man das unberufen …
Dazu Malereien und Arbeiten aus Federn in höchster Qualität. Figuren für Liebeszauber. Musikinstrumente. Masken in vielfältigster Form. Tragetaschen. Waffen. Gefäße. Und immer wieder Ahnenfiguren. Mit „Grabsteinen“ haben die allerdings nichts gemein, der oben zitierte empörte Besucher hätte aufmerksamer die Begleittexte lesen sollen …
Im Martin-Gropius-Bau offenbart sich eine Welt ungeahnter Faszination. Geschuldet ist dies auch einer Ausstellungsgestaltung, die die Objekte in den Mittelpunkt rückt und sie ihre Geschichte erzählen lässt. Die uns geläufige willkürliche Unterscheidung zwischen Alltagsgegenstand, Ritualobjekt und Kunstwerk hat hier jegliche Bedeutung verloren. Das kann zu Missverständnissen führen. Sollte es aber gelingen, diese Art des Erzählens in das Humboldt-Forum zu transferieren, dann könnte die Verlagerung der ethnologischen Sammlungen der Dahlemer Museen in die Berliner Stadtmitte trotz des völlig verkorksten Bauwerks eine Erfolgsgeschichte werden.
Dort sollte auch die politische Geschichte der Entstehungsorte dieser Kunst erzählt werden. Die Mitteilung, dass aufgrund der Durchsetzung der Plantagenarbeit die Tradition der Kopfjagden beendet wurde, reicht dann nicht mehr.
Tanz der Ahnen. Kunst vom Sepik in Papua-Neuguinea, Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin; noch bis zum 14. Juni.
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