von Mario Keßler, New York
Entgegen allen Klischees war Hollywood stets mehr als nur eine Traumfabrik. Die größten Welterfolge des amerikanischen Films – The Great Dictator und Casablanca – erinnern vielmehr an das wohl wichtigste künstlerische Zentrum des Antifaschismus im Zweiten Weltkrieg.
Schon in den Vorkriegsjahren reagierten viele Filmschaffende auf den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg des Faschismus mit Filmen, die Nazideutschland und den Spanischen Bürgerkrieg zum Thema hatten. Bereits 1934 drehte Regisseur Michael Mindlin mit Hitler’s Reign of Terror einen halbdokumentarischen Film, der auch Teile aus Originalinterviews mit Hitler enthielt. Der lange verschollene Film wurde erst 2013 in einer Kopie in Belgien wiederentdeckt. In ähnlicher Weise verarbeitete 1936 I Was a Captive of Nazi Germany das Schicksal einer nur knapp der Gewalt des Regimes entkommenen Gefangenen. Anatole Litvaks Film Confessions of a Nazi Spy behandelte 1939 das Gestapo-Spitzelnetz in den USA und seine Anlaufstelle in Gestalt des faschistischen Deutsch-Amerikanischen Bundes. In der Bundesrepublik wurde der Film unter dem Titel Ich war ein Spion der Nazis erst 1977 gezeigt, in der DDR (soweit bekannt) überhaupt nicht.
Der Spanische Bürgerkrieg mobilisierte die Produzenten, Regisseure und Schauspieler in bisher ungekanntem Maße. Sie suchten ein Gegengewicht zur Franco-freundlichen Kampagne durch die amerikanische Rechte zu bilden. Diese schmähte alsbald die amerikanischen Freiwilligen der Abraham-Lincoln-Brigade als illegale Kombattanten und „verführte Antifaschisten“, was auch zu deren strafrechtlicher Verfolgung in den USA beitrug. Dagegen wandte sich eine Reihe auch filmkünstlerisch beachtlicher Streifen wie The Last Train from Madrid (1937, Regie: James Hogan, mit Dorothy Lamour und Lew Ayres), Blockade (1938, Regie: William Dieterle, mit Madeleine Carroll und Henry Fonda) oder die Dokumentationen Spain in Flames (1937) von Helen van Dongen und The Spanish Earth (1937) von Joris Ivens nach einem Drehbuch von Ernest Hemingway und John Dos Passos.
Eine wichtige Rolle spielten ungarische Exilanten. Sie waren von Haus aus mehrsprachig und hatten kaum Probleme mit dem Englischen (wenn auch der Akzent ihre Herkunft verriet). Die Anekdote, dass der Wiener Otto Preminger eine Gruppe von Ungarn scherzhaft mit den Worten anherrschte: „Ihr vergesst wohl, wo ihr seid? In Hollywood! Sprecht gefälligst deutsch!“ ist wohl erfunden, zeigt aber gut die dortige Atmosphäre.
Zu den ungarischen Kosmopoliten Hollywoods wie Michael Curtiz (eigentlich Mihaly Kertész), Peter Lorre (László Löwenstein) oder Joe (Jószef) Pasternak muss der 1901 geborene Hans (János) Székely gezählt werden.
Er hatte schon früh die Erfahrung der Flucht machen müssen: Als Anhänger der besiegten Ungarischen Räterepublik musste er im Frühjahr 1919 seine Geburtsstadt Budapest verlassen. In Berlin schrieb er zahlreiche Drehbücher für Filme mit Lil Dagover, Marlene Dietrich, Brigitte Helm, Willy Fritsch und Emil Jannings. 1934 brachte ihn Ernst Lubitsch nach Hollywood. Ein Theaterstück aus Székelys Feder lieferte die Vorlage für Samuel Hoffensteins Drehbuch zur Filmkomödie Desire, in der Marlene Dietrich, Gary Cooper und Akim Tamiroff mitwirkten und die, trotz der zahlreichen verfemten Namen, unter dem Titel Sehnsucht 1936 auch in Deutschland gezeigt wurde. Dies hing mit der vorsichtigen und kurzen kulturellen Öffnung im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele in Berlin zusammen. Nach einer Zeit in Paris kam Székely 1938 nach Hollywood zurück und wurde dort zu einem gefragten Drehbuchautor. Unter dem Pseudonym John S. Toldy schrieb er mit Benjamin Glazer ein Manuskript, Arise My Love, das Billy Wilder, Charles Brackett und Jacques Thery 1940 zu einem Drehbuch für den Film gleichen Namens nutzten. Vor dem Hintergrund des Spanienkrieges verlieben sich eine Klatschkolumnistin, die endlich gute Reportagen schreiben will (gespielt von Claudette Colbert) und ein Abenteurer, der für die Republik kämpft (gespielt von Ray Milland) ineinander. Der unter Michel Leisens Regie gedrehte Film wurde für vier Oscars nominiert. Er gewann ihn für die beste Originalgeschichte, und so wurde Székely einer der ersten antifaschistischen Immigranten in den USA, die die begehrte Trophäe mit nach Hause nehmen durften.
Auch als Schriftsteller hatte Székely sich voll integriert und schrieb in amerikanischem Englisch. Der 1943 zuerst als The Dynamiters und dann unter dem Titel You Can’t Do That to Svoboda erschienene Roman wurde wie sein Nachfolger Temptation 1946 ein Erfolg. Doch musste Székely erleben, dass die Übersetzung des letzteren Buches 1949 in Ungarn – als angebliches Werk eines amerikanischen Autors! – sofort nach dem Erscheinen verboten wurde.
Zudem geriet er in Hollywood in Bedrängnis. Noch 1949 konnte er am Drehbuch des Films Give Us This Day mitwirken, der in der Bundesrepublik unter dem Titel Haus der Sehnsucht in die Kinos kam. Doch benannte zwei Jahre später Edward Dmytryk, der Regisseur des Films und einer der einstigen „Hollywood Ten“, Székely als einen der kommunistischen Drahtzieher im Filmgeschäft. Dieser musste nun die USA in Richtung Mexiko verlassen. Dort erreichte ihn 1956 ein Angebot der DEFA, das er annahm und in die DDR übersiedelte, wo seine Tochter Káti eine gefragte Schauspielerin wurde.
Hier gelang ihm als Regisseur 1958 mit dem Film Geschwader Fledermaus nach einem Roman von Rolf Honold ein Meisterwerk in der besten Tradition der Antikriegsfilme Hollywoods. Der England-Remigrant Wolfgang Heinz und die junge Christine Lazsar spielten als US-General Lee und als seine Sekretärin und Geliebte Flessy einprägsame Rollen in einem Film, der die Aussichtslosigkeit des französischen Kolonialkrieges in Vietnam trotz des skrupellosen „Verheizens“ der Piloten des Geschwaders drastisch vor Augen führt. Die oft von Zynismen durchsetzten Dialoge lassen die Handschrift des Hollwood-erfahrenen Regisseurs erkennen, und die Musik von Hanns Eisler tat ein Übriges, um Spannungsreichtum zu erzeugen. Die Uraufführung des Filmes war für den 26. Dezember angesetzt. Hans Székelý sollte sie nicht mehr erleben: Der einzige Oscar-Preisträger, der seinen Wohnsitz in der DDR nahm, starb vor sechzig Jahren, am 16. Dezember 1958, in Berlin.
Eine DVD seines Films Geschwader Fledermaus bleibt ein dringendes Erfordernis.
Schlagwörter: Antifaschismus, DDR, Hans Székelý, Hollywood, Mario Keßler, Oscar