von Klaus Hammer
Das erste Merkmal, das wir bei der Berliner Malerin Sabine Herrmann in der Verbindung mit der Tradition und vor allem mit ihren unmittelbar vorausgehenden „Wegbereitern“ sehen, ist die Wahl von Landschaft, Akt und Bildnis – aber nicht in betonter Auseinandersetzung mit der sichtbaren Erscheinung, sondern im Hinblick auf Sinn, Bedeutung und Symbol, fußend auf Romantik, Symbolismus, Böcklin, Klinger und Jugendstil, selbstverständlich auch auf neueren und neuesten Kunsttendenzen. Wenn man nur an die Namen Caroline Schneemann, Nancy Spero, Magdalena Jetelova, AK Dolven, Maria Lassnig, Bridget Riley, Louise Bourgeois und andere in der Zeichnung „hommage“ (2012) denkt.
Kann man Sabine Herrmann, die gerade in der Berliner Galerie Barthel und Tetzner ausstellt, eine artistische Unverbindlichkeit gegenüber dem Motiv, den Verzicht auf eine Aussage, die über das malerische Erlebnis hinausgeht, vorwerfen? Ich glaube nicht. Die eingezwängte Rolle der Frau in einem sich monoton bewegenden Laufrad zu zeigen, wie es für eingesperrte weiße Mäuse üblich ist („Frau im Rad“, 1990) bleibt lange im Gedächtnis haften. Das Bildgerüst wird in ihrer Malerei nicht so sehr von der Zeichnung getragen, sondern von der farbigen Form, die selber Zeichen ist. Das Zeichen fügt sich selber in die Fläche ein. Es wird nicht vorgezeichnet und dann mit Farbe ausgefüllt, sondern es ist von vornherein als farbige Erscheinung da. Die Farbe selbst ist unabhängig von dem noch identifizierbaren Erscheinungsbild in der Natur und erhält eine totalitäre Funktion, nachdem wenige vorauseilende Einzelgänger schon ihren irrealen Charakter verdeutlicht haben. Nicht umsonst sind Matisse und Rouault aus der Schule Moreaus, aber ebenso Kandinsky und Weisgerber aus der Schule Stucks oder auch Kokoschka und Schiele aus der Schule Klimts hervorgegangen. Aber während in vorangegangenen Kunstströmungen die Farbe Gefühl darstellte, mit dem Ziel, es im Betrachter auszulösen und damit auf einen bestimmten Symbolismus hinzuweisen, wird die Farbe selbst jetzt Substanz und Symbol zugleich, der dem Gegenstand unabhängig gegenüber steht. Deshalb ist Sabine Herrmann viel stärker den Expressionisten verbunden, da diese auch eine stärkere Beziehung zu irrealen Bildthemen haben, die eine solche unstoffliche Ausnutzung der Farbwerte auch noch stärker rechtfertigt.
Was Sabine Herrmann jetzt in der Galerie Barthel und Tetzner zeigt, fasziniert und macht zugleich nachdenklich. Sie realisiert ihre eigenen inneren Bilder und Visionen. Für sie ist alles fließend, Mensch und Landschaft, wie der Übergang vom Wach- zum Traumzustand. Die Erinnerung ihrer vielen Reisen, die sie nach der „Wende“ unternommen hat, verflüchtigt sich zum vagen Erinnerungsbild von Farben und Formen. Wir haben hier das Spannungsfeld von Realität und Irrealität, von Symbol und flüchtiger Erscheinung, von Gegenständlichem und Ungegenständlichem vor uns. Die Analogie zu kosmischen Ereignissen, die vielen tachistischen Bildern eignet, eine tiefenräumliche Schichtung zur hellen Mitte hin ist ebenso vorhanden. Die Analogie zum Prozess der Schöpfung, des Werdens und Aufblühens aus dem Dunkel bleibt dabei durchaus offen und kann vom Betrachter verschieden erlebt werden.
„Weggang von mir selbst“ (1996), „mines“ (1998) oder „schwarz/monodie“ (2006): In freien Formen lässt Sabine Herrmann die Farbe auf großformatige Papiere fließen. In vielen Schichten trägt sie die in Wasser und Acryl gelösten Pigmente auf, verwischt sie wieder, beginnt mit dem Prozess von neuem, arbeitet mit Strukturen. In lasierendem Farbauftrag legt sie die abstrakten Farbformen übereinander und lässt so – wie Diktate aus dem Unterbewusstsein – Raumtiefen entstehen, vom Dunklen zum Lichten, vom Farbigen zum Monochromen. In freien Farbfindungen entstehen so Farbräume, in denen „der Klang innerer Wesenhaftigkeit nachhallt“, so kann man im Katalog der Galerie Pankow lesen. Der Raum entsteht aber hier durch das optische Erlebnis der sich überschneidenden Linien, die man als verschiedenen Ebenen zugehörig empfindet, zwischen denen Raum eingeschlossen ist.
Nicht dechiffrierbare Archetypen und Hieroglyphen – könnte man sie Totems nennen? – sind linear angeordnet oder überschneiden sich, durch gleichzeitige Willkür und Strenge ihrer Komposition entstehen Elemente des Informel und der Op-Art. Die Zeichen (schwimmende Buchstaben, verbogene Wegweiser, Kommata und Schlüssel) scheinen zu fließen und verbinden sich zu Konstellationen und ins Unendliche geöffneten abstrakten Formen. Die Farbe ordnet sich in Komplementärakkorden, die der Fläche Spannung verleihen. Die Raumordnung wird allein durch die Distanzwerte der Farbe hergestellt und erscheint als bewegtes Flächenrelief. So wirkt die Raumordnung rhythmisch und konzertant.
Im Malvorgang unterzieht sich die Künstlerin einem Zwang zu Verknappung und Reduktion. Kein Fabulieren, kein Dekor, keine Arabesken, nichts Überflüssiges. Alles ist präzise, ohne systematisch zu sein: klar, kurz, zeichenhaft, flächig und zugleich in schwingender Bewegung. Ja, die Farben bilden einen Klang.
Aber das Mischungsverhältnis der Gegensätze, aus dem sich Harmonie ergibt, wird bewusst gestört. In Schwingung versetzte Farbfelder werden durch sperrige Formentscheidungen konterkariert: Das Siena-Rot und Rosa, die Ockertöne, das Gelb, Azurblau, Smaragd und dunkle Veilchenblau täuschen nur.
Wenn wir den Raum betrachten, seine Erstreckung bis an den Horizont, der sich mit jedem Schritt verändert: Das System der Fluchtlinien projiziert nach Art der Funktionen des Auges Raum in der Fläche, macht das Bild zum Fenster und weist dem Betrachter seinen Platz zu. Werfen wir einen Blick auf die einfachen Kuben alter Architekturen, deren Wände wie Scheiben dem Auge Widerstand bieten, so erscheinen sie der Künstlerin wie Malgründe ihrer Phantasie, die bei bestimmter Beleuchtung wie in die Fläche geklappt wirken. Macke hat dies in Tunis erlebt und Bildteppiche aus Licht und Geometrie gewoben. Es war der Kubismus, der den perspektivischen, an einen Punkt angewurzelten Betrachterstandort aufhob, sich damit von Projektion und Abbild löste und die Bildelemente an die Fläche band. So wird auch der Betrachter bei Sabine Herrmann nicht auf einen Standpunkt außerhalb des Bildes fixiert, sondern er geht im Bild spazieren. Welche Wege sich ihm nun im Bild eröffnen, hängt von der Formenwelt des Bildes, den Formverbindungen und Verknüpfungen, ihren Trennungen und Verschmelzungen ab. So erreichen wir auf unserem Weg vom Süden in den Norden Kandinsky und Klee, die uns auf die Gesetzmäßigkeiten, auf die innere Struktur und Syntax von Bildern aufmerksam gemacht haben, ihre Rhythmen, Spannungen und Harmonien. Sie entfalteten zugleich eine neue Bildpoesie, von der man vorher nichts geahnt hatte.
In Sabine Herrmanns „schatten des vaters“ (2007) verwandelt sich die Malfläche zum seelischen Innenraum. Hier scheint sich eine Gestalt in geometrischen Formsetzungen aufzulösen, zu verblassen, ganz zu entschwinden – und wir haben die Aufgabe, die Bildschichten des Vergessens in intensiver Erinnerungsarbeit wieder zusammenzusetzen. In unserem Unterbewusstsein entstehen dann Gegen-Bilder, die körperlich greifbare Bestandteile der Wirklichkeit werden können. In der Tat, Sabine Herrmanns Bilder sind ein Beitrag zur Erhellung der Dunkelheit, in der sich die Welt vor uns verbirgt.
Sabine Herrmann: Monodie oder Der Klang der Innerlichkeit. Gemälde und Zeichnungen. Galerie Barthel und Tetzner, Fasanenstr. 15, 10623 Berlin, bis 4. Mai, nach Vereinbarung per Telefon +49-172-3927886 oder Mail gb@barthel-tetzner.de. Alle Informationen unter www.barthel-tetzner.de.
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