22. Jahrgang | Nummer 13 | 24. Juni 2019

Trumps Überdehnung

von Erhard Crome

Politischen Gegnern unberechenbar zu erscheinen, um sie einzuschüchtern – das gilt als die außenpolitische „Strategie des Verrückten“. Angesichts der von US-Präsident George W. Bush betriebenen Kriegspolitik hatte darauf bereits 2002 der französische Historiker und Demograph Emmanuel Todd hingewiesen. Das sei eine klassische strategische Denkfigur, aber „ungeeignet für ein Land von der Größe eines Kontinents“, die USA, meinte er damals. Donald Trump aber setzt gerade darauf als Mittel der Politik.
Allerdings schlug der Politikwissenschaftler Devin T. Stewart vom Carnegie Council – ein bekennender Anhänger der Demokratischen Partei – jüngst vor, Trump einer Neubeurteilung zu unterziehen. Seine Präsidentschaft markiere „eine Rückkehr zur Realpolitik und zur Großmachtpolitik“. In den 1990er Jahren sprach US-Präsident Bill Clinton über eine „Brücke ins 21. Jahrhundert“, auf der die USA auch weiterhin die „Weltführerschaft für Frieden und Freiheit“ ausüben würden. Das galt als „Heilsbotschaft des liberalen Internationalismus“: Die USA fördern Globalisierung, technologische Entwicklung und freien Handel, und zwar nicht nur für sich, sondern weltweit. Das „zog die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation ebenso nach sich wie Invasion und Kriege im Irak und in Afghanistan unter Bush und die Finanzkrise 2008“. Angesichts von Trumps Erfolgen sei dies jedoch in Frage zu stellen. „Die Trump-Doktrin stellt frühere politische Annahmen auf den Kopf. Trumps ‚America First‘ ist eine Umkehrung der Realpolitik und des Wettbewerbs zwischen Großmächten. Es passt besser in eine Zeit, in der die USA ihre Dominanz eingebüßt haben.“ Trump selbst beschrieb seine Sicht vor der UNO-Vollversammlung am 25. September 2018 so: „Die amerikanische Politik des von Prinzipien geleiteten Realismus bedeutet, dass wir uns nicht zur Geisel alter Dogmen, diskreditierter Ideologien und sogenannter Experten machen lassen, deren Thesen im Laufe der Jahre ein ums andere Mal widerlegt wurden. Das gilt nicht nur für Friedensangelegenheiten, sondern auch für Wohlstandsfragen.“
Das ist die strategische Perspektive. Für die taktische gelte laut Stewart: „Trumps Diplomatie lässt sich auf vier Eckpunkte reduzieren: beleidigen, feilschen, Lasten verteilen und prahlen. Einen Dialog beginnt er, indem er das Gegenüber beleidigt, meist per Twitter. Dann ergreift er die Gelegenheit, sich mit ihm zusammenzusetzen, zu feilschen und eine aus seiner Sicht faire Lastenverteilung zu erreichen. Am Ende prahlt er mit den Ergebnissen. Trump behandelt sämtliche Beziehungen als Geschäftsbeziehungen und verfolgt die Taktik ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘, um sein Ziel der ‚Gegenseitigkeit‘ zu erreichen.“ Seine Methode ist „eine Umkehrung des früheren Führungsstils und stellt überlieferte Ansätze auf den Kopf. An die Stelle von Technokratie, Meritokratie und Bürokratie treten persönliche Beziehung, Vertrauen und Loyalität auf höchster Ebene. An die Stelle der Freihandelsideologie tritt das Verständnis von Handel als einem Mittel zur Bereicherung. Statt Institutionen aufzubauen, wird die Nützlichkeit jeder einzelnen Institution infrage gestellt. Statt moralgestützte Diplomatie zu betreiben, wird mit jedem geredet, der bereit ist zu feilschen. Statt sorgfältig formulierte Reden zu halten, wird alles gesagt, was zum Ziel führen könnte. Heilige Kühe werden nicht mehr verschont, sondern geschlachtet, oder zumindest steht die Drohung im Raum. Statt offene Märkte zu propagieren, werden US-Märkte, Militär und Migration als Faustpfand eingesetzt. Jede Beziehung wird darauf überprüft, wie viel Druck man auf sie ausüben kann.“
So kann Trumps Außenpolitik erhellend erklärt werden. Träfe diese Sicht zu, dürfte in Sachen neues Wettrüsten, Handelskrieg gegen China, Zölle gegen deutsche Exporte und gegen Mexiko und anderes das letzte Wort noch nicht gesprochen sein. Wir sind in der Phase der Beleidigung, teils des Feilschens. Es scheint aber Ausnahmen zu geben: Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu darf sich uneingeschränkter Unterstützung erfreuen. Saudi-Arabien kann machen, was es will, innenpolitisch, im Krieg gegen Jemen und bei der Verschärfung der Lage in der Golfregion.
Gegenüber dem Iran dagegen herrscht eine schier irrationale Feindseligkeit, die von der Besetzung der USA-Botschaft in Teheran 1979 in die Gegenwart reicht. „Zwischen den USA und dem Iran steht noch immer ‚das Reich des Bösen‘, zu dem sich beide Staaten gegenseitig seit der iranischen Revolution 1979 erklärt haben,“ hatte der frühere deutsche Außenminister Gabriel dazu angemerkt.
Nachdem die USA das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt haben, scheinen die Zeichen der Zeit in der Region wieder auf Krieg zu stehen, obwohl sowohl Trump als auch die iranischen Obersten Führer erklärten, sie wollten keinen Krieg. Die Frage ist, ob sie den tatsächlich nicht wollen, oder ob sie nur der anderen Seite den „Schwarzen Peter“ zuspielen wollen, wenn er denn doch ausbricht. Nach russischen Quellen erklärte der Chef des iranischen Generalstabes, Generalmajor Mohammad Bagheri: „Wenn wir uns dazu entschließen, die Durchfahrt durch den Golf zu sperren, dann sind wir stark genug, um dies erstens offen und zweitens überhaupt zu tun“. Das würde dafür sprechen, dass der Iran dafür verantwortlich war, dass zwei Tanker im Golf von Oman angegriffen wurden. Die für diese Variante beigebrachten „Beweise“ der USA scheinen jedoch sehr zweifelhaft. Man erinnert an den „Zwischenfall im Golf von Tonking“, der die Eskalation des Vietnamkrieges bezweckte, und die gefälschten Belege für den Besitz Saddam Husseins von Atomwaffen, die den Irak-Krieg der USA begründen sollten und sich als „Fake News“ herausstellten.
Rein technisch gesehen kann Teheran die Straße von Hormus tatsächlich sperren: durch Minen, durch die Verlegung von Raketen und Artillerie in die Nähe dieser wichtigen Wasserstraße oder durch das Versenken großer Frachtschiffe in diesem flachen Gewässer. Die USA würden sicherlich nicht zögern, die Blockade dieser für den weltweiten Ölhandel wichtigen Meerenge schnellstmöglich aufzuheben. Die Fähigkeiten der US-Flotten sind ausreichend, um die Straße von Hormus innerhalb weniger Tage für die Schifffahrt wieder freizuräumen. Die Beteiligten haben sich jedoch für diplomatische Lösungen ausgesprochen, auch der Iran. Insofern ist eher an die Geheimdienste anderer Staaten in der Region, nicht nur Saudi-Arabiens, zu denken, die durch gezielte Provokationen diplomatischen Mitteln den Weg verlegen wollen.
Donald Trump setzt eher auf wirtschaftliche Erpressung. Dabei folgt er jedoch stets demselben Muster, die strukturelle Macht der USA im Weltfinanzsystem und die Macht des US-Binnenmarktes für die Erpressungspolitik zu nutzen. Das tut er jedoch gleichzeitig: im Handelskrieg gegen China, im Erpressungskrieg gegen Mexiko in Sachen Flüchtlinge aus dem Süden, gegen Russland, im schwelenden Handelskrieg gegen Deutschland und die EU. Das birgt mittlerweile die Gefahr der Überdehnung. Insbesondere deshalb, weil Trump die Rolle des US-Dollars als Weltgeld benutzt, um seine Erpressungspolitik im nationalen Interesse der USA zu exekutieren. China hat in seinem Handelskrieg mit den USA die Karte, den Ölexport Irans über China und den Yuan abzuwickeln, noch nicht ausgespielt. Damit ist aber zu rechnen. Dann wird jedoch ein zunehmender Teil des weltweiten Erdölhandels nicht mehr über den US-Dollar abgewickelt, was dessen Rolle als Weltgeld weiter unterminiert.
Inzwischen hat Facebook für 2020 ein neues, eigenes elektronisches Bezahlsystem mit einer eigenen Kryptowährung namens „Libra“ (was mit Freiheit zu tun haben soll) angekündigt. Dem wird von Finanzexperten ein beträchtliches Potential eingeräumt. Es soll von einem großen Unternehmensverbund mit Sitz in Genf getragen werden – also absichtsvoll unter schweizerischem und nicht US-Recht. David Marcus mit Schweizer Pass, einer der 300 reichsten Schweizer, geboren in Frankreich, Programmierer, ehemals Vizepräsident bei Paypal und seit 2014 bei Facebook, gilt als Promoter des Konzepts. Dass ein US-Internet-Konzern ein solches Konzept lanciert, wurde seit längerem befürchtet. Facebook hat 2,4 Mrd. Nutzer und die Libra soll – wie eine klassische goldgedeckte Währung – durch Devisenanlagen gedeckt sein und nicht wie Bitcoin nach Angebot und Nachfrage im Wert schwanken, wie die NZZ berichtet. Das wäre eine private Parallelwährung – vor dem Hintergrund, dass die EU-Mächte zu feige waren, ein Bezahlsystem für den Iran zu installieren, das den USA-Boykott konterkariert, und dass man nicht von China abhängig sein will. Es bedeutet, das globale Finanzkapital, das insbesondere auch mit dem Internet verbunden ist, will Trump Paroli bieten. Imperialismusanalytisch ist das nicht nur in Bezug auf Theorieentwicklung eine höchst spannende Angelegenheit.