21. Jahrgang | Nummer 22 | 22. Oktober 2018

Heim und Welt. Ein Alltags-ABC (2)

von Erhard Weinholz

Freiheit und Junge Freiheit, das ist zweierlei. Trotzdem sollte man das Blatt, so dachte ich mir, wenigstens einmal gelesen haben. Aber wo kaufe ich es? Bei uns im Viertel? Guten Tag, ich hätte gern die, die Junge … Der Verkäufer (langt hinter sich): Junge Welt? Jetzt kommt auch noch jemand rein, der mich kennt, o Schitt. Nein, die … äh … (flüsternd) Junge Freiheit. Der Verkäufer: Waaas? Die Junge Frechheit? Jibs hier nich! Mein Ruf ist ruiniert. Oder ob das auch per Post geht, wie früher bei diesen hygienischen Gummiwaren? Hundert Stück, selbstklebend, diskreter Versand, nur … Aber das würde zu lange dauern. Gekauft haben ich sie dann im Bahnhof Friedrichstraße: 4,60 Euro, die wird mir nie jemand erstatten. Und nun kommt das Schlimmste: Ich muss sie auch noch lesen. Aber vielleicht nicht alles, bloß die Kolumne auf der Titelseite: Ein Spiegel-Redakteur, so heißt es da, plädiert für Gespräche mit den Rechten. Der Kolumnist: Merkwürdig: Das wurde seit Jahrzehnten mit Gewalt und Gebrüll verhindert. Gebrüll? Das habe ich, vor längerem schon, hier mal in der Straßenbahn gehört: Ausländer raus! Wer so brüllt, mit dem ist nicht zu reden, das sieht der Kolumnist ganz richtig.

Gräfe und Unzer sind, wie jeder weiß, ein großer Ratgeber-Verlag. Was die dort beim Thema Kochen alles an Aspekten einbeziehen, ist schon erstaunlich. Jenes GU-Kochbuch, das hier neulich auf dem Fenstersims lag, war aber einem ganz herkömmlichen Gegenstand gewidmet, und zwar den Kalten Platten. Sehr praktisch: Bei jedem Rezept war gleich zu Beginn ein Hinweis zu finden wie Leicht zu kochen oder Dauert etwas länger. Es gibt aber noch viele andere Dinge, auf die man achten sollte: Wird schnell schlecht zum Beispiel oder Gelingt fast nie, aber auch Sieht besser aus, als es schmeckt. Verlangt Gewürze, die Sie nie wieder brauchen. Ist viel teurer, als die meisten denken und Bleibt meist übrig. Hätte ich Unternehmergeist, würde ich jetzt Die ehrlichen Kochbücher kreieren. Doch mein Geist will einfach Geist bleiben, frei von irgendwelchen Zusätzen.

Hof-Berichterstattung aller Art lese ich gar zu gern, das Offiziöse, die Rang- und Ordenslisten ebenso wie den Klatsch und Tratsch und die Gerüchte. Wie geht es wohl zu am Hofe eines Schattenkönigs? Solche Könige hat es ja gegeben, doch bei Wikipedia ist das Wort nicht zu finden, und auch mein großer alter Brockhaus lässt mich hier im Stich. Sicherlich ist dort alles nur Trug und Schein, die Kanonen an der Wache sind aus Blech, die Marmorsäulen aus Pappmaché, und für die Orden hat man Bunt- und Stanniolpapier auf Zeichenkarton geklebt. Mit Stolz getragen werden sie trotzdem. Denn es wird an solchen Höfen oder auch in ganz einflusslosen Exil-Regierungen ebenso um Gunst und Titel gekämpft wie im Gefolge wirklicher Machthaber. Seinen Palast verlässt ein Schattenkönig so gut wie nie, er kann das wirkliche Leben nicht mehr ertragen. In seinem Beisein wird nur noch geflüstert, auch geht es stets höchst zeremoniell zu. Zuletzt wird er vielleicht gar Schattenkaiser. Oder er entsagt, geht ins Kloster, wird Titular-Erzbischof von Ekbatana.

Ideen zur Weltverbesserung: Es gibt bekanntlich Keksbruch, ebenso gibt es Zwiebackbruch – da könnte es doch auch Tablettenbruch geben. Gemischten natürlich. Vielseitig verwendbar und sooo billig! Eine andere Sache: In manchen Gegenden werden Massenhochzeiten gefeiert; das ist praktisch und höchst preiswert. Vielleicht sollte man hierzulande Massenscheidungen veranstalten? Auch das wäre praktisch: Man könnte bei der Gelegenheit gleich jemanden für die nächste Ehe finden. Nützlich sind auch die von mir entwickelten Bestechlichkeits-Abzeichen, die aussehen wie Geldscheine im Kleinstformat. So wissen wir gleich, was wir dem betreffenden Mitarbeiter diskret in die Hand zu drücken haben.

Justiz bedeutet soviel wie Gerechtigkeit. Aber machen wir uns doch mal nichts vor, sehr geehrte Damen und Herren: Der Rechtsstaat ist nicht mehr bezahlbar. Die Prozesskosten wachsen ins Unermessliche, die Staatskassen sind leer. Wir können uns den Rechtsstaat einfach nicht mehr leisten. Was wir brauchen, ist eine erhebliche Senkung der Lohnneben … äh Quatsch … der Verfahrensdauer. Im Grunde ist der Rechtsstaat, schauen wir uns doch mal um in der Welt, meine Damen und Herren, ein Luxus, ein Relikt aus den Zeiten ständigen Wachstums. Fasse dich kurz ist die Losung der Stunde, und dazu brauchen wir die Zulassung … ähem … geständniserleichternder Mittel. Das war in der FAZ ja schon im Falle Metzler zu lesen. Man muss es mit der Rechtsstaatlichkeit doch auch nicht übertreiben. Ganz besonders heute nicht, wo die Staatskassen leer sind. Da ist der Rechtsstaat eben nicht mehr bezahlbar. Meine Damen und Herren, wir haben es doch schon längst geahnt: Der Rechtsstaat …