21. Jahrgang | Nummer 13 | 18. Juni 2018

Querbeet

von Reinhard Wengierek

Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: Obama & Trump im Duell-Duett, o Täler weit o Höhen auf der Berliner Museumsinsel…

***

Leute, hereinspaziert zu „Merkel, Tiere, Koalitionen“ im „Zirkus Angela“. Manege frei im Berliner Kabarett-Theater „Die Distel“ für Horror-Clowns, die erst mal unter die kalte Dusche müssen. Dort braust im starken Strahl die geballte Ladung Parteien-Politiker-Bashing hernieder: Wahlkampf der CDU wie Kreuzzug, die SPD als politische Hospizbewegung, die Grünen als Jobbörse für Altachtundsechziger, die Regierung als alte, im Kreis trottende Gäule, die Kanzlerin als Raute Nimmersatt, Seehofer turnend auf dem Populisten-Trapez, beide auf Suche nach einem Endlager für sich und so weiter witzelnd und bis ganz tief unten blödelnd (Steinmeier als dummer August). So kriegen alle Gäule und Horrorclowns paritätisch ihr Fett weg. Schlagzeilengewitter, garniert mit Musik und Gesang.
Hübscher Rein- und Ranschmeißer; machen viele so im einschlägigen Gewerbe. Obwohl, die Stärke und Dichte der Pointen ist hier durchaus schon überdurchschnittlich. Doch das steigert sich sogleich. Das mit den Pointen, mit den Ideen, mit der Qualität der Texte (Buch: Jens Neutag unter Verwendung von Beiträgen einer Handvoll glänzender Sketch-Schreiber). Denn jetzt folgt das dem Zirkus eigene Nummernprogramm, die Kunststückchenparade, die Sketchrevue. Und da laufen die drei bravourösen Schauspieler Dagmar Jaeger, Rüdiger Rudolph, Sebastian Wirnitzer zur großen Form auf – auf dem klassisch kleinen Brettel.
Und man muss süffisant grinsend oder lauthals lachend gestehen: Da ist die „Distel“ Spitze! Und spitz, wie Disteln eben sind. Die Folge der artistisch perfekt performten Nummern ist lang. Es geht, immer schön ins Groteske gedreht (manchmal sogar ins Melancholische, auch Makabre), beispielsweise um die Lobbyrepublik Deutschland (Dieselgate), um Obszönitäten der Marktwirtschaft, um Krankenhausnotstände und Krankenhauskeime, um veganen Wahn und Enteignung durch Niedrigzinspolitik (Pittiplatsch und Schnatterinchen beim Bankberater).
Aber auch um Fußball und die bestechliche FIFA und den Größenwahn in Katar (die für uns weihnachtliche WM mit Katarrh). Und mit ordentlich schwarzem Humor um den Pflegenotstand als Schwarzmarkt für Betrüger und Menschenhändler. Und, geradezu anrührend, ums liebenswürdig altmodische Klammern am Analogen (alles, was die Digitalen nicht in 280 Zeichen unterbringen, ist Größenwahn). Dazu der romantische Aufruf: Schreibt mal wieder Liebesbriefe mit Hand; falls man mit Hand überhaupt noch schreiben kann.
Zum Finale dann der komödiantisch-politisch-textlich-musikalische Kracher: Barack Obama und Donald Trump im Duell-Duett. Wahnsinn! Furioser Politzirkus! Große Klasse! Muss man erst mal drauf kommen – und es können.
Das Publikum ist aus dem Häuschen, weil alles in allem nebst Musik (Matthias Felix Lauschus, Fred Symann) und Trallala ein Hit ist (tolle Regie: Dominik Paetzholdt sowie eine bei allem gebotenen Minimalismus großartige Ausstattung von Hannah Hamburger). – Dann, nach dieser musikalisch wie optisch grandios gestützten Fülle von Sarkasmus, Zynismus, Spaßbomben und Gehirnschmalzaufläufen, dann kommt der Rausschmeißer mit einem – oho! ؚ– sentimentalen Augenaufschlag: eine charmante Huldigung (auch das bringt die Distel zustande) der Frau Kanzlerin als „Mutti für Millionen“, die alsbald wohl „echt keinen Bock mehr“ hat, wie sie am Ende frech dahin nuschelt im nachgestellten O-Ton (also doch noch eine feine Distel-Spitze).
Werbliche Ansage: „Zirkus Angela“ ist die erste Premiere im Jubiläumsjahr: Am 2. Oktober 2018 feiert das berühmte Institut am Hauptstadt-Bahnhof Friedrichstraße seinen 65. Geburtstag. Man darf sich auf Premieren, Gastspiele und ein Happening am 13. Oktober freuen. Schon jetzt kann man eine Tragetasche aus schwarzem Stoff für drei Euro kaufen. Aufschrift in unschuldigem Weiß: „Wir tragen es mit Humor“.

***

Sommer, Ferien, Wandern – passt zusammen. Doch es soll ja Leute geben, die müssen selbst sommers arbeiten. Aber keine Bange, auch für die ist gesorgt. Nämlich: Die prachtvoll neue Alte Nationalgalerie zu Berlin nimmt sich ihrer an. Mit der herrlichen Ausstellung „Wanderlust“, die zumindest einen Spaziergang bietet durch Räume voll mit tollen Bildern vom Draußensein. Einer Ikone gleich prunkt im Mittelpunkt dieser Sonderausstellung quasi als Titelbild Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ von 1817. Der stolze Gipfelstürmer im Gehrock, gestützt auf einen Stock, melancholisch einsam ins Weite und Tiefe blickend. Das Sinnbild einer besinnlichen Entschleunigung im Einklang mit der Natur. – Etwas anders bei Karl Friedrich Schinkel: In seinem „Felsentor“ von 1818 steht der Mensch als Winzling geschrumpft gegenüber einer steinernen Großmacht. – Das Wandern also als lustvolle, aber eben auch beschwerliche Aneignung der herrlichen oder herrischen Welt.
Friedrichs gottgleich einsamer Herr über den Wolken ist eine Leihgabe der Hamburger Kunsthalle, eine von sechzig, aus großen deutschen wie ausländischen Museen aufwändig zusammengetragen von Birgit Verwiebe, der Kuratorin. Die anderen sechzig Bilder entstammen dem so reichen Fundus auf der Museumsinsel vor unserer Haustür.
Es bedarf mithin keiner weiten Reise und keiner besonderen Ausrüstung fürs Unterwegssein. Es genügt der offene Blick fürs Idyllische, Feine, Ergötzliche, fürs Erhabene, aber auch Bedrohliche – die Natur ist ja nicht bloß „lieb“. Und wem es gegeben, dem eröffnen sich nebenher philosophische Gedankengänge weit über den Horizont des Gemalten hinweg; diverse Themenfelder wie „Lebensreise“ oder „Künstlerwanderung“ zeigen es an.
Was für ein Vergnügen, diese Pilgerschaft vor allem zu den Bildwelten (und Weltbildern) der Romantiker Carus, Blechen, Richter, Schwind, Kersting bis zu Courbet, Gauguin, Renoir oder Kirchner, Nolde, dem frühen Otto Dix, Ernst Barlach. So manches ihrer Motive ist ganz in der Nähe oder liegt einem ganz nah; andere wiederum, man kennt sie aus Träumen, sind Sehnsuchtsziele … – „Das muss ein schlechter Müller sein, dem niemals fiel das Wandern ein“, textete Wilhelm Müller 1821. Zwei Jahre später machte Franz Schubert ein Volkslied draus. Wir trällern es heimlich mit beim lustvoll Wandern (oder staunend Wandeln) durch den Bilderwald – und den ganzen schönen Sommer bis zum 16. September.