22. Jahrgang | Nummer 20 | 30. September 2019

Erkundungen auf sicherem Terrain

von Joachim Lange

„Deutschland und die DDR“ – solche rückblickenden rhetorischen Patzer passieren immer noch hin und wieder. Vor allem im Westen der Republik. In den neuen Bundesländern reagiert man darauf so empfindlich wie auf diverse bewusste Abwertungen der Malerei, die in der DDR bis 1989 entstand. Baselitz hat da den Rüpelton vorgegeben. In der DDR – so stellte sich heraus – waren den Menschen viele Bilder „ihrer“ Malergrößen irgendwie zu Teilen ihres Selbstverständnisses geworden oder hatten sich zumindest im kollektiven Gedächtnis festgesetzt. Wäre das nicht so, dann wäre der deutsch-deutsche Bilderstreit nicht so heftig ausgefallen.
Die Künstler, die im Lande geblieben sind und offiziellen Anfechtungen standgehalten haben, machten eigentlich immer, was sie für geboten hielten. Und jene, die die Restriktionen der politischen Unfreiheit gegen die Freiheit des Marktes getauscht hatten, also von Ost nach West gewechselt waren, blieben dennoch ihrem Herkommen verbunden, setzten sich damit so oder so auseinander. Gerhard Richter, Günther Uecker, Gotthard Graupner und A. R. Penck landeten übrigens direkt in Düsseldorf und mehrten das Renommee der dortigen Kunsthochschule.
Diese fortwährende Auseinandersetzung mit ihrer DDR-Erfahrung ist eine der Erkenntnisse, die man in Leipzig aus der gerade laufenden Schau „Point of no return“ mitnimmt. Wer sich auf die thematisch tief bis zu den vielfältigen Beweggründen für künstlerisches Schaffen lotenden Schau einlässt, erfährt Neues über das, was er eigentlich schon wusste: Kunst ist (Über-)Lebensmittel. Für die, die sie machen und für die, für die sie gemacht wird.
Jetzt hat in der rheinischen Malereihochburg Düsseldorf – nicht weit von der berühmten Akademie – im Museum Kunstpalast eine Ausstellung zur DDR-Kunst unter dem Titel „Utopie und Untergang“ ihre Pforten geöffnet.
Es gab natürlich schon vor 1990 in der alten Bundesrepublik nicht nur engagierte Anwälte der Kunst aus der DDR, vom Sammler Ludwig und etlichen Galeristen wie Brusberg bis zum FAZ-Kunstkritiker Eduard Beaucamp, und diverse Präsentationen. Für die Zeit nach 1990 aber leistet Düsseldorf jetzt vor allem für eine jüngere Generation tatsächlich Pionierarbeit. Die ist gut gemeint, weil sie ihrem Publikum, spät, aber nicht zu spät, bildende Kunst aus der DDR nahebringen will. Sie hat gute Chancen das zu schaffen, denn die Auswahl der Werke, die Kunstpalast-Chef Felix Krämer und sein Kurator Steffen Krautzig zu verantworten haben, bewegt sich auf gesichertem Terrain. Die mehr als 130 Arbeiten von 13 Künstlern sind von unbestreitbar hoher Qualität und zeugen von künstlerischer Meisterschaft. Es gelingt ihnen im Rahmen der begrenzten Auswahl sogar eine Bandbreite von Handschriften zu präsentieren, die manchen Rheinländer vor Ort verblüffen dürfte. Selbst der bislang immer in Stellung gebrachte Gegensatz von Abstraktion (als Ausdruck westlicher Freiheit) versus Figürlichkeit (als verordnetem Dogma für politische Belehrung im Osten) löst sich hier in Wohlgefallen auf.
Mit Hermann Glöckner (1889–1987) ist der Altmeister der Abstrakten vertreten. Aber auch Meisterwerke der zwei bedeutendsten großen Eigenbrötler finden sich. Der eine ist Gerhard Altenbourg (1926–1989) mit seiner surrealistischen Poesie, der es immerhin zur Teilnahme an der 2. und 6. Documenta brachte und schließlich Ende der siebziger Jahre in der DDR auch offiziell anerkannt wurde. Der andere ist Carlfriedrich Claus (1930-1998), dessen kalligrafische Textzeichnungen, der trotz seines Bekenntnisses zum Kommunismus, den Funktionären nie geheuer war und unheimlich blieb. Er gehörte zu der 1977 gegründeten und mit einigem Witz subversiven Künstlergruppe Clara Mosch. So wie auch der heute noch aktive Chemnitzer Michael Morgner (geboren 1942) mit seinen aufs Existenzielle zielenden, oft düsteren Bildkompositionen. Alle drei waren nicht in der ersten Reihe, wenn es um die quasi offiziell geförderte Kunst ging, gar im Visier der Staatsorgane. Aber sie waren bei Kennern und Sammlern in Ost und West hochgeschätzt und für den künstlerischen Nachwuchs durchaus prägend.
Die Ausstellung schmückt sich zudem mit einigen Schlüsselwerken der oft verkürzend so genannten Staatskünstler, die seit ihrer Teilnahme an der Documenta 1977 auch im Westen einigermaßen bekannt waren.
Wolfgang Mattheuers (1927–2004) Gemälde „Die Flucht des Sisyphos“ (1972) und seine „Ausgezeichnete“ (1973/74) sind dabei unschwer als kritischer Blick auf das Selbstbild einer der Utopie verpflichteten Gesellschaft zu erkennen. Werner Tübkes (1924–2004) „Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten“ (1972) wiederum ist ein selbstbewusster Blick weit über die Grenzen seines damaligen Landes. Eine der Versionen, die Helmut Schmidt 1986 für die Porträt-Galerie des Kanzleramtes bei Bernhard Heisig (1925–2011) in Auftrag gab, zeugt gar von einem bewussten politischen Zeichen und Rückbezug auf gesamtdeutsches Denken lange vor jeder konkreten Wiedervereinigungsphantasie. Und auch seine Auseinandersetzung mit der preußischen Geschichte in „Fritz und Friedrich“ (1986/88) dürfte bei manch einem Besucher für Verblüffung sorgen. Am Beispiel Willi Sittes (1921–2013) lässt sich exemplarisch die Verwurzelung in der europäischen Moderne und die Suche nach einer originären, eigenen Handschrift belegen. Insgesamt bestechen die ausgewählten Werke dieser gerne mal flapsig als „Viererbande“ zusammengefassten Maler durch ihre Qualität, reflektieren so oder so die Gesellschaft, in der sie entstanden, behaupten sich aber zugleich selbstbewusst als Teil deutscher Malerei.
Eingeleitet wird die Schau durch zwei Vertreter der Lehrergeneration. Wobei die Rolle, die Wilhelm Lachnit (1899–1962) nach dem Krieg als von den Nazis verfemter Künstler übernahm, nicht überrascht. Wohl aber die Stellung der Käthe-Kollwitz-Schülerin Elisabeth Voigt (1893–1977). Ihr bescheinigt der Saaltext eine ziemliche Flexibilität beim Umschwenken von der Anpassung an die Vorgaben der Kunst im Dritten Reich hin zur ersten Professorin an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, wo sie unter anderen auch Mattheuer und Tübke zu ihren Schülern zählte. Mit Angela Hampel (geboren 1956) schließlich ist eine dezidiert den weiblichen Blick pflegende Künstlerin aus Sachsen vertreten.
A. R. Penk (1939–2017), der eigentlich Ralf Winkler hieß und dessen reduzierende Zeichenkombinationen zu seinem Erkennungsmerkmal geworden sind, ist ein Beispiel für die aus dem Land Getriebenen. 1980 ausgebürgert, wurde er von 1989 bis 2005 Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf. Bei Cornelia Schleime (geboren 1953) führte der Weg vom Ausstellungsverbot (1981) zur Übersiedlung nach Westberlin (1984). Mit der Serie ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit der (physischen) von der Stasi angelegten Akte über sie, setzt die Schau am Ende dann doch noch ein gleichsam politisches Ausrufezeichen hinter das erklärte und auch umgesetzte Bemühen, die Kunstwerke nicht allein als historische Dokumente, sondern für sich zu betrachten und zur Diskussion zu stellen.
Vergleicht man die Düsseldorfer Ausstellung mit der in Leipzig, so mögen die sich wie ein (luxuriöser) Volkshochschulkurs zum Spezial-Seminar verhalten. Ihre Berechtigung haben beide. Und sie sind beide genau an dem Ort, der ihnen erlaubt, ihre jeweilige Wirkung zu entfalten. Wer in Düsseldorf neugierig geworden ist, der hat noch bis zum 2. November im Bildermuseum Leipzig bei der Ausstellung „Point of no return“ die Gelegenheit, tiefer in die Kunst der DDR einzusteigen.

Kunstpalast Düsseldorf, 40479 Düsseldorf, Ehrenhof 4–5: Utopie und Untergang. Kunst in der DDR, bis 5. Januar 2020; Di–So 11–18, Do bis 21 Uhr; Katalog im Sandstein Verlag Dresden.