23. Jahrgang | Nummer 21 | 12. Oktober 2020

Kaczyńskis Regierungseintritt

von Jan Opal, Gniezno

Jarosław Kaczyński hat nun seine dritte Regierung seit Herbst 2015 ins Rennen geschickt. Zunächst hatte Beata Szydło ohne zeitliche Verzögerungen die sozialen Versprechen umzusetzen, mit denen die Nationalkonservativen ans Regierungsruder gekommen waren. Die einmal erreichten Mehrheitsverhältnisse sollten abgesichert und vor allem ausgebaut werden. Ende 2017 wurde Szydło von Mateusz Morawiecki abgelöst, den Kaczyński als seinen Nachfolger aufzubauen sucht. Morawiecki hatte bereits die zentrale Aufgabe, die Wahlsiege 2019 und 2020 regierungsseitig abzusichern, was ihm wohl mit Abstrichen auch gelang. Während nach den knapp gewonnenen Parlamentswahlen 2019 eine größere Regierungsumbildung ausblieb, nutzte Kaczyński nun die Wahl von Staatspräsident Andrzej Duda am 12. Juli, um kurzerhand eine für nötig erachtete Kurskorrektur durchzusetzen.

Morawiecki bleibt Ministerpräsident, denn Kaczyński hält an seinen weitergehenden Plänen mit ihm fest. Nun aber springt der nahezu allmächtig wirkende Anführer der Nationalkonservativen selbst ins Regierungsboot, wird einer von vier Stellvertretenden Ministerpräsidenten. Seine vordringliche Aufgabe sieht er darin, Ministerpräsident Morawiecki an vorderer Front abzusichern – gegen das befürchtete Intrigenspiel anderer Regierungsmitglieder. Entsprechend besorgt und zerknirscht wirkte er bei der Vereidigung Anfang Oktober. Nichts war mehr zu spüren vom gefürchteten Schneid des mächtigsten Mannes im Staate. Doch wer Polen kennt, der weiß, dass ein Mann wie Kaczyński nie zu früh unterschätzt werden sollte.

Ein wahrer Geniestreich gelang dem nämlich im Herbst 2015, als er den festgefügten nationalkonservativen Block nicht nur zum erhofften Wahlsieg führte, sondern zugleich und zum Entsetzen der Unterlegenen die absolute Mehrheit der Parlamentssitze einheimste, was für die befürchtete nationalkonservative Alleinregierung reichte. Damit hatte Kaczyński das Tor weit aufgestoßen für den von ihm angestrebten und stramm rechts ausgerichteten Umbau des Staates. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union wusste er bislang geschickt zu nutzen, um zu tarnen, zu verbergen und vor allem zu täuschen. Er hatte im Wahljahr 2015 eine Fehlstelle ausgemacht, die sich fortan für die anderen rächen sollte.

In den schwierigen 1990er Jahren erwies sich für die handelnden Parteien vor allem der Souverän als eine unberechenbare Größe, sobald es um Wählerstimmen ging. Die Liste jener Parlamentsparteien, die davon ein trauriges Lied anstimmen könnten, ist nicht gerade kurz. Also kamen findige Köpfe in jenen Gruppierungen, die damals am ehesten auf dem Weg zu den ersehnten Volksparteien nach deutschem Vorbild sich wähnten, auf die schlitzohrige Idee, doch denjenigen mit zusätzlichen Abgeordnetensitzen zu belohnen, der ohnehin vorne liegt. Das kennt man auch aus anderen Ländern, doch im polnischen Fall wurde daraus ein Spiel, bei dem derjenige bevorteilt wird, der es schafft, eine bestimmte satte Stimmenzahl mit nur einer einzigen Liste zu holen, während andere getrennt antreten. Kaczyński war nun der erste, der es meisterlich vorführte. Statt im Wahlkampf umständlich auf künftige Regierungskoalitionen achten zu müssen, baute er vor, holte die möglichen Kandidaten vorher selbst in sein Boot, versteckte gekonnt jeden übertriebenen Koalitionsanstrich – und wurde schließlich belohnt.

Besonders augenfällig wurde es im Herbst des letzten Jahres bei den Parlamentswahlen, denn den abgegebenen Stimmen nach wurde Kaczyńskis Mogelpackung doch recht klar geschlagen, sobald die anderen Stimmen nämlich zusammengezählt werden. Doch am Ende blieben die absolute Stimmenmehrheit bei den Sitzen im Parlament und die Alleinregierung auf der Kaczyński-Seite. Während alle anderen sich am Wahlabend noch verwundert die Augen rieben, hatte Kaczyński die Situation blitzschnell begriffen, wusste um den Trick, aber er kannte nun auch den Preis.

Denn die sogenannten Koalitionspartner in der von PiS (Recht und Gerechtigkeit) dominierten nationalkonservativen Regierung waren plötzlich stärker geworden, obwohl sie sich meistens nur über hintere Listenplätze ins Parlament schlichen. So also kein Zufall, dass im Frühjahr erst der eine kleine Anführer – Jarosław Gowin – offen putschte, schließlich im August der andere – Zbigniew Ziobro – aufmüpfig wurde und die Regierung fast zum Scheitern brachte. Insofern gleicht Kaczyńskis Eintritt in die von ihm seit 2015 geführte Regierung einer Rettungsaktion, sie ist ein Ausdruck von Schwäche, nicht der von Stärke.

Auch andere Indizien sprechen dafür, dass die neue Morawiecki-Regierung nun schon fast wie ein letztes Aufgebot wirkt. Unter den 18 Regierungsmitgliedern findet sich nur noch eine einzige Frau, die das Familienressort leitet. Fast scheint es, als wollte Kaczyński seinem verbalen und unappetitlichen Feldzug gegen Gender und Feminismus nun auch Taten folgen lassen. So auch auf dem anderen Schlachtfeld, dem Kampf gegen die sogenannte LGBT-Ideologie. Hier hatte sich Ziobro zuletzt maßlos profiliert, womit er Morawiecki ans Zeug flicken wollte, weil der den zentralen ideologischen Kampf vernachlässige.

Auf den Posten des Ministers für Schulbildung und Hochschulwesen hievte Kaczyński deshalb einen Mann seines Vertrauens, Przemysław Czarnek, Jahrgang 1977, Hochschulprofessor an der Katholischen Universität in Lublin. Als von der Regierung eingesetzter Wojewode in Lublin hatte er im März 2018 maßgeblichen Anteil an der gesetzwidrigen Entfernung der Gedenktafel für Rosa Luxemburg in Zamość, setzte also pflichteifrig den Willen des nationalkonservativen Anführers um. Zuletzt wurde Czarnek im Sommer auffällig, als er öffentlich und ganz nach dem Geschmack Kaczyńskis davon sprach, dass Lesben und Schwule keine richtigen Menschen seien, dass überhaupt Schluss gemacht gehöre mit den linksradikalen Zumutungen des LGBT-Milieus. Zwar ist auch diese in Polens Öffentlichkeit höchst umstrittene Besetzung in erster Linie ein Ausdruck der angesprochenen Schwäche, doch bleiben die Verhältnisse im Kaczyński-Land gefährlich, nicht nur wegen der erneut zunehmenden Virus-Gefahr.