von Klaus Joachim Herrmann
Ein Diplomat wünsche sich, dass die Beziehungen zu seinem Gastland beim Abschied besser seien als zur Zeit seiner Ankunft, vertraute unmittelbar vor seiner Abreise in die Heimat US-Botschafter Jon Huntsman einem Interviewer der russischen Zeitschrift Kommersant an. Er könne „mit Sicherheit sagen, dass es uns gelungen ist, dieses Ziel zu erreichen“, resümierte er überraschend. Seine Exzellenz sieht als eigenen Ausgangspunkt eine „mission impossible“, eine Eiszeit frostiger als die letzten Jahre des Kalten Krieges und vergleicht die Beziehungen mit einem sterbenden Patienten ohne Puls auf der Intensivstation. Bei alldem konnte es ja wohl nur besser werden.
Die Öffnung neuer Kommunikationskanäle, die Gewährleistung der Arbeit von Botschaft und Konsulaten bei gekürztem Personal und die Überwindung von Vorurteilen gegenüber den USA bilden im Wesentlichen die positive Bilanz des Diplomaten, der auch zwei Jahre Missionschef in China war. Ein Schuss Optimismus des als moderat geltenden Republikaners mag hinzukommen. Er ist sicher, dass sich die USA mit Russland vor allem zu Fragen der globalen Sicherheit und Rüstungskontrolle wieder an den Verhandlungstisch setzen werden.
Nach zwei Jahren verlässt Huntsman auf eigenen Wunsch den Posten in Moskau und könnte erneut Gouverneur des Bundesstaates Utah werden wollen – wie bereits in den Jahren 2005 bis 2009. Ein Rennen um die Präsidentschaft hatte der Politiker 2012 aufgegeben. Jetzt ist er 59 Jahre alt und kann es sich ja noch ein paar Mal überlegen. Erkenntnisse aus Dialogen in Moskau und Peking kämen ihm außenpolitisch sicher zupass, auch nur die geringste Besserung der Beziehungen täte dringend not.
Denn Washington und Moskau bleiben von einer Normalisierung Welten entfernt. Russlands Premier Dmitri Medwedjew klagte bei seinem Besuch in Havanna Anfang Oktober über einen „beispiellosen äußeren Druck gegen alle Normen des internationalen Rechts und bestehende internationale Konventionen“, dem Russland und Kuba ausgesetzt seien. So geht die Supermacht USA seit Jahrzehnten mit dem schäbigen Mut des Übermächtigen gegen ihre an die Revolution verlorene einstige Zuckerinsel vor. Die trotzt mutig einer brutalen Blockade, bleibt stolz und leistet Widerstand wie kein anderes Land. Das nach den verheerenden 90er Jahren wieder erstarkte Russland soll namentlich wegen seines Vorgehens in der Ukraine und der Einvernahme der Krim, wegen angeblicher Einmischung in die US-Präsidentenwahlen und Dutzender sonstiger Verfehlungen ebenfalls mit Sanktionen und Strafen verschiedenster Art auf einen vorgeblich rechten Weg gezwungen werden. Auch hier gilt eine Kapitulation als aussichtslos.
Von einem anhaltenden Niedergang der russisch-amerikanischen Beziehungen spricht der Außenpolitik-Experte Boris Schmeljow. Verschiedene US-Ministerien hätten insgesamt 80 Pakete von Sanktionen verhängt, was diese zu einem „Standardelement der bilateralen Beziehungen“ gemacht habe. Die Linie der Konfrontation werde fortgeführt. Präsident Donald Trumps Beteuerungen einer Verbesserung seien Rhetorik, doch keine Praxis des Weißen Hauses. Es gebe in den USA „keine bedeutenden politischen Kräfte oder Wirtschaftskreise, die an einer Entwicklung und Normalisierung der Beziehungen mit Russland interessiert sind“. Schlechter könnte nur noch der völlige Abbruch der Beziehungen sein. Das sollte nicht ausgeschlossen werden, denn selbst die Diplomatie, die ihrer Natur nach auf Dialog und Kompromiss zur Pflege von Beziehungen setzen sollte, hat längst den Kriegspfad betreten. Auch hier gilt inzwischen nicht mehr Kunst und Ausgleich als Prinzip des Handelns, sondern das klassische Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Ende September erhielten etwa ein Dutzend Mitglieder der russischen Delegation zur 74. Vollversammlung der UNO in New York von den USA keine Einreisevisa, Moskau beklagt einen „Skandal“ und „Visakrieg“. Der Hinweis auf „technische Gründe“ verfing nicht, Russlands Außenminister Sergej Lawrow sprach von einer „Schande“. Kremlsprecher Dmitri Peskow forderte eine scharfe Reaktion der UNO. Ein offizieller Vertreter des Generalsekretärs bestätigte immerhin den Eingang der russischen Beschwerde und kündigte an, das Sekretariat werde das Nötige tun. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa mochte keine Parallele mit der früheren russischen Einreiseverweigerung für zwei US-Senatoren zulassen. Das sei keine Frage der Visa gewesen, sondern Konsequenz einer schwarzen Liste. Die sei eine Antwort auf US-Maßnahmen gegen russische Parlamentarier, Unternehmer, Vertreter der Öffentlichkeit oder einfache Bürger. Die russische Botschaft in Washington twitterte quasi ergänzend, der über Verweigerung schimpfende republikanische Senator Ron Johnson habe ja nicht einmal ein Visum beantragt.
Das für Abrüstung und Sicherheit zuständige Erste Komitee der Generalversammlung schob den Beginn seiner Arbeit wegen mangels Visum nicht eingereister russischer und anderer Teilnehmer auf. Angesichts Washingtoner Kündigungen von Abrüstungsverträgen konnte durchaus böse Absicht unterstellt werden. Der ausgesperrte Chef des Internationalen Komitees des Föderationsrates, Konstantin Kossatschow, klagte bitter, US-amerikanische Einrichtungen würden Listen von „Feinden Amerikas“ mit „stalinscher Geschwindigkeit“ fabrizieren. Ein paar Tage später musste das russisch-amerikanische Forum „Dialog Fort Ross“ in Kalifornien ebenfalls ohne russische Diplomaten auskommen – keine Visa. Die mit Diplomatenpass reisende Duma-Abgeordnete Inga Jumaschewa, Mitglied der außenpolitischen Kommission, kam zwar ans Ziel, musste aber bei der Einreise eine zweistündige Befragung durch Geheimdienstler über sich ergehen lassen. Eine Einladung zu weiteren Gesprächen in „nicht formaler“ Umgebung wies sie zurück. Die russische Botschaft protestierte beim State Departement, das russische Auswärtige Amt nannte die Befragung durch Geheimdienste offen feindselig. Die Abgeordnete selbst meinte, Teile des Establishments wollten mit aller Kraft jeden Kontakt zwischen Moskau und Washington verhindern.
Ein „entschiedener Protest“ war bereits vor Jahresfrist dem UN-Sekretariat zugeleitet und auf der Webseite des russischen Außenamtes veröffentlicht worden. „In größter Besorgnis“ wurde über das „gewaltsame“ Vorgehen gegen russische diplomatische und konsularische Einrichtungen bis hin zur „Verletzung der Unantastbarkeit des Archivs des Generalkonsulats“ mit Daten von russischen und US-amerikanischen Bürgern informiert. Die Einrichtungen waren besetzt und Unterlagen beschlagnahmt, die Staatsflaggen der Russischen Föderation eingeholt worden. Missachtet wurden das UNO-Statut, die Wiener Konvention über konsularische Vertretungen, das Abkommen über das Stabsquartier der Vereinten Nationen und andere Verträge. Es würden von den USA nicht einmal jene Garantien gewährt, klagte Moskau, die das internationale Recht selbst im Kriegsfalle oder bei einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen vorsehe.
Im Dezember 2016 hatte der scheidende US-Präsident Barack Obama in einer Last-Minute-Aktion noch rasch einen „Datschenkrieg“ angezettelt. Er verfügte den Rausschmiss von 35 russischen Diplomaten und die Schließung einiger diplomatischer Einrichtungen. Mit der Einladung für US-Diplomaten in Russland und ihrer Kinder zum Jolkafest in den Kreml konterte der Kreml. Mit der „spiegelbildlichen“ Antwort ließ er sich dann ein gutes halbes Jahr Zeit, weil Präsident Wladimir Putin auf bessere Beziehungen mit Nachfolger Trump hoffte. Vergebens. So nahmen die Dinge ihren Lauf. Zum 1. September 2017 wurde der Abbau von Hunderten Mitarbeitern in US-Vertretungen in Russland „vorgeschlagen“ und musste ausgeführt werden. Auch wurden „spiegelbildlich“ US-Einrichtungen wie Konsulate und Datschen geschlossen. Die nächste „Überraschung“ als Reaktion auf die jüngste Verweigerung von Visa ist von Moskau angekündigt, man darf gespannt sein.
Angeregt durch den Visa-Skandal wird inzwischen offen die Möglichkeit einer Verlegung des Stabsquartiers der Vereinten Nationen diskutiert. Das Gebäude sei alt, die USA wollten keine neues bauen und eine geografisch zentralere Lage sei ohnehin wünschenswert. Außenminister Lawrow erinnerte hintergründig an den „scharfsinnigen“ Vorschlag Josef Stalins, die internationale Organisation in Sotschi anzusiedeln. Da hätte es heute Präsident Putin von seiner Residenz nicht weit. Der Deputierte Anton Morosow, Mitglied des Außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma, erinnerte an einen deutschen Vorschlag, dafür eine Fläche bereitzustellen. Radio Sputnik zitierte gar die mit der Krim zu Russland übergelaufene Duma-Abgeordnete Natalja Poklonskaja, frühere Generalstaatsanwältin der von der Ukraine abtrünnigen Schwarzmeerhalbinsel, mit der provokanten Idee, das UN-Quartier von New York dorthin – nach Jalta zu – verlegen.
Da hätten das schweizerische Genf, die österreichische oder finnische Hauptstadt Wien und Helsinki allemal bessere Aussichten.
Dies vielleicht zuerst als Gastgeber der Kommission für Abrüstung der UN-Generalversammlung. Nach der Einreiseverweigerung für seine Diplomaten hatte Moskau die Frage aufgeworfen, ob dieses Erste Komitee denn nicht auch außerhalb der USA tagen könne. Russlands Vize-Außenminister Sergej Rjabkow erläuterte, nicht nur Moskau sei der unwürdigen US-Farce müde: „Jetzt schauen wir, wie andere Mitglieder der internationalen Gemeinschaft reagieren.“
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