von Mathias Iven
Der vielfach ausgezeichnete Publizist und Literaturhistoriker Manfred Bosch hat über Jahrzehnte hinweg eine besondere, durch seine zahlreichen Publikationen dokumentierte Beziehung zum Bodensee entwickelt. Sein jüngstes Projekt widmet sich dem Thema Die Manns am Bodensee. In Zusammenarbeit mit dem Hesse Museum Gaienhofen hat er die gleichnamige, derzeit dort laufende Ausstellung kuratiert und einen äußerst informativen Begleitband veröffentlicht. In dem mit umfangreichem Bild- und Dokumentenmaterial ausgestatteten Buch, das an die 1991 veröffentlichte Publikation „Thomas Mann und die Seinen am Bodensee“ von Josef Hoben anknüpft, „geht es um die Familie [Mann] im engeren wie im weiteren Sinn“.
Bosch zeigt einerseits welche biografischen, mit dem Bodensee in Verbindung stehenden Bezüge sich ausmachen lassen sowie andererseits, wie das „Schwäbische Meer“ Eingang in das literarische Werk einzelner Familienmitglieder gefunden hat. Und schließlich kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: „Es gilt, über allfällige Bezüge der Familie Mann zum Bodensee hinaus nach Möglichkeit auch Essenzielle(re)s über diese Landschaft mitzuteilen.“ Ein „Anspruch auf Vollständigkeit“, das dürfte in diesem Fall klar sein, wäre eine „bloße Verstiegenheit“, zumal aufwändige Archivrecherchen ausgespart blieben und Bosch „weitestgehend auf bereits publizierte Quellen“ zurückgegriffen hat – was das Ergebnis aber keineswegs schmälert.
Am Anfang stehen die 1991 in einer erweiterten Neuausgabe von Aus Dodos Kindheit veröffentlichten Aufzeichnungen von Julia da Silva-Bruhns, der Mutter von Heinrich, Thomas, Julia, Carla und Viktor Mann. Im Jahre 1888 unternahm sie gemeinsam mit ihrem Gatten, dem Senator Thomas Johann Heinrich Mann, eine dreiwöchige Reise, die sie auch an den Bodensee führte. Unter dem Datum des 6. September hielt sie unter anderem fest: „Sehr schöne Fahrt über den Bodensee bei immer günstiger Witterung – vorüber an Lindau, Friedrichshafen, Rohrschach, Mainau, nach Konstanz.“
Ihr ältester Sohn Heinrich hat kaum Spuren am Bodensee hinterlassen. Einzig Anfang 1922, nach einer lebensbedrohlichen Erkrankung, kam er zur Genesung nach Überlingen. Am 19. April teilte er seinem Bruder Thomas mit: „Hier sind wir, draussen lädt der Schnee zum Wintersport ein, wir lehnen ab. Sonst ist es ganz hübsch.“
Knapp ein Drittel des Buches ist dem Thema „Die Beziehung Thomas Manns zur Schweiz“ gewidmet, brachte doch diese, so Manfred Bosch, „manche Berührung und Begegnung mit dem Bodensee mit sich“. Beispielsweise kam Thomas Mann in den fünf Jahren seines Küsnachter Exils zwei Mal nach Ermatingen am Untersee. Chauffiert von Sohn Golo traf man sich 1935 und 1936 im dortigen Gasthof Adler mit dem Schweizer Schriftsteller Gottlieb Heinrich Heer. Nach dem Zweiten Weltkrieg führte sein Weg erneut dorthin, so belegt durch den Tagebucheintrag vom 22. Juli 1947.
Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang stand die Wiederbegegnung mit seinem jüngeren Bruder Viktor im Sommer 1947 in Kreuzlingen. Davon ausgehend zeichnet Bosch die Veröffentlichungsgeschichte von Viktor Manns familienbiografischen Erinnerungen Wir waren fünf nach, die – so wie der hier angezeigte Band – im Konstanzer Südverlag erschienen, deren Veröffentlichung er aber leider nicht mehr erlebte.
Doch nicht nur ihre Söhne, auch Julia Manns Kindeskinder standen in vielerlei Beziehungen zum Bodensee. So fuhren Erika Mann und Gustaf Gründgens nach ihrer Trauung im Münchener Standesamt und der anschließenden Hochzeitsfeier in Feldafing im Juli 1926 in die Flitterwochen an den Bodensee. Für einige Tage logierten sie im Kurgartenhotel in Friedrichshafen. Einige Eindrücke, die sich auf diesen Ort beziehen, fanden übrigens Eingang in Erika Manns 1932 erschienenes Kinderbuch Stoffel fliegt übers Meer.
Bereits drei Jahre zuvor, Ostern 1923, fanden Golo Mann und seine Schwester Monika Aufnahme in der reformpädagogisch ausgerichteten Internatsschule Schloss Salem. In ihren unter dem Titel Vergangenes und Gegenwärtiges veröffentlichten Erinnerungen charakterisierte Monika Mann die Schule wie folgt: „Über dieser Welt des Sports, der Musik, Naturforschung, Handwerkerei und des Spiels standen die Schlagworte ,Kameradschaft‘ und ,Menschenehre‘ geschrieben.“
Und Golo Mann? „Von meiner Salemer Kindheit bis an mein siebzigstes Jahr hat der Bodensee in meinem Leben eine Rolle gespielt.“ Mit dem Bodensee entdeckte er eine Landschaft, die er sofort in sein Herz schloss und die ihm lebenslang vertraut blieb. Sie weckte, meint Manfred Bosch, „in dem Heranwachsenden nachgerade Boyscout-Instinkte, verbunden mit einem wachen Sinn für historische Zusammenhänge“. Die Leidenschaft für die Geschichte machte er zum Beruf. Bücher wie Wallenstein oder Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts wurden zu Bestsellern. Daran gearbeitet hat Golo Mann auch am Bodensee: auf der schweizerischen Seite im Gasthof Zur Krone in Altnau.
Manfred Bosch zeigt mit diesem Buch nicht nur, wie eine Örtlichkeit zum Ausgangspunkt einer weit über das Biografische hinausgehenden Darstellung werden kann. Er liefert mit „Die Manns am Bodensee“ zugleich einen weiteren unverzichtbaren Baustein zur Geschichte dieser „amazing family“.
Manfred Bosch: Die Manns am Bodensee – „Haben es ganz gut getroffen …“, Südverlag, Konstanz 2018, 144 Seiten, 24,00 Euro.
Die gleichnamige Ausstellung kann im Hesse Museum Gaienhofen noch bis zum 16. September 2018 täglich außer montags besucht werden.
Schlagwörter: Bodensee, Familie Mann, Hesse Museum Gaienhofen, Manfred Bosch, Mathias Iven, Thomas Mann