23. Jahrgang | Nummer 9 | 27. April 2020

Viktor Mann als Biograph seiner Familie

von Mathias Iven

Im Herbst 1949 erschien im Konstanzer Südverlag das Buch eines bis dahin unbekannten Autors. Mit „Wir waren fünf“ legte Viktor Mann eine bis heute als Standardwerk geltende Familiengeschichte der besonderen Art vor. Im Mittelpunkt die Kinder eines Lübecker Senators: die Geschwister Heinrich, Thomas, Julia, Carla und Viktor Mann. Wie es zu diesem Buch kam, dokumentiert der soeben veröffentlichte, die Biographie der „amazing family“ um eine neue Facette bereichernde Briefwechsel zwischen Viktor Mann und seinem Verleger Johannes Weyl. Herausgegeben und kenntnisreich kommentiert hat ihn Manfred Bosch, der in den vergangenen Jahren bereits für eine Neuausgabe von „Wir waren fünf“ verantwortlich zeichnete. Zudem widmete er der Entstehungsgeschichte des Buches ein eigenes Kapitel in dem 2018 veröffentlichten Band „Die Manns am Bodensee“.

Begonnen hatte alles zwei Jahre zuvor. Im schweizerischen Kreuzlingen war es im Sommer 1947 zu einem ersten Wiedersehen zwischen Viktor und Thomas Mann nach dem Zweiten Weltkrieg gekommen. Bei der Beschaffung der für den Grenzübertritt notwendigen Unterlagen hatte der Verleger Johannes Weyl geholfen. Weyl, der bereits während seiner Studienzeit journalistisch tätig war und später in leitender Position im Berliner Ullstein-Verlag wirkte, war nach dem Krieg an den Bodensee gekommen und hatte dort unter anderem den Südverlag und die Tageszeitung Südkurier gegründet. Nach seiner Rückkehr aus der Schweiz suchte Viktor Mann Johannes Weyl in Konstanz auf, um sich bei ihm für dessen Hilfe zu bedanken. Im Verlaufe dieses Treffens, bei dem auch Weyls Mitarbeiter Ludwig Reindl anwesend war, kam Viktor Mann ins Erzählen. Beeindruckt von dem reichen Erinnerungsschatz, gab Weyl ihm den Rat, daraus ein Buch zu machen. „Heimgekehrt“, so erinnerte sich Viktor Mann in „Wir waren fünf“, „ging ich in das unwahrscheinliche Unternehmen wie Hans Castorp in den Zauberberg besuchsweise, ,auf drei Wochen‘. Und es wurden zwanzig Monate daraus. Es muß in der Familie liegen.“

In der Folge entwickelte sich zwischen Autor und Verlag ein brieflicher Gedankenaustausch, der nicht nur als „Zeugnis einer lebendigen, geistreichen und stilistisch reifen Briefkultur“ gelten kann. Manfred Bosch hebt in seinem Nachwort zu Recht hervor: „Eine Autorenkorrespondenz dieses Ausmaßes und dieser Qualität um ein einzelnes Buch, ein so eingehender Austausch zwischen Autor und Verleger nicht allein um Inhalte und Gestaltungsfragen ist weit über die Geschichte des Südverlags hinaus einzigartig und darf für die neuere Verlagsgeschichte wohl insgesamt als exemplarisch gelten.“

Am 24. Juni 1947 eröffnete Viktor Mann den Schriftwechsel mit der euphorischen Anrede: „Meine lieben und verehrten Protektoren, Gastgeber und künftige Verleger!“ Ein wenig zurückhaltend setzte er fort: „Ihr nachdrückliches Verlangen nach Eröffnung einer Memoirenschreiberei meinerseits trägt mir viel Grübeln und Überlegen ein, und zwar im positiven Sinn. Freilich habe ich hier so viele ,hauptberufliche‘ Arbeit vorgefunden, dass ich für die nächste Zeit noch recht schwarz für meinen ungeborenen Literatenruhm sehe, aber es bleibt dabei, ich werde zunächst einfach Bruchstücke schreiben, wie sie mir in die Feder kommen, und sie zur Begutachtung schicken.“ Und die „Bruchstücke“ ließen nicht lange auf sich warten. Nicht einmal drei Wochen darauf erreichte Weyl die Mitteilung, dass Viktor Mann „die ersten Kapitelchen [s]eines epochemachenden Werkes im Konzept beendet habe“.

Der Verleger war begeistert und trat aufkommenden Zweifeln am Wert des Ganzen entschieden entgegen. „Ihr Werk“, so Weyl, „wird das allergrößte Interesse und in der großen Linie nur den lebhaftesten Beifall finden.“ Viktor Mann wandte ein: „Wenn man erst mit 57 zu schreiben beginnt, hat man nicht das stürmische Selbstbewusstsein eines jungen Poeten, sondern die Skepsis eines reifen Lebens in sich, die sich natürlich auch gegen das eigene Schaffen richtet.“ Doch sein Verleger, von Manfred Bosch „als Bei-Laune-Halter und Ermunterer, als Bedenken-Abwiegler und Sparring-Partner“ beschrieben, wusste ihn zu beruhigen: „Sicher ist das stürmische Selbstbewusstsein des jungen Poeten sehr viel wert, aber es ist nicht alles. Das reife Leben bedeutet ja nicht nur Skepsis, sondern auch Sicherheit, zumindest ein gutes Verhältnis zwischen Skepsis und Sicherheit. Und ich bewundere […] die Sicherheit, mit der Sie Ihre Position gegenüber der Tatsache zweier berühmter schreibender Brüder gefunden haben“.

Nicht einmal anderthalb Jahre arbeitete Viktor Mann an seinen Erinnerungen. Ermuntert von Johannes Weyl – „Immer mehr komme ich zu der Ansicht, dass Ihr Buch gar nicht dick genug sein kann.“ – war das Manuskript Woche um Woche gewachsen. Schließlich der Schlusspunkt: „Nicht ohne Feierlichkeit schreibe ich genau um Mitternacht des letzten Novembertages [1948] diese Zeilen, die das letzte Kapitel meines Buches zu Ihnen begleiten sollen.“

Viktor Mann hat das Erscheinen seines Buches nicht mehr erlebt. Sein letzter Brief trägt das Datum vom 17. April 1949, auf dem Krankenbett arbeitete er an den Korrekturen der ersten beiden Bogen. Vier Tage später verstarb er völlig unerwartet. „Der Schriftsteller Viktor Mann. Eine geistige Gestalt ist es“, so Johannes Weyl in seiner Grabrede, „die in der bewegendsten Weise spät herausgetreten ist aus der bürgerlich-verhaltenen Existenz.“

Manfred Bosch (Hrsg.): „Sie gehören zum literarischen Familien-Phänomen Mann dazu“. Der Briefwechsel zwischen Viktor Mann und seinem Verleger, Südverlag, Konstanz 2020, 448 Seiten, 24,00 Euro.

Viktor Mann: Wir waren fünf – Bildnis der Familie Mann. Mit einem Nachwort von Manfred Bosch, Südverlag, Konstanz 2017, 653 Seiten, 29,00 Euro.