22. Jahrgang | Sonderausgabe | 25. Februar 2019

Kritik der Migration

von Viola Schubert-Lehnhardt

Literatur zum Thema Migration boomt zurzeit – trotzdem reiht sich das Buch des österreichischen Autors Hannes Hofbauer hier nicht einfach ein. Schon die Überschrift ist provozierend: „Kritik der Migration“. Im Text wird dann noch die Frage danach gestellt, „Wie viele Fremde, wie viele nicht bis schlecht mit Gebräuchen und der Örtlichkeit Vertraute […] eine Gesellschaft verkraften (kann)?“ Bei oberflächlicher Betrachtung würde man eine solche Fragestellung eher bei Recht(sradikal)en vermuten, als bei einem ausgewiesenen linken Autor. Gerade die fundierte Auseinandersetzung mit aktuellen rechten und neoliberalen Positionen macht jedoch den Reiz des Buches aus.
Der Autor beginnt seine Überlegungen mit einer Begriffs- und Literaturanalyse von Autoren, die zumindest ich hier nicht vermutet hätte – den Gebrüdern Jakob und Wilhelm Grimm. Er setzt dann fort mit zahlreichen Autoren des 19. Jahrhunderts und analysiert schließlich die aktuellen Schriften unter anderem dahingehend, welche Fragen permanent nicht gestellt werden – so nach der sozialen Zugehörigkeit und Geschlechterdifferenzen. Auch würde von den Befürwortern von Integration nie ausgeführt „Integration wohin?“
H. Hofbauer beschreibt dann Migrationsursachen und „Zäsuren der europäischen Migrationsgeschichte“. Im Unterschied zu anderen Autorinnen und Autoren geht er dabei auch ausführlich auf Klimawandel und Umweltveränderungen als auslösende Faktoren ein – beides bis heute übrigens kein Asylgrund.
Ein spezielles Kapitel wendet sich der Arbeitsmigration zu – zunächst historisch – beginnend mit der Besiedlung Amerikas, dann dem Gastarbeiterimport vor allem in Deutschland und Polen. Bereits hier wird sehr tief auf die Vorteile für die jeweiligen heimischen Unternehmer eingegangen: permanenter Lohndruck, billige und schlecht abgesicherte Arbeitskräfte und das Einsparen von Ausbildungskosten für qualifiziertes Personal. In diesem Zusammenhang werden das jeweilige Regelwerk von Schengen bis Dublin erläutert und die Folgen der EU-Osterweiterung analysiert.
Die Überschrift des nächsten Kapitels ist irritierend: „Die große Wanderung der Muslime“. Obwohl im Text teilweise die Herkunftsländer korrekt benannt werden, findet sich ab hier im Text immer wieder der Sprachgebrauch „Wanderung der Muslime“. Dies ist insofern verwunderlich, da Hannes Hofbauer ansonsten akribisch genau mit Zahlen und Fluchtursachen argumentiert (und diese in einem umfangreichen Quellenverzeichnis belegt), hier aber stillschweigend davon auszugehen scheint, das die Bewohnerinnen und Bewohner aller dieser Länder dem islamischen Glauben angehören. Dagegen führt er bei den Gründen dieser Wanderungsbewegung aus, dass diese keinesfalls ursächlich religiöser Natur sind. Dass der Autor an vielen Stellen auch persönliche Erfahrungen und Gespräche mit Migranten einfließen lässt (was zur Lebendigkeit und Authentizität des Textes beiträgt), macht eine solche Vorgehensweise umso unverständlicher. Hier hätte ich mir die sonst übliche Detailtreue und Gründlichkeit der Aussage gewünscht.
Wieder akribisch exakt wird die Entwicklung ab September 2015 in Deutschland und den anderen europäischen Ländern und das jeweilige europäische Regelwerk analysiert. Daran an schließt sich die Untersuchung der gesellschaftlichen Auswirkungen von Migration in den Herkunftsländern: Fehlen der jüngeren Generation und damit Auseinanderfallen von Familien (in ganzen Ortschaften fehlt die mittlere Generation), dadurch Explodieren der Kosten im Gesundheits- und Sozialwesen; Fehlen von Fachkräften in der eigenen Wirtschaft, Entstehung von komplexen Logistikunternehmen für Schlepper und Schleuser … Das heißt, weder mit der Anwerbung von Arbeitskräften noch durch Migration entstehe eine „Win-win-Situation“ – in diesem Zusammenhang widerlegt er auch die Mär von existenzsichernder Unterstützung der zurückbleibenden Familien durch in die Heimatländer überwiesene Gelder.
Im letzten Teil widmet sich H. Hofbauer sowohl dem „Mythos Mobilität“ als auch dem Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Kulturen: „Kultur der Ehre“ und „Kultur der Würde“. Hier hätte sich eine Antwort auf die oben zitierte Ausgangsfrage angeboten – vielleicht gibt sie uns Hannes Hofbauer nicht, damit wir umso intensiver über sein Buch diskutieren.

Hannes Hofbauer: Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert, pro media Verlag, Wien 2018, 271 Seiten, 19,90 Euro.