Im Jahre 2004 veröffentlichte Falladas ältester Sohn Uli eine Auswahl aus der Korrespondenz mit seinem Vater. Jetzt folgt, herausgegeben von Nele Holdack, ein schmales, sehr persönliche Einblicke gewährendes Bändchen mit Briefen, die der Schriftsteller und seine neunjährige Tochter Lore einander geschrieben haben.
Wie alle Eltern, so wollten auch Fallada und seine Frau ihren Kindern die bestmögliche Ausbildung angedeihen lassen. Doch die Dorfschule in Carwitz, wo die Familie seit Herbst 1933 lebte, genügte den Ansprüchen nicht. Und so besuchte der 1930 geborene Uli seit dem Frühjahr 1940 das Joachimsthalsche Gymnasium in Templin. Lore, die im Juli 1933 auf die Welt kam – ihre Zwillingsschwester starb nur wenige Stunden nach der Geburt – und „aus längst vergessenen Gründen“ von allen nur „Mücke“ genannt wurde, kam im August 1942 nach Hermannswerder. Auf der in den Templiner See hineinragenden Halbinsel im Südwesten von Potsdam existierte seit 1901 die evangelische Hoffbauer-Stiftung, zu deren Einrichtungen auch eine Mädchenschule gehörte.
Um ständig auf dem Laufenden zu sein, erwartete Fallada von den Kindern, dass sie regelmäßig schrieben. Nach nicht einmal einem Monat sah er sich bereits zu einer Schelte veranlasst: „Also, Mückchen, gewöhne Dich daran, dass Du uns einmal in der Woche von Dir und Deinem Leben dort erzählst, Bestellungen rechnen wir nicht als Briefe!“ Bereits zehn Tage später bedrängte er sie erneut: „Dein Vater ist ein alter Bohrer, und er lässt doch nicht eher nach, bis Du Dich daran gewöhnt hast, regelmäßig zu schreiben und auch unsere Fragen zu beantworten.“ Das tat Mücke dann auch. In den kommenden Monaten berichtete sie von den Alltäglichkeiten des Schulbetriebes genauso wie von Ausflügen nach Potsdam oder einem Besuch im Puppentheater. Der Vater, der ihr alsbald bescheinigen sollte, „noch eine große Briefschreiberin“ zu werden, erzählte der Tochter von der Familie, aber auch von seiner Arbeit. So konnte er am 20. Januar 1943 vermelden, dass er vom Berliner Scherl Verlag „einen großen Auftrag auf einen großen Roman bekommen“ habe. Hatte er doch am Tag zuvor den Vertrag für den „Unterhaltungsroman“ „Der Jungherr von Strammin“ unterschrieben, dessen Manuskript er bereits am 8. März abschließen sollte.
Als sich im März 1943 die Bombenangriffe auf Berlin häuften, fragte Mücke die Eltern besorgt: „habt ihr auch was von dem Fliegeralarm gemerkt das hat ja wieder großen Schaden angerichtet“. Und am 29. März konnte sie sie informieren: „Der Fliegeralarm ist glücklich überstanden. Aber am Potsdamer Banhof ist eine Bombe gefallen, da sind die Mauern zum Güterbanhof alle weg. Und das Stadtschloss da ist ein Dachstuhl abgebrannt.“ Das Kriegsgeschehen machte aber auch vor Carwitz nicht halt. Am 7. Juli berichtete ihr der Vater von den Veränderungen in der Umgebung des Dorfes: „Gestern ist Feldberg von allen Fremden und Sommergästen geräumt worden, es kam ein Zug mit 500 Bombengeschädigten aus Duisburg, da haben alle Platz machen müssen. Nun wird es wohl nicht mehr lange dauern, und auch wir bekommen Bombengeschädigte.“ Im letzten an die Tochter gerichteten Brief vom 26. Dezember 1943 hieß es Optimismus verbreitend: „Aber wir kommen noch immer ganz gut durch.“
Zum Jahresende 1943 verließ Mücke Hermannswerder und kehrte nach Carwitz zurück. Sie setzte den Unterricht zunächst in der Dorfschule fort, ab August 1944 wurde sie Schülerin des Lyzeums in Neustrelitz. Mit nur siebzehn Jahren verstarb Mücke am 5. Juli 1951 an einer Sepsis.
Die mit Falladas Werk bestens vertraute Herausgeberin Nele Holdack – wir haben ihr unter anderem die Veröffentlichung der Urfassungen von „Jeder stirbt für sich allein“ und „Kleiner Mann – was nun?“ zu verdanken – hat von den insgesamt 117 überlieferten Schriftstücken 62 ausgewählt und kommentiert. Hinzu kommt der für den Band titelgebende Text eines Vortrages, den Fallada für den literarischen Verein seines Sohnes Uli geschriebenen hat. Das 41-seitige, im Fallada-Archiv aufbewahrte Typoskript war Falladas letzte schriftstellerische Arbeit, entstanden in den Weihnachtstagen 1946 in der Berliner Charité. Die Herausgeberin liest diesen Text einerseits als „eine Erklärung des Vaters an seine Kinder, warum er so leben musste, wie er es tat“, andererseits ist es „das Vermächtnis eines Vaters, dessen Dämonen ihn zuletzt doch noch fanden“. Schließlich sah der sich zeitlebens als „ein Sklave [s]einer Bücher“, der sich die Frage stellen musste: „Schreibe ich denn diese Bücher?“ Und der darauf nur eine Antwort hatte: „Es schreibt sie in mir. […] Ich muss so schreiben, wie das Gesetz in mir ist, oder ich muss das Schreiben lassen.“
Der Briefwechsel ist Teil des Jubiläumsprogramms des Aufbau Verlages, der am 16. August vor 75 Jahren gegründet wurde und den Werken Hans Falladas von Beginn an ein besonderes Augenmerk geschenkt hat. Ein gelungenes Geschenk, das sich der Verlag damit selbst gemacht hat.
Hans Fallada: „Meine lieben jungen Freunde“. Briefe an die Kinder, Aufbau Verlag, Berlin 2020, 144 Seiten, 16,00 Euro.
Schlagwörter: Briefe, Hans Fallada, Mathias Iven