23. Jahrgang | Nummer 5 | 2. März 2020

In Potsdam boomt der Impressionismus

von Klaus Hammer

Es bildet zweifellos den Mittelpunkt dieser wunderbaren Claude-Monet-Ausstellung, die jetzt im Museum Barberini in Potsdam zu sehen ist: das Gemälde „Heuhaufen“ (1890) in der Sonne, das von Hasso Plattner, dem SAP-Gründer und Erbauer des Museums, im vergangenen Jahr für knapp 111 Millionen Dollar – der höchste Ertrag, den bisher ein Monet erzielt hat – ersteigert wurde. Jetzt können allein vier Variationen des berühmten „Heuhaufen“-Motivs vorgeführt werden. Monet hatte 1888 mit einem System begonnen, das das gleiche Motiv immer wieder von Neuem, in Serien, zeigte. Wahrscheinlich regten ihn dazu japanische Holzschnitte an, die unter Pariser Künstlern in Umlauf waren und ihnen eine Fülle von Motiven boten. Insgesamt 15 Ansichten von Heuschobern entstanden. Die runden Heuhügel waren so ziemlich das Formloseste, was Menschen machen konnten. Sie waren neutrale Motive in wechselndem Licht. Und genau das wollte Monet: Die unendlich variierbaren Lichtwirkungen zeigen, die man einem Motiv zu verschiedenen Tageszeiten und bei unterschiedlichem Wetter abgewinnen kann. Jeder Heuschober sollte ein Beispiel für etwas gleichzeitig Alltägliches und immer Wiederkehrendes sein und alle Möglichkeiten ausschöpfen, die ein menschliches Auge erfassen kann.

Mit mehr als 100 repräsentativen Werken aus allen wichtigen Schaffensperioden ist die Ausstellung „Monet. Orte“ eine der umfangreichsten Retrospektiven, die je in Deutschland gezeigt wurden. Allein 34 Monets nennt die Stiftung Plattner ihr Eigen. In enger Kooperation mit dem Denver Art Museum, das seine große Monet-Sammlung zur Verfügung stellte, sind Leihgaben aus Privatbesitz und den großen Museen der Welt hinzugekommen. Monets impressionistische Bilder zeigen Orte, in denen sich der Künstler aufgehalten und aus denen er seine Inspiration bezogen hat: Paris, London, Zaandam in Holland, Amsterdam, der Pariser Vorort Argenteuil, das Seine-Dorf Vétheuil, Giverny in der Normandie, wo er dann seinen dauerhaften Wohnsitz nehmen sollte, der normannische Küstenort Etretat, Bordighera an der italienischen Küste, Antibes und Venedig, wohin er dann Reisen unternahm. Von Giverny begab sich Monet auch nach Rouen, um dort 26mal – bei unterschiedlichem Licht – die Fassade der Kathedrale zu malen, aber dieses Motiv wird in der Ausstellung nicht gezeigt. Es sind die Boulevards und lichterfüllten Parks von Paris, die Dunst- und Nebelschleier von London, die Brücken, Windmühlen, Kanal- und Hafenszenen in Holland, das Leben und Treiben auf der Seine, das Monet von seinem Atelierboot aus festhielt, die ländlichen Idyllen der Seine-Landschaft, die gewaltigen Küsten Nordfrankreichs, die Lichtstimmungen und mediterrane Atmosphäre des Südens, schließlich das selbst geschaffene „Paradies“ in Giverny, das wir bewundern können.

Die Arbeiten reichen vom idealisierten Bild zu einer Darstellung, die auf dem genauen Studium der Natur beruhte. Das Gesehene sollte treu und wahrhaftig wiedergegeben werden und in das Porträt einer realen Landschaft münden. Es etablierte sich die Naturstudie vor Ort mit einer Konzentration auf die Phänomene Licht, Schatten und Atmosphäre. Das Lichtspiel einzufangen war für Monet ein Grundbedürfnis. Deshalb malte er als faszinierende Sondererscheinungen der Natur im Wandel des Lichtes auch Überschwemmungen, Eistreiben, Straßen im Schnee und winterliche Sonnenuntergänge.

Keiner der Impressionisten hat die „Haut“ der Landschaft beredter geschildert als Monet. Er malte die Bäume, das Meer und den Himmel so, wie Renoir die Haut der Frauen malte. Und doch strahlen nur wenige der Bilder, die er vor seinem 50. Geburtstag schuf, die gedankliche Durchdringung, die analytische Ruhe innerhalb eines Gartens Eden aus, die seine wirkliche Größe ausmachen. Schon 1880 äußerte Monet große Bedenken gegen den Impressionismus als Kunstrichtung, weil es für zweitrangige Künstler so leicht war, Wirkungen mit impressionistischen Tricks zu erzielen. Er wollte in die Tiefe gehen, die tiefer liegenden Interaktionen zwischen Auge und Verstand bloßlegen.

Gerade Argenteuil ist in der Kunstgeschichte zum Synonym für den optischen Impressionismus Monets geworden – mit seinem Gefüge aus flirrenden Farbtupfern, seinen hellen, „heiteren“ Farben, dem Bemühen um wechselnde Lichtstimmungen und transparente Atmosphäre, was den Verzicht auf Linearperspektive und modellierte Körperlichkeit bedeutete. Doch keineswegs verzichtet dieser optische Impressionismus auf jeden zeichnerischen Akzent.

Monet malte während seiner wiederholten Aufenthalte in Etretat jenen ins Meer hineinragenden zerklüfteten Kalkfelsen in Gemälden, in denen unterschiedliche Phasen der sinkenden Sonne festgehalten sind, die den Himmel in einem intensiven Rot aufleuchten lässt, während die Klippen des Felsen als dunkle Silhouette aufragen und das ruhige Meer die Farben des Himmels reflektieren. Nicht das sich wiederholende Landschaftsmotiv steht im Zentrum, sondern das langsam schwindende Tageslicht, die in einer kurzen Zeitspanne sich verändernden Farben von Steilküste, Meer und Himmel. Hier bietet sich das Schauspiel einer in ihrer materiellen Tatsächlichkeit zurücktretenden, in eine reine Lichterscheinung sich verwandelnden Meeres- und Küstenlandschaft. Monets Bilderserien der 1890er Jahre, die sich in Etretat vorbereiten, sind letztlich der Versuch, über sich immer weiter zergliedernde Eindrücke wieder zur Vorstellung des Ganzen zu gelangen. Monets Sommerlandschaft in Giverny wird dann jene Heiterkeit und Gelöstheit charakterisieren, die Merkmal der lichtdurchfluteten Landschaften der Impressionisten sind und dem Betrachter die Vorstellung eines irdischen Paradieses vermitteln. Aber war es das wirklich?

Als sich Monet in den 1880er Jahren in dem Dorf Giverny bei Vernon, 80 km von Paris entfernt, niedergelassen und seinen Garten anzulegen begonnen hatte, schien das wie ein Rückzug aus dem künstlerischen Leben. Die impressionistische Bewegung hatte längst ihren Höhepunkt überschritten, jüngere Künstler wie Seurat wollten die Vorherrschaft des Auges über den Verstand brechen und wieder Ordnung, Struktur und System in das Chaos des „Sehens“ bringen. Sein Garten in Giverny, den er von einem Blumengarten zu einem Wassergarten mit seinen Seerosen, den Iris, den Trauerweiden und der grünen glyzinienüberwucherten japanischen Brücke zu entwickeln begann, lieferte Monet die Motive für seine besten Bilder. Vorher entstand eine Reihe von Pappelbildern; das Motiv ist auf flächige Farbstreifen reduziert, Himmel, Flussufer und Spiegelung im Wasser, die noch durch die leicht gewellten Vertikalen der Baumstämme im Wasser hervorgehoben wird. In den „Seerosen“ von Giverny wurde er dann noch flächiger. Sie entspringen einer langen Beschäftigung mit einer Unterwasserwelt, die sich spiegelt, in der kein Himmel zu sehen ist, außer seiner Spiegelung im Wasser, das die ganze Fläche ausfüllt. Monet hat die Realität mit einem Höchstmaß an Abstraktion eingefangen. Er, der einstige Begründer einer schon längst als überlebt geglaubten Bewegung, reihte sich selbst in die Schar der großen Anreger und Exponenten der Moderne im 20. Jahrhundert ein.

Seit etwa 1970 hatte auch die Kunstgeschichte begonnen, über das Alterswerk des Meisters von Giverny neu nachzudenken und ihn neben Cézanne als zweiten Patriarchen der Moderne einzuordnen. Die Potsdamer Ausstellung ist dazu eine Schule des Sehens, die die Bewunderung und den Respekt vor der bahnbrechenden Leistung dieses großen Meisters erheischt.

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Nach dem bewegenden Besuch der Monet-Ausstellung sollte man seine Schritte quer über den Alten Markt ins benachbarte Potsdam-Museum lenken, wo mit einer beeindruckenden Karl-Hagemeister-Retrospektive das deutsche Pendant zu dem Franzosen Monet gezeigt wird. Hagemeister, der fern der Großstadt Berlin lebende Maler der märkischen Landschaft, soll hier aus seiner singulären Existenz gelöst und zu einem Wegbegleiter zeitgenössischer Strömungen gemacht werden. Wie sein Künstler-Zeitgenosse Walter Leistikow bevorzugte Hagemeister Motive von den märkischen Seen, seit 1907 kamen dann auch See- und Küstenbilder von der Insel Rügen hinzu. Der „märkische Corinth“, wie er auch genannt wurde, setzt dunkles Geäst vor hellen Himmel, helle Stämme vor Waldesdunkel, lässt die Ufervegetation vom Wind peitschen oder dünnes Sonnenlicht durch die Bäume schimmern, gestaltet Durchblicke auf Seen und Tümpel, graue Regenstimmungen und die dann auch immer noch helle und tonige Luft in ihren vielfältigen Abstufungen, schafft Vorfrühlingsbilder, in denen die Vegetation noch ruht, oder gibt Wintermotive mit einer starken Schwarz-Weiß-Wirkung. Die Entwicklung der modernen Landschaftsmalerei um die Jahrhundertwende wird in der Ausstellung durch Werke von Hagemeisters Weggefährten wie Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt, Lesser Ury, Walter Leistikow und andere dokumentiert.

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Schließlich – und das dürfte sich als ein absoluter Höhepunkt erweisen – werden ab dem 5. September im Museum Barberini über 100 Meisterwerke von Monet, Renoir, Morisot. Sisley, Pissarro, Cross, Signac und weiteren Malern des Impressionismus und Postimpressionismus aus der Sammlung des Museumsgründers Hasso Plattner gezeigt. Sie werden künftig dauerhaft im Museum präsentiert werden. In Vorfreude gerät man ins Schwärmen: Die Wandelbarkeit eines Naturausschnitts bei wechselnder Tages- und Jahreszeit war ein Hauptthema der französischen Impressionisten. Sie verstanden Licht und Schatten als farbige Phänomene und setzten die Reflexe des Sonnenlichts auf den Dingen mit Farben und kurzen, nebeneinander liegenden Pinselstrichen um. Die Palette hellte sich auf, Schwarz verschwand als „Farbe“ völlig. Erst die Gruppierung der Werke nach Themen wird dann zeigen, wie planvoll und methodisch das Vorgehen der impressionistischen Künstler war.

Wer den Impressionismus – außerhalb von Paris – sehen will, für den bedeutet Potsdam tatsächlich die erste Adresse.

Monet. Orte, Museum Barberini Potsdam, Alter Markt, täglich außer dienstags 10-19 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat 10-21 Uhr, bis 1. Juni; Katalog 30,00 Euro.

KARL HAGEMEISTER „… das Licht, das ewig wechselt.“ Landschaftsmalerei des deutschen Impressionismus, Potsdam-Museum, Am Alten Markt 9, Dienstag, Mittowch und Freitag 10–17, donnerstags 10–18 Uhr, am Wochenende 10–18 Uhr, bis 5. Juli; Katalog 26,00 Euro.