von Sandra Beyer
Tokyo ist wahrlich nicht die älteste Stadt Japans, die alte Kaiserstadt Kyoto jedoch eben so wenig. Die Besucherin mag es der Industriestadt Osaka nicht ansehen, doch liegt die Wiege des Inselreiches genau in den Tälern um diesen Ort. Die ersten Höfe der Dynastien, aus denen die Kaiser hervorgehen sollten, lagen in den heutigen Präfekturen Osaka und Nara. Das Geschichtsmuseum der Stadt Osaka zeigt denn auch eine Audienz am kaiserlichen Hofe im achten Jahrhundert. Der Herrscher wurde auch damals schon Tenno, König des Himmels, genannt, auch wenn sein Einflussbereich kaum über die Berge im Osten bis zum Biwasee und im Westen jenseits des heutigen Kobe hinausreichte. In der Wildnis dahinter hausten die Ezu, von denen die Ethnologie ausgeht, dass sie die Vorfahrinnen und Vorfahren der Ainu auf Hokkaido sind. Dennoch wird die Wiege des japanischen Kaiserreiches um die Gegend um Osaka gelegt.
Vom Geschichtsmuseum Osaka steht die Besucherin in der zehnten Etage neben den lebensgroßen Figuren des Hofstaates und sieht herunter auf den Grundriss des Palastes der Hauptstadt Naniwa. Betonklötze zeigen die Ausmaße der Bauten an. Das Museum legt viel Wert auf die aktive Partizipation der Besuchenden. Fragen zu den einzelnen geschichtlichen Epochen fordern zum genauen Lesen auf, Freiwillige führen Münzprägungen und Ausgrabungen vor. Wie in Tokyo stehen auch hier die Edo-Zeit und die Entwicklung zur Industriestadt im 19. Jahrhundert im Mittelpunkt. Ein berühmtes Sprichwort des 18. Jahrhunderts zeichnete Edo (das heutige Tokyo) als administrative, Kyoto als die kulturelle und Osaka als die wirtschaftliche Hauptstadt des Landes aus. Die Stadt ist als Hafen- und Handelsmetropole immer eine selbstbewusst bürgerliche gewesen. Was in Edo die Handwerker und Kleinhändler waren in Osaka die Finanzhäuser und der Reishändler. Die Nähe zur Inlandsee im Südwesten, zur Kaiserhauptstadt im Nordosten und zu der großen Tokaido-Handelsstraße nach Edo machte Osaka zeitweise zur reichsten Stadt des Reiches unter der letzten Shogunatsregierung. Von diesem Reichtum ist wenig übrig geblieben, denn diese besondere geografische und kulturelle Lage in der Mitte Japans weckte Begehrlichkeiten. Als 1853 die „schwarzen Schiffe“ bis nach Yokohama an der Bucht von Edo kamen, war die Abschließung der Häfen nicht mehr aufrecht zu erhalten. Zwar wurde zunächst versucht, die US-amerikanische Flotte nicht in Kanagawa, im heutigen Yokohama, eine Siedlung errichten zu lassen, doch waren deren Kanonen und Feuerwaffen eine überzeugende Politik gegenüber dem Adel Japans. Es wurden dann weitere Häfen geöffnet, so dass sich Städte wie Osaka, Kobe und Hiroshima bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu großen Städten mit westlichem Einfluss entwickeln konnten. Dies führte zur Ansiedlung von Schwerindustrie und militärischen Basen, weswegen diese Städte, die sich besonders der Architektur und der Lebensart des Westens zugewandt hatten, auch als erstes durch eben jenen in Schutt und Asche gelegt wurden.
Die Entwicklung zur modernen Großstadt wird auch in Osaka bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts nach verfolgt, während der Krieg und seine Ursachen im Vagen bleiben. Doch das Mitmachmuseum verweist auf andere Institutionen. Das Osaka National Peace Center, kurz Peace Osaka, liegt 500 Meter zu Füßen des Geschichtsturms und beginnt mit der Flächenbombardierung der Industrieregion. Nach der Schlacht von Midway im Juni 1942 waren die Hauptinseln in die Reichweite der amerikanische Flugzeugträger gekommen, so dass gerade die Hafenstädte im Süden angegriffen wurden. Das Museum beginnt seine Ausstellung im Erdgeschoss mit dem Leid der Bevölkerung, bevor im Untergeschoss die Kolonialisierung und die Verbrechen in Ost- und Südostasien in eindrücklichen Schwarzweißbildern gezeigt werden. Die Wände sind rostrote Eisenpfeiler, die den klaustrophobischen Eindruck eines Bunkers erwecken sollen. Das Konzept unterscheidet sich damit von dem des Museums für den Weltfrieden der Privatuniversität Ritsumeikan in Kyoto. Letzteres stellt zwar die gleichen Vorgänge dar, setzt jedoch auf wissenschaftliche Auseinandersetzungen über Militarisierung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit dem patriarchalen Tenno-System. Es werden Täter und Opfer mit Namen genannt. Das Peace Osaka verfolgt unausgesprochen den Kartharsisgedanken, in dem es der Besucherin auf engem Raum viele Photos von ausgemergelten asiatischen Körpern und Leichenbergen zeigt. Filme werden zur Einführung in den geschichtlichen Abschnitt genutzt; dafür gibt es wenige Beschreibungen. Augenfällig ist dies bei der Einordnung des fünfzehnjährigen Krieges in den Zweiten Weltkrieg. Auschwitz wird durch eine Zellentür symbolisiert. Auch wenn ein kurzer japanischer Text versucht, die Rassenideologie der Nationalsozialisten zu erklären, wirken die Bilder von Leichenbergen der Vernichtungslager seltsam harmlos gegenüber den Photos aus Asien. Dem Museum in Kyoto dagegen gelingt es mit seiner wissenschaftlichen Einordnung des Krieges durch die japanische Armee und Bürokratie in das Weltgeschehen besser, die Verbrechen in Europa einzuordnen und damit den Besuchenden näher zu bringen. Dies muss jedoch bei den Kriegen nach 1945 wegen der Komplexität der gesellschaftlichen Bedingungen scheitern. Das Peace Osaka versucht erst gar nicht, diese darzustellen. In kurzen Bilderstrecken werden exemplarisch Kriege in Asien gezeigt. Die so genannte Atomkriegsuhr im dritten Stock soll dafür auf die Gefahren eines Atomkrieges hinweisen und mahnt die Besucher, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, dies zu verhindern. Das Museum in Osaka appelliert an die individuellen Verantwortlichkeiten durch die Erweckung von Mitgefühl, das in Kyoto neigt durch die Betonung der gesellschaftlichen Zusammenhänge zur Entpersonalisierung des Kampfes für den Frieden. Beiden ist jedoch gemeinsam, dass sie ein japanisches Publikum über Ursachen und Wirkungen des fünfzehnjährigen Krieges aufklären wollen. So benennen sie den Krieg als solchen. Denn seit den Kriegsverbrecherprozessen in Tokyo vom 29. April 1946 bis 12. November 1948 gilt der Zweite Weltkrieg von 1939 bis 1945 als Maßstab für die Bewertung der Rolle Japans, lässt aber nach dem offiziellen Sprachgebrauch „Vorfälle“ in China und Korea seit 1930 außer acht. Es ist das Verdienst dieser Museen, genau das zu kritisieren. Dies wiederum erklärt den missionarischen Charakter, den beide an den Tag legen: Japan dürfe Krieg in der Welt nie wieder zuzulassen.
Ein weiteres Museum in dieser Gegend macht es sich zur Aufgabe, die japanische Bevölkerung über ihre zivilgesellschaftliche Verantwortung aufzuklären. Die Disaster Reduction and Human Renovation Institution dokumentiert die Auswirkungen der Hanshin-Awaji-Erdbebenkatastrophe vom 17. Januar 1995. Es versteht sich ausdrücklich als Forschungsinstitut, das auf den Umgang Japans mit seinen natürlichen Ressourcen einwirken und den Nachbeben auf das soziale Leben mehr Augenmerk verleihen will. Doch auch wenn dieses Museum ein staatliches ist, sind die Erfahrungen Kobes nur unzureichend in die Reaktionen auf das Große Tohoku-Erdbeben am 11. März 2011 eingeflossen. Dass Kobe noch heute eine der ärmsten Großstädte ist, liegt an den Langzeitwirkungen einer Katastrophe auf das soziale und wirtschaftliche Leben einer Gemeinschaft. Gleichzeitig ist diese Stadt einer der sozial bewusstesten, die Arbeits- und Obdachlosigkeit nicht ignoriert und eine aktive Bürgerschaft hat, die sich gerade in der Stadtentwicklung streitbar einbringt. Die Region Kobe-Osaka verfügt wie Tokyo und Hiroshima über die schillerndsten und buntesten Nachtleben, kulturellen Szenen und Subkulturen. Gerade die japanischen Städte mit geschichtlichen Narben haben nach 1945, aber spätestens nach den Studentenrevolten 1968 eine Offenheit gegenüber Revolten gegen gesellschaftliche Normen entwickelt, die sie so reizvoll für die Besucherin macht.
Schlagwörter: Japan, Kobe, Museen, Osaka, Sandra Beyer, Tokyo, Zweiter Weltkrieg