von Klaus Hammer
Er war einer der Hauptvertreter und Initiatoren des Rheinischen Expressionismus. Sein Werk aus Ölbildern, Aquarellen und Zeichnungen entstand in gut sieben Jahren, zwischen 1907 und 1914. Schon wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges fiel dieser so jung vollendete Künstler mit erst 27 Jahren an der Westfront.
August Macke hatte der Münchener Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ nahegestanden, und ihr Mitbegründer Franz Marc schrieb in seinem Nachruf über den Freund: „Macke malte in lichteren und strahlenderen Farben als einer von uns“. Der Münchner Kreis wollte die Farbe nicht realistisch einsetzen, sondern verwandte sie zeitweise sehr frei, um starke Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Macke dagegen hatte überdies Matisse, den orphischen Kubismus Delaunays und den italienischen Futurismus zur Kenntnis genommen und in seine eigene Bildsprache übersetzt. So entstanden Werke in harmonischer Schönheit und stiller Melancholie, mit poetischer Stimmung und von hoher Musikalität. „Bei mir ist arbeiten ein Durchfreuen der Natur“, hatte Macke 1910 geäußert. Die Aquarelle, die er von seiner berühmten Reise nach Tunesien 1914 mitbrachte, sind in der Intensität ihrer Farben von unübertroffener Faszination.
Das Stadtmuseum Lindau am Bodensee hat sich durch seine hochkarätigen Sonderausstellungen zur Kunst der klassischen Moderne weit über den Bodensee-Raum hinaus einen Namen gemacht. In diesem Jahr zeigt es, bevor es im September für eine komplette Sanierung und Neukonzeption seine Pforten schließt, eine exquisite August-Macke-Exposition mit Leihgaben aus Privatsammlungen und öffentlichem Besitz aus den USA und Japan, aus Frankreich, Spanien und Deutschland, so auch aus Berlin und Chemnitz.
In seinen frühen Landschaften und Porträts war Macke die Farbe lediglich symbolisches Element. Dann, 1907, sollte sich ihm die Farbwelt der Impressionisten in ihrer vibrierenden Lebendigkeit erschließen. Die Stillleben, die sich auf wenige Bildgegenstände – in der Regel Früchte – beziehen, zeichnen sich durch subtile Farbnuancierungen aus und sind in der Auffassung denen Edouard Manets vergleichbar. Dagegen geht das Stillleben „Vogelbauer“ (1912) auf den Einfluss von Henri Matisse zurück. Auch die Aktdarstellung „Badende mit Lebensbäumen“ (1910) mit ihrer Absicht, Licht durch die Intensität der Farbe zur Geltung zu bringen, mag durch Matisses „Reichtum, Ruhe und Begierde“ von 1904 angeregt worden sein. Mackes Gartenbilder, die bereits in Kandern 1907, dann in Tegernsee und schließlich in Bonn und im schweizerischen Hilterfingen entstanden, stehen dann wieder in der Konzeption von Licht und Schatten dem Manet-Vorbild nahe. Nach 1907 kommt Macke auf die Thematik von Theater, Bühne und Zirkus, die zweifellos ebenfalls durch die französische Malerei und hier vor allem durch Edgar Degas angeregt worden ist
Im „Garten am Thuner See“ (1913) eliminiert Macke zudem die Reste des Gegenständlichen und geht zur puren Abstraktion über. Die Balance aller bildlichen Elemente ist im Motiv des „Seiltänzers“ von 1914, der das Gleichgewicht bewahren muss, will er nicht abstürzen, geradezu symbolisch gegeben. „Türkisches Café‚ I“ (1914) konzentriert sich auf die Umrisse großer Formen. Farbflächen bestimmen hier den Bildaufbau, nur wenige Formen durchbrechen den Eindruck des Flüchtigen und deuten Räumlichkeit an.
Die Landschaft ist in seinen Figurenbildern von 1913/14 in farbigen Klängen aufgebaut, ja mitunter verselbständigt sich Farbe als abstrakte Form. Die Figuren erscheinen flächig und schattenlos. Grundfarben herrschen vor, selbst in den Brechungen zum Grün dominieren die wärmeren Gelbanteile („Dame in grüner Jacke“, 1913). Die Rottöne des Hauses und der Bäume leuchten magisch („Rotes Haus im Park“, 1914), das Blau erscheint als festlicher, unmaterieller Gegenklang. Atmosphärisches bestimmt in der wirkenden Kraft des Lichtes, das, durch die Bäume gefiltert, in Flecken auf den Boden fällt, den Bildeindruck. Es herrscht eine traumhafte Stille, ein „erfüllter Augenblick“. Tagtraum, Realität und Illusion sind hier eng miteinander verschmolzen.
Seit Oktober 1913 hielt sich Macke mit seiner Familie in der Schweiz am Thuner See auf und hatte hier – durch die Umgebung und die glücklichen Umstände angeregt – eine intensive Arbeitsphase. Hier sind auch die mit leuchtenden Farben gemalten Aquarelle von Flaneuren und Spaziergängern entstanden, die im Zusammenhang mit Mackes Vorstellungen von einem irdischen Paradies stehen, das den Menschen in Harmonie mit seiner Umwelt zeigt („Spaziergänger mit Stadt“, „Gelbe Frau mit Kind“, „Frauen im Park“, alle 1913). In einer ganzen Serie von Schaufensterbildern findet das Flaneur-Motiv seine markanteste Ausprägung. Sie ist Mackes deutliche, doch unabhängige Reaktion auf das stilistische Angebot der Futuristen wie von Delaunays Fensterbildern. Macke schafft hier eine neue Variante der Straßendarstellung, indem er die Gegenstände in ein nach dem Prinzip des Simultankontrastes geordnetes Flächenmosaik als Bestandteil dargestellter Realität einsetzt („Modegeschäft im Laubengang“, 1913; „Eine Ladenstraße unter Lauben“, 1914). Die jeweilige Rückenfigur auf beiden Bildern enthält das Angebot an den Betrachter, sich mit ihr zu identifizieren und in die Bildordnung einzutreten.
Nicht weit von Mackes Aufenthaltsort Hilterfingen entfernt lebte der Maler Moilliet, mit dem dieser eine rege freundschaftliche Beziehung pflegte. Auch Paul Klee kam zu Besuch an den Thuner See, und alle drei beschlossen eine Reise in den orientalischen Süden – nach Tunesien. Macke hatte bisher ein durchaus traditionelles Orientbild, das Exotik und Sinnlichkeit visualisiert („Orientalisches Liebespaar“, 1910). Aus einer Symbiose Europas mit dem Orient erhoffte er sich eine Erneuerung der Kunst. Mackes Zeichnungen und Aquarelle in Tunesien entstanden unmittelbar vor dem Objekt, enthalten aber auch Motive, die auf keine tatsächlich existierende Situation Bezug nehmen. Zu den spontan aquarellierten Blättern gehört „Markt in Tunis I“ (1914). Die ineinanderlaufenden Wasserfarben lassen die Details unberücksichtigt. Große, auf Komplementärkontrasten aufbauende Farbflächen lassen in ihren dynamischen Wechselwirkungen das Bewegte, Turbulente einer orientalischen Marktszene sichtbar werden.
Die Überzeugungskraft von Mackes Tunesien-Werken liegt in der Unmittelbarkeit, in der spontanen Wiedergabe eines überwältigenden Licht- und Farbenerlebnisses.
Macke hat in Tunis darüber hinaus auch fotografiert, um danach zu zeichnen, und hat dabei nicht zuletzt Zeichnungen aus den Motiven mehrerer Fotos kompiliert. Räumlich und zeitlich weit auseinanderliegende Eindrücke werden zusammengezogen – aus einzelnen Motiven, aus Wirklichkeitsfragmenten wird collagehaft eine neue Komposition gefügt. Nach der Reise entstanden auch Gemälde, die keine Verbindung zu den in Tunis aquarellierten und skizzierten Blättern haben, sondern aus der Erinnerung entstanden sind (so „Tunesisches Hafenbild“, 1914). Obwohl das Gegenständliche weitgehend zurückgenommen ist, will Macke nicht jenes Maß an Abstraktion, jene nahezu ausschließliche Dominanz der Farbe, wie sie etwa für Klees Aquarelle der Tunisreise gegeben sind.
Mackes leuchtender Farbsinn und harmonisches Lebensgefühl zerbrachen angesichts der grausamen Kriegserfahrungen. Wenige Tage vor seinem Tode schrieb er an seine Frau Elisabeth: „Seit drei Tagen liegen wir hier in einem Gefecht, das sich von Paris nach Verdun hinzieht. Es ist alles so grauenhaft, dass ich Dir nichts darüber schreiben mag. Unser aller Gedanke ist Friede […] Über all dem Kanonendonner schwebt eine sonnige Wolke, die Liebe zu Euch allen, Ihr Guten!“
August Macke – Flaneur im Garten der Kunst. Stadtmuseum Lindau am Bodensee, bis 26. August. Katalog: 25,00 Euro.
Schlagwörter: Abstraktion, August Macke, Expressionismus, Farbe, Klaus Hammer, Malerei