21. Jahrgang | Nummer 17 | 13. August 2018

„Fliegt in die Bäder!“

von Dieter Naumann

Im August 1911 hatte der Berliner Pilot Robert Heinrich Thelen (1884–1968) mit einem Wright-Flugapparat ein Schaufliegen auf der Rennbahn von Binz veranstaltet. Die Zuschauer seien „entzückt“ gewesen „von dem ruhigen Aufstieg, der Schleifenfahrt und dem sicheren Landen des Flugapparates“, schrieb das Rügensche Kreis- und Anzeigeblatt. Thelen wird als „ein mit seltener Ruhe und Kaltblütigkeit begabter Mann“ geschildert, „der noch keinen Mißerfolg mit dem waghalsigen Sport gehabt hat“. Organisiert und beworben wurde die zweitägige Flugschau durch die 1910 von Thelen mitgegründete Ad Astra Flug G.m.b.H., für den Eintritt waren drei Mark zu zahlen, dafür konnte man es sich auf der Tribüne der Pferderennbahn gemütlich machen. Wer mitfliegen wollte, hätte zwischen 50 (zwei Runden) und 200 Mark (15 Minuten Dauerflug) berappen müssen, das Angebot wurde aber nicht angenommen, „der Führer mußte die Aufstiege alle allein machen“.
Ab 1919 sind erste Post- und Bedarfsflüge, auch einzelne Rundflüge während der Badesaison nachweisbar, planmäßig wurde die Insel jedoch noch nicht angeflogen. Eingesetzt wurde unter anderem der ehemalige See-Aufklärer „Friedrichshafen FF 49 C“ der Luft-Fahrzeug-Gesellschaft m. b. H. (LFG) Werft Stralsund. Die umgebauten Militärmaschinen trugen Namen wie „Max“, „Moritz“ und „Fromme Helene“. Im Sommer 1919 soll die Gesellschaft 236 Passagiere von Stralsund zu den Badeorten Rügens befördert haben. Die 1917 gegründete Deutsche Luftreederei (DLR) und die 1919 vom Österreicher Dr. Joseph Sablatnig gegründete Firma Luftverkehr Sablatnig werden ebenfalls mit ersten Inselflügen erwähnt.
Auch von Zeppelin-Flügen wird berichtet. So weist der Führer durch die Badeorte des Verbandes Deutscher Ostsee-Bäder (Ausgabe 1922) bei der Beschreibung von Sassnitz auf eine Luftschiffverbindung hin, die sogar Anschluss nach Hamburg hatte. Eine im Juni 1930 verschickte Karte zeigt einen Zeppelin über Baabe: „Habt Ihr am Sonntag den ,Zepp‘ gesehen? Ich habe nichts, aber auch gar nichts in (unleserlich) versäumt. Ihr seht ihn umseitig. So begrüßte er uns am Strande. Herrlich. Ganz Ostseebad Baabe war auf den Beinen u. einer noch aufgeregter wie der andere […] Er zeigte sich herrlich u. grüßte uns würdevoll.“
Mit Inkrafttreten des Versaillers Vertrags kamen der Luftverkehr und der Bau neuer Flugzeuge zunächst zum Erliegen, sämtliche deutsche Flugzeuge wurden beschlagnahmt. Die Bestimmungen des Vertrages wurden jedoch schon frühzeitig umgangen, Ende 1934 soll es 41 militärische Fliegerverbände in Deutschland gegeben haben, die als zivile Organisationen getarnt waren.
1921 jedenfalls erhielt Rügen Anschluss an den Fluglinienverkehr: Die Deutsche Luft-Reederei (DLR), 1917 als erstes deutsches Luftverkehrsunternehmen ins Leben gerufen, und die Loyd-Luftverkehr Sablatnig GmbH (LLS) betrieben gemeinsam die Linie Travemünde-Warnemünde-Sassnitz-Swinemünde. Daneben gab es weiterhin Bedarfsflüge im sogenannten Bäderverkehr. Der Durchbruch sollte 1925 erfolgen, als auf Initiative des Ober-Präsidenten der Provinz Pommern, Julius Lippmann (1864-1934), die Luftverkehr Pommern GmbH (LVP) gegründet wurde. Am 1. Juli jenes Jahres landete auch das erste Wasserflugzeug am Selliner Hauptstrand.
Ab 1925 flog die LVP im Juli und August einmal täglich außer sonntags auf der Linie Stettin-Swinemünde-Sellin-Stralsund. Die gesamte Flugzeit betrug zwei Stunden und 15 Minuten, der Flugpreis 60 Mark. Die Etappen Stralsund – Sellin (35 Minuten) und Sellin – Swinemünde (45 Minuten) kosteten jeweils 20 Mark. Auch Rundflüge über die Insel waren möglich, der Preis eines 20-minütigen Rundflugs ab Sellin belief sich auf 5 Reichsmark.
In „Griebens Reiseführer Rügen“ von 1928 wird unter der Position „Luftverkehr“ die vom 2. Juli bis zum 31. August einmal täglich (außer sonntags) betriebene „Rügenlinie“ zwischen Stettin und Kloster auf Hiddensee wie folgt beschrieben: „Stettin – 38 km in 35 Min. Swinemünde – 64 km in 35 Min. Sellin – 40 km in 25 Min. Stralsund – 30 km in 15 Min. Hiddensee (Kloster). Fahrpreise: Stettin – Swinemünde 20 M, Swinemünde – Sellin 20 M, Sellin – Stralsund 15 M, Stralsund – Hiddensee 15 M.“
Laut Grieben von 1930 waren Sellin, Stralsund und Hiddensee auch ab Berlin-Tempelhof erreichbar. Die Flugzeit von Berlin (ab 8.20 Uhr) nach Sellin wurde mit zwei Stunden und 15 Minuten, die nach Hiddensee mit dreieinhalb Stunden angegeben, die Flugpreise betrugen 35 beziehungsweise 46 Mark. Eine andere Quelle vermerkt, dass diese Verbindung in den Sommermonaten sogar zweimal täglich angeflogen wurde. Bis 1935 betrieb die 1926 aus dem Deutschen Aero Lloyd und der Junkers-Luftverkehr AG neu formierte Deutsche Luft Hansa AG diese Linie. In deren Sommerflugplan 1927 gab es den Hinweis, dass die Kabinenfenster während des Flugs geöffnet werden könnten, durch Hinausstrecken des Armes würde die Geschwindigkeit (etwa 150 km/h) spürbar. Vorsicht sei allerdings geboten, das Hinauswerfen von Gegenständen verboten. Das Bewegen im Flugzeugraum führe nicht zur Beeinträchtigung der Stabilität. Man solle sich wie im Auto benehmen und fühlen.
Ab 1936 flogen die Maschinen nur noch bis Sellin. Ein Prospekt der Kurdirektion Binz gab die Flugdauer von Berlin über Stettin nach Sellin mit zwei Stunden an. Die Strecke wurde in der Saison zweimal täglich in beiden Richtungen geflogen. 1938 wurde die Linie eingestellt und im Grieben letztmalig erwähnt. In diesem Zusammenhang wurde noch auf einen „Flugzeug-Dampfer-Gemeinschaftsdienst“ von Ende Juni bis Ende August hingewiesen, der die wahlweise Nutzung eines Flugzeugs in einer und eines Braeunlich-Dampfers in der anderen Richtung erlaubte.
Der Landeplatz für Wasserflugzeuge in Stralsund („Flugstation“) lag am Hindenburgufer, nördlich der Altstadt. Von hier aus verlief eine Fluglinie fast schnurgerade nach Norden über die Vorpommersche Boddenlandschaft nach Kloster auf Hiddensee. Die zweite Linie ging zunächst nach Südosten über die Insel Dänholm, den Strelasund und die Halbinsel Drigge, überquerte die Prosnitzer Schanze, bog nahe Glewitz leicht nach Nordosten, überquerte die Halbinsel Zudar, den Greifswalder Bodden und die Having, um bei Sellin zu enden.
Ursprünglich landeten die Maschinen am Hauptstrand von Sellin vor den Bädern, nur bei zu stürmischem Wetter wurde der Selliner See angeflogen. Nach 1926 diente nur noch der Selliner See als Start- und Landeort. Das nördliche Ende des Sees war damals der einzige „Flughafen“ auf Rügen. Erwähnt wir die Verankerung der Wasserflugzeuge am Bollwerk.
Nahe der Schiffsanlegestelle „Bollwerk“, 1921 durch die Saßnitzer Dampfschiffgesellschaft errichtet, mauserte sich das Fährhaus von Walter Hansen als „Café Flughafen Restaurant Fährhaus“ bald zu einem beliebten Ausflugsort. Die Rügensche Post schrieb am 24./25. Dezember 1936: „Wer kennt nicht auf Rügen Vadder Hansen in Sellin, es gibt wohl wenige, die nicht schon gemütliche Stunden in seinem Fährhaus verbracht haben.“ Walter Hansen betreute am Flughafen auch eine kleine Posthilfsstelle.
Da, wo die von der Deutschen Lufthansa eingesetzten Wasserflugzeuge wasserten, warteten die Schiffe der Reederei Gebr. Wittmiß und brachten die Fluggäste zu ihren Urlaubszielen. Ankunft und Abflug der Flugzeuge waren gut besuchte Ereignisse, wie zahlreiche Ansichtskarten beweisen. Gern verschickte man auch Briefe und Postkarten per Luftpost, wobei viele der Stempel und Aufkleber reine Gefälligkeitsleistungen waren. Auf einer im Juli 1937 vom Fährhaus verschickten Karte heißt es: „Augenblicklich sitzen wir hier u. warten auf das Wasser-Flugzeug, welches die Karte mit nehmen soll.“ Auf anderen Karten wird über einen Matrosenball im Fährhaus berichtet, bei dem man „hüpft und springt“, und bei dem „Frauen kommen & gehen“, oder über einen Studentenball, bei dem „Schwester Mary“ einen Freiflug um Rügen gewonnen hat.
Heute sind Inselrundflüge zwischen 20 und 60 Minuten vom Rügener Flughafen Güttin möglich. Rügen von oben – ein faszinierendes Erlebnis.