Polens Staatliche Wahlkommission konnte nur noch feststellen, dass am Tag der Präsidentschaftswahlen am 10. Mai 2020 nicht gewählt wurde. Nun wird fieberhaft nach einem Ausweg gesucht. Regierungslager wie Opposition, so scheint es jetzt, werden wohl für den 28. Juni 2020 als Wahltermin optieren. Wenig Zeit also, um einen Wahlkampf zu entfesseln, der wegen der anhaltenden Virus-Krise bislang noch gar nicht aus den Startlöchern gekommen ist. Auch wenn das öffentliche Leben im Lande nun langsam wieder hochgefahren wird, ändert das im Grunde nicht viel, denn größere Veranstaltungen mit Publikum wird es wohl frühestens ab Juli geben. Dann aber geht das Land traditionell in die großen Sommerferien, in denen Politik ohnehin merklich zurückzutreten hat.
Die wichtigste Oppositionskraft hat nun beschlossen, für die verbleibende Wegstrecke einen neuen Kandidaten ins Rennen zu schicken. Bislang sollte Małgorzata Kidawa-Błońska die Kastanien aus dem Feuer holen, also die Scharte der beiden verlorenen Wahlen im letzten Jahr für die im Kern liberal ausgerichtete Bürgerlichen auswetzen. Sie selbst neigt dem konservativen Flügel zu, der keinen unbeträchtlichen Einfluss in der Gruppierung ausübt. Ein wenig erinnerte ihr ganzes Auftreten in der gescheiterten Kampagne allerdings an die Art und Weise, wie Bronisław Komorowski von 2010 bis 2015 das hohe Amt ausführte – als jemand, der eher die innenpolitischen Gräben zuschüttet und keine neuen aushebt. Auch er gehörte dem konservativen Flügel an, betonte gerne seine aristokratische Abstammung und machte keinen Hehl aus ihm wichtigen Werten. Als Kidawa-Błońska jetzt ihren Hut nahm, wurde sie im eigenen Lager unisono wegen ihres Festhaltens an wichtigen Werten gelobt.
Kidawa-Błońska war tüchtig ins Straucheln geraten, als sie inmitten der Corona-Pademie als erste der Kandidaten den Wahltermin am 10. Mai infrage stellte und das Regierungslager aufforderte, auf gesetzlich tragfähige Weise für eine Verschiebung zu sorgen. Als Jarosław Kaczyński jedoch hartnäckig an diesem Termin festhielt, sogar seine Mehrheit im Parlament aufs Spiel setzte, drohte die Herausforderin mit einem Wahlboykott, erklärte entschieden, nur dann zu Wahlen anzutreten, wenn sie demokratisch und freiheitlich seien. Es sah plötzlich so aus, als hätte sie den Wahlkampf eingestellt, entsprechende schlechte Umfragewerte purzelten schnell hinterher. Die nahm sie zum Anlass, kurz nach den ausgefallenen Wahlen ihren Rückzug zu erklären.
Neuer Kandidat der Bürgerlichen ist Rafał Trzaskowski, Warschaus Stadtpräsident und bekennender Liberaler, dem vielfach sogar ein linksliberaler Einschlag nachgesagt wird. Trzaskowski gilt vor allem als erfolgreicher Wahlkämpfer, sein prestigeträchtiges Amt in Warschau hatte er im Herbst 2018 bereits in der ersten Runde erobert. In seinen ersten Stellungnahmen machte Trzaskowski schnell deutlich, dass er Staatspräsident Andrzej Duda, der mit voller Unterstützung des Kaczyński-Lagers um seine Wiederwahl kämpft, politisch herausfordere und diesen in der Stichwahl bezwingen möchte, damit ein Signal gesetzt werde, dass die schlimmen und gefährlichen Entwicklungen im Lande gestoppt würden. Ob mit den nicht abgehaltenen Wahlen vom 10. Mai und der zeitlichen Verschiebung alles im gesetzlichen Rahmen zugegangen sei, müssten jetzt andere Stellen und Instanzen überprüfen, seine klare Aufgabe aber heiße – Wahlkampf. Und den wolle er in erster Linie mit politischen Argumenten führen, weniger mit langwierigeren Verfahrens- und Verfassungsfragen.
Wahrscheinlich wird es Anfang Juli zur Stichwahl zwischen Amtsinhaber Duda und Trzaskowski kommen. Darauf stellen sich auch die Nationalkonservativen ein, die ihre Hoffnung nun aufgegeben haben, Duda könne im Schatten der Corona-Krise bereits im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen einstreichen. Entsprechend wird in den Regierungsmedien der Kandidat der Bürgerlichen nun als wahres Schreckgespenst hingestellt, mal wird er lächerlich gemacht und als unfähig denunziert, mal als große Gefahr für das Vaterland beschrieben. Man weiß um den Einsatz – Top oder Flop!
Interessant ist die Einschätzung des früheren polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski, der sagt, die Nominierung Trzaskowskis erinnere ihn an das Auftauchen eines Schattens im dichten Nebel, womit er den bisherigen Wahlkampf in Corona-Zeiten meint, in dem alle Konturen zu verschwimmen drohten. Zugleich warf er Kidawa-Błońska vor, zu lange überzeugt gewesen zu sein, ein auf freundlich-braves Auftreten und Händeschütteln ausgerichteter Wahlkampf werde schließlich über die aufgerissenen Gräben hinweg eine nötige Mehrheit erbringen, wo angesichts der verfahrenen Situation allein wohl noch die scharfe Zuspitzung, die Polarisierung helfe – hier wir, dort ihr! In diesem Vorwurf klingt noch einmal bedauernd mit, dass Komorowski sich 2015 mit einer ähnlichen Haltung von Duda überraschen oder besser übertölpeln ließ. Das war, wie man heute weiß, der Beginn des Siegeszugs der von Kaczyński angeführten Nationalkonservativen, die seitdem alles dem großen Ziel unterwerfen, eine neue Verfassungsordnung herzustellen.
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