An Neo Rauchs Bildern scheiden sich die Geister. Die einen verteufeln ihn wegen seiner figurativen Arbeitsweise, er verabscheut die bloße Ornamentik, die bedeutungsvoll daherkommenden medialen Spielereien und bekennt sich zum gemalten Tafelbild, zum sauber gestalteten Druck. Den anderen wiederum sind seine Bilder nicht eindeutig genug, sie verweigern sich der oberflächlichen Interpretation, die Spuren der dunklen Seite der deutschen Romantik sind unübersehbar – diese Leute heften ihm immer mal wieder den Vorwurf rechter Positionen an die Backe. Mit solchem Unsinn hat sich kürzlich Gunnar Decker auseinandergesetzt. Dem ist wenig hinzuzufügen. Es wäre auch eine sinnlose Übung. Der Dummheit ein Haupt abschlagen lässt ihr zwei weitere nachwachsen. Letztlich kann man sie nur durch das Vorhalten eines Spiegels bannen. Bilder können solche Spiegel sein.
Auch Rauch bekennt sich dazu, die Dinge bannen zu wollen. Dazu gehören sie in eine Form gebracht, auf die Leinwand gebracht. Er entwickelt seine Bilder nicht. Es seien für ihn „die schönsten Momente, wenn mich ein Bild heimsucht und durch mich dann einfach nur noch zur Realisation getrieben wird“. Und: „Ich nehme mein Personal ernst, das sind meine Mitwirkenden, das sind meine Unterstellten, manchmal sind sie aber auch unmittelbar Herrschende über meine Geschicke …“ Schwer zu entscheiden, wer da das Böse ist und wer das Gute. Das kann rasch wechseln. „Man ist gut beraten, den Teufel im Menschen permanent im Blick zu haben“, sagte er 2018 in einem Interview mit Kerstin Edinger anlässlich einer Ausstellung im Museum de Fundatie im niederländischen Zwolle. Im Bild müsse diese Ambivalenz enthalten sein, „der Teufel und der Engel, sonst taugt es nichts, sonst ist es Propaganda oder Kitsch“. Solche Haltung ist derzeit in Deutschland nicht unbedingt en vogue.
Bei EIGEN + ART in der Leipziger Baumwollspinnerei kann man das Rauchsche Credo derzeit trefflich nachvollziehen. „HANDLAUF“ nennt sich die Präsentation seiner 2020er Arbeiten. „Handlauf“ heißt auch das 250 x 300 cm große Ölgemälde, das den Besucher sofort in seinen Bann nimmt. Das liegt an seiner für die ausgestellten Arbeiten vergeichsweise sehr intensiv kontrastierenden Farbigkeit. Auch der Hell-Dunkel-Kontrast ist enorm. Am oberen Bildrand schwebt eine fast schwarze, unheilverheißende Kugel. Keine verdunkelte Sonne, die glimmt fahl im Hintergrund vor einem monochromen Himmel, der nur wie das Zitat eines Himmels erscheint. Fast wie ein Theaterprospekt. Das Figurenpaar im Zentrum steht auch auf einer Art Bühne: Ein Kentaur beim Schreittanz mit einer Frau, auf deren rechter Schulter ein Männerkopf aufsitzt. Sie selbst ist dreibeinig. „Es ist ein siamesischer Zwilling […]“, erklärt Rauch im Kataloggespräch mit Ralph Keuning, „Wohin sie ihn führen wird, ist unklar, auf jeden Fall scheint es treppab zu gehen.“ Der Handlauf, den die Tänzerin ergriffen hat, führt jedenfalls sehr steil nach unten. Der Kentaur wird stürzen und sich den Hals brechen. „Es geht offenbar in eine ungute Richtung“, meint der Maler zu seiner Bildfindung. Im Keller lauern immer die Ratten.
Neo Rauch wird immer noch gerne der „Neuen Leipziger Schule“ zugeordnet. Diese Debatte finde ich müßig – und halte auch die Begriffsfindung für einen (erfolgreichen) PR-Clou der Galeristen. Seine Verortung in der großen Leipziger Maltradition ist hingegen eindeutig. Zum Lehrer Arno Rink beispielsweise pflegte er bis zu dessen Ableben ein sehr intensives Verhältnis. Aber da ist auch Mattheuer, der seinen Prometheus das Weltheater anzünden und dann panikartig die Flucht ergreifen lässt. Gleichsam ein Pendant dazu scheint mir Neo Rauchs „Entzündung“, auch das ein großformatiges Bild. Sein Theatrum mundi, sein Welt-Theater, ist eine Tankstelle. Sonst bevorzugt er Jahrmarktsbuden. Am rechten Bildrand hockt ein jüngerer Mann mit Laterne über einem Laubhaufen. Der Maler nennt ihn „Lichtbringer, Luciferus“. Daneben gießt ein stämmiger Kerl Benzin auf das Laub. Im rechten Hintergrund des Gemäldes lässt ein weiterer Mann geradezu lustvoll Benzin aus einem Kanister auf sich selbst herabfließen. Dazu ein in fast Radziwillschen schmerzhaften Rotabstufungen gehaltener Himmel. Die drohende menschengemachte Apokalypse. Im Zentrum allerdings ein ohne jede Beziehung zueinander agierendes Paar: Eine junge Frau füllt unverdrossen eine Flüssigkeit (Benzin?) in eine Vase. Daneben ein Mann in grünem Overall. Prometheus nennt ihn der Maler, auf einem Hoverboard, besorgt um die eigene Balance will er dennoch nur weg aus der Gefahrenzone. Es bleibt unklar, ob ihm das gelingt. Es bleibt unklar, ob die junge Frau noch soviel Brandbeschleuniger abzapfen kann, dass dem Brandstifter sein Handwerk gelegt wird.
Überhaupt die Bedrohungen. Da taucht plötzlich gleichsam aus dem Nichts ein hörnerbehaftetes dunkles Ding auf („Die Wurzel“). Eine Inkarnation des Bösen, die „diabolische Ausformung“ (Rauch) ist unübersehbar. Merkwürdig die Reaktionen des Personals des Malers. Ein weißgekleideter Künstler übt sich eher in einer Beschwörungshaltung. Sein Pendant im schwarzen Kittel sucht das Monstrum mit Farbe und Pinsel zu bannen, eine junge Frau hingegen bedient sich eines der beiden Hörner des Bösen in eindeutig erotischer Pose. Eine am Boden liegende Figur – mit einem bei Rauch häufig vorkommenden Rattenschwanz – versucht, der Erscheinung mit einem Megafon beizukommen, wird aber vom Gehilfen des schwarzgekleideten Malers zu Boden gedrückt. „Also, wer zum Megafon greift, ist automatisch mein Feind, […] es sind ja immer die Ideologen, die zum Megafon greifen, und das sind meine Feinde.“ So Rauch im erwähnten Gespräch mit dem Zwoller Museumsdirektoren Keuning. Im Gemälde „Traumfabrik“ müssen die drei abgebildeten Maler übrigens hilflos zusehen, wie ihre gemeuchelten Visionen, um die sie zuvor heftig gestritten haben, zu Grabe getragen werden … Im Katalog abgebildet – leider nicht in der Ausstellung – ist das 300 x 500 cm messende Gemälde „Fundgrube“ (2011). Inmitten eines floralen Fühlingsfestes werden zwei große metallische, durchaus kriegerisch wirkende Artefakte geborgen und von den Feiernden andächtig in Besitz genommen. Mich erinnert dieses Bild an die Fotografien begeisterter „Weltkriegsarchäologen“, die vor Begeisterung kaum an sich halten können, wenn sie wieder einmal die Reste eines abgeschossenen Kriegsflugzeuges freigelegt haben. „Man ist gut beraten, den Teufel im Menschen permanent im Blick zu haben“ (Neo Rauch).
Die Megafone tauchen wieder im „seltsamen Bild“ – wie der Maler es selbst bezeichnet – „Der Hörer“ auf. Allerdings fast am Rand, im Mittelgrund des Gemäldes befindet sich eine Feuergrube, in die flankiert von uniformierten Wächtern die Ideologen ihre Megafone ablegen müssen. Ihre wichtigsten Werkzeuge werden verbrannt. Am fast zarten Frühlingshimmel in grünen Buchstaben, die bei Philipp Otto Runge entliehen sein könnten, „R.u.h.“ – ruh, Ruhe? Oder eine Verballhornung des inzwischen allgegenwärtigen „R.i.P.“ („Rest in Peace“)? Egal, die lärmenden Dinger verschwinden. Es kehrt Ruhe ein. Nur „was aus den Aktivisten wird, nachdem sie ihre Megafone dem Flammentod überantwortet haben“, fragt sich auch der Künstler und vermag keine Antworten zu geben. Sein „Hörer“ jedenfalls findet erst einmal Ruhe, Einkehr, Kontemplation: „Er kann das Gequatsche nicht mehr hören …“ Ein Hoffnungsschimmer, ein Bild das tatsächlich Ruhe ausstrahlt in einer sehr beunruhigenden Ausstellung.
In der erwähnten 3sat-Reportage von Kerstin Edinger wird Gerd Harry Lybke zitiert: „Man kommt an Neo Rauch nicht vorbei.“ Lybke ist Rauchs Galerist und muss das sagen, schon aus geschäftlichen Gründen. Aber er hat recht. Zumindest, wenn man sich ernsthaft mit der deutschen Malerei der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts auseinandersetzen will.
Neo Rauch: HANDLAUF, Galerie EIGEN + ART, Spinnereistraße 7 / Halle 5, 04179 Leipzig; noch bis zum 12. Dezember 2020, dienstags bis samstags 11.00 Uhr bis 18.00 Uhr; Katalog im E.A. Seemann Verlag.
Schlagwörter: EIGEN + ART, HANDLAUF, Megafone, Neo Rauch, Wolfgang Brauer