von Dieter Naumann
Erster Pächter des 1835 errichteten „Königlichen Gasthofs Stubbenkammer“ am Königsstuhl war Friedrich Behrend (1808–1882), der sich auf vielerlei Art bemühte, Gäste anzulocken und bei Laune zu halten. So soll Behrend häufig mit seinen dressierten Seehunden geprotzt haben, die er am Fuße des Königsstuhls in einem Stall halte, die ihm die Fische in die Netze trieben und seine Ruderboote wieder an Land zögen. Seine Flunkereien trugen dem cleveren Pächter den Scherznamen „Münchhausen von Rügen“ ein.
Selbst den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. soll Behrend an der Nase herumgeführt haben: Auf dessen Frage nach der Zahl seiner Kinder antwortete Behrend, er habe sechs Söhne, und jeder von ihnen habe eine Schwester. Majestät sollen sehr erstaunt über die zwölf Kinder gewesen sein. Tatsächlich hatte Behrend sechs Jungen und ein Mädchen. Nur einmal, beim Besuch des mecklenburgischen Volksdichters Fritz Reuter, soll er seinen Meister gefunden haben. Nachdem man sich zur Freude der Gäste über dressierte Lachse und aus der Haut fahrende Aale (wodurch sich die Mönchguter wasserdichte Strümpfe verschafften) ausgetauscht hatte, brauchte der berühmte Gast am Morgen nicht zu bezahlen. Behrend wollte die Eintragung Reuters im Fremdenbuch unter Glas und Rahmen in seiner Gaststube vermarkten und auf diese Weise das Geld wieder hereinholen. Reuter hatte sich jedoch aus Schabernack als „Versicherungsagent aus Rostock“ eingetragen, womit schon damals nicht viel Werbung zu machen war.
Ein ähnliches Original dürfte der Sagarder Gastwirt Schepeler gewesen sein, über den Edmund Hoefer in den um 1880/81 erschienenen „Küstenfahrten an der Nord- und Ostsee“ schrieb. Ihn muss es wohl besonders amüsiert haben, wenn einer seiner Gäste im Hotel „Fürstencrone“ seine rügenschen „Keilschriften und Runensteine“ für bare Münze nahm. Die Geschichte von der Eisbärenfamilie, „die beim letzten Eisgang an der Jasmunder Küste abgestiegen“ sei und sich´s nun „in den grünen Thälern des Stubnitzwaldes an vergnügungssüchtigem Berlinerfleisch wohl sein“ lasse, soll manchen guten Preußen so verängstigt haben, dass er vorsorglich auf den Besuch von Stubbenkammer verzichtete.
Um 1850 war Dr. Friesen der einzige Arzt auf der Halbinsel Jasmund. Ein Kollege hatte sich zwar anfangs in Sagard niedergelassen, die Insel aber bereits nach zwei Jahren wieder verlassen, weil es kein intelligenter Mensch in dieser Einöde aushalten könne. Friesen wohnte in Saßnitz und ritt, wann immer er gerufen wurde, auf seinem wohlgenährtem Braunen „Nickel“ zu seinen Kranken. Beide waren so miteinander verschmolzen, dass es bei Ankunft des Arztes stets hieß: „Nickel ist da!“ Wer die Zusammenhänge nicht kannte, redete den Arzt auch mit „Dr. Nickel“ an, der bei dieser Gelegenheit darauf verwies, dass sein Pferd klüger sei als er, weil es stets den Heimweg finde.
Von den vielen Episoden, die man über den beliebten Sonderling erzählte, schrieb Pastor Johannes Friedländer diejenige über das „Hauskreuz“ im Rügenschen Heimatkalender von 1908 auf: Dr. Friesen war alleinstehend, hatte lange Zeit auch keine Haushälterin. Ein Studienfreund, der inzwischen geheiratet hatte, empfahl ihm seine Haushälterin Adelheid als ein „Juwel, dem gerade dein Haus die rechte Fassung geben wird“. Der Doktor nahm sie in seinen Haushalt auf. Sie hatte auch wirklich große Tugenden, war eine sparsame Wirtschafterin, eine saubere Frau, eine gute Köchin. Allerdings, grobknochig von Gestalt, hatte sie auch in ihrem Wesen etwas Grobes, Knochiges, obwohl sie es von Herzen gut meinte, besonders mit „ihrem“ Doktor. Es dauerte nicht lange, bis sie das Regiment übernommen hatte, Dr. Friesen war nicht mehr Herr in seinem Hause. Er fürchtete sich sogar vor seiner Adelheid und wagte keinen Widerspruch gegen ihre Anordnungen. „Das war sein Hauskreuz.“
Nur in seinen Beruf ließ er sich nicht hineinreden. Wenn er gerufen wurde, mochte Adelheid noch so barmen „Aber, Herr Doktor, jetzt schon so früh!“ oder „Jetzt noch so spät!“ oder „Jetzt, bei diesem Wetter?“ – Friesen machte sich auf den Weg zu seinen Patienten.
An einem Weihnachtsabend der 1850er Jahre wurde der Doktor zu einer Patientin gerufen, die sich beim Holzfällen mit dem Beil so stark verletzt hatte, dass ihr nicht mehr zu helfen war. Um ihrem kleinen Sohn die Armenpflege zu ersparen, nahm ihn Friesen mit nach Hause, um für ihn zu sorgen. Angst vor Adelheids Vorhaltungen war völlig unbegründet: „Ich will ihm die Mutter ersetzen“, sagte sie, „so viel ich es vermag…“
Der Mönchguter Johann „Vadder“ Brandt wurde vor allem durch die Erzählungen Fritz Worms bekannt, der den „alten Knaben“ kennenlernte, als er schon auf das 80. Lebensjahr zuging. Mit hoher, breitschultriger Gestalt und weißer Bartfräse muss Brandt eine imposante Erscheinung gewesen sein: Der Breslauer Maler Siegfried Laboschien fand in ihm nicht nur einen Freund, sondern auch ein Modell, das er von allen Seiten, in allen möglichen Stellungen mit allen Schikanen konterfeite. Beide unterhielten sich bei den Sitzungen aufs herzlichste. „Mir war´s nur zu pläsierlich“, schrieb Worm 1914 in „Lose Blätter aus Rügen“, „dass mir ein jeder von ihnen nach den Sitzungen unter vier Augen gestand: ,Schade, dass ich kein Sterbenswörtchen von seiner Unterhaltung verstanden habe!‘“ Wie auch – der Kunstmaler hatte in der Zeit seines Aufenthalts nur einen plattdeutschen Satz gelernt: „Ick heww kein Tid!“, und Brandt kannte nur sein Plattdeutsch. Wenn er das Hochdeutsche versuchte, kam nur Kauderwelsch zustande oder einer der sinnigen Sätze, mit denen er dem Zuhörer „importieren“ wollte, wie: „Was das Alte betrifft, ist das Neue gar nicht vorhanden.“
Eine von Worm erzählte Episode schien typisch für Vadder Brandt zu sein: In seinen Jünglingsjahren war er von Greifswald in Richtung Mönchgut zurückgesegelt. Ein zweites, von seinem Freund Martin Schmidt geführtes Boot mit zwei Handwerksburschen an Bord kenterte, und Schmidt ertrank. Brandt gelang es nur, die beiden Handwerksburschen und den Macker (Helfer) von Schmidt zu retten. Nach Jahren erhielt Brandt Post von einem der Burschen, der sich als Schuhmacher in Fürstenberg selbstständig gemacht hatte und seinen Retter einladen wollte. Brandt freute sich zwar – aber sein geliebtes Mönchgut zu verlassen kam nicht in Frage. Erst die bevorstehende Silberhochzeit des Schuhmachers konnte ihn umstimmen. Angekommen, wurde Brandt von der Familie des Schuhmachers im ganzen Haus herumgeführt. Bald aber wurde es dem Gast langweilig, man ging ins Freie. Als dort der Pfiff eines Zuges ertönte und Brandt erfuhr, dass es der Zug nach Stralsund sei, steuerte mit den Worten „Na, denn blots fix, dor möt ick mit!“ prompt auf das Bahnhofsgebäude zu. Der Schuhmacher fragte, ob er denn Polterabend und Hochzeit schwinden lassen wolle, ob er unbewusst durch jemanden verletzt worden sei. Der Alte aber beteuerte unter Tränen, dass er sich sehr wohl gefühlt habe, doch nun müsse er nach Hause, nach „Mönchgaud“, sonst sterbe er. Später erzählte Brandt Fritz Worm noch oft von seiner „Weltreise“ und freute sich, wenn der ihm bestätigte: „Ist doch narrends so schön as bi uns hier tau Hus!“
Martin Looks aus Baabe, selbsternannter „Seeräuber von Mönchgut“, ließ sich nicht nur gern fotografieren – zahlungspflichtig, versteht sich; er fuhr auch mit Badegästen, die auf Seehunde schießen wollten, auf die rügenschen Gewässer hinaus. Objekt der Begierde seiner ahnungslosen Gäste war freilich nur ein von Looks ausgestopftes Tier.
Looks, dessen von Fritz Worm bearbeiteten Memoiren 1907 erschienen, behauptete gern, dass es weder hundert Jahre vor ihm einen solchen Poken wie ihn gegeben habe noch hundert Jahre nach ihm einen geben werde. Poken (Messer) und Kollen (Kolben) waren die Waffen, mit denen sich die „Insulanerstämme“ in der Vergangenheit bekämpften. Daraus wurden die Bezeichnungen für Mönchguter (Poken) und die „restlichen“ Rüganer (Kollen). Später nannten die Mönchguter auch ihre Badegäste „Kollen“. Wer sich nicht in der Mönchguter Tracht kleidete, war „koll“ angezogen.
Schlagwörter: Dieter Naumann, Mönchgut, Münchhausen, Rügen