21. Jahrgang | Nummer 8 | 9. April 2018

Blickwinkel

von Bernhard Romeike

Die Wochenzeitung Die Zeit hat sich kürzlich mit den 297 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der AfD-Bundestagsfraktion und deren Abgeordneten befasst und bei 27 „einen eindeutig rechtsradikalen und rechtsextremen Hintergrund“ ermittelt. Daraufhin wurde Alexander Gauland, einer der Fraktionsvorsitzenden, wegen eines ehemaligen Mitarbeiters befragt, der in seiner Jugend in dem 2009 verbotenen Verein „Heimattreue Deutsche Jugend“ aktiv war. Abgesehen von schweren Straftaten, für die mehr als fünf Jahre Haft angedroht sind, verjähren Delikte in Deutschland nach höchstens fünf Jahren. Die frühere Mitgliedschaft in einem zuvor zugelassenen Verein ist keine Straftat. Wir reden hier also über das Gesinnungswesen und nicht über Straftaten.
Gauland hatte denn auch geantwortet, er habe seine Mitarbeiter nicht danach gefragt, „was sie im jugendlichen Alter gemacht haben“.
Die Zeitung neues deutschland hat eine Zweitverwertung der Zeit-Recherche vorgenommen und prompt moniert, dass Gauland auf Nachfrage gesagt hatte: „Wir hatten einmal einen Außenminister, der hat Polizisten verprügelt und Steine geschmissen.“ Gemeint war der Grüne Joschka Fischer, der als junger Linksradikaler auf jene Weise aktenkundig geworden war. Der Bundestag hatte sich später auf Betreiben der Christdemokraten ausführlich damit befasst und Fischer, inzwischen Außenminister, hatte Stein und Bein geschworen, längst ein braver, staatstragender Bürger geworden zu sein und sich von sich selbst zu distanzieren.
Sind solche Lernprozesse nur früheren Linksradikalen zuzubilligen? Das Neue Deutschland kommentierte Gauland mit den Worten: „Linksradikal oder eine verbotene Neonaziorganisation – für Gauland scheint dies etwas ähnliches (sic! – B.R.) zu sein“ – das war verurteilend gemeint. Abgesehen davon, dass sich militante linksradikale Netzwerke in Westdeutschland bereits 1968 nicht als „eingetragener Verein“ angemeldet haben und schon deshalb nicht verboten werden konnten, ist dies aus der bürgerlichen Sicht von Leuten wie Gauland durchaus etwas Ähnliches.
An dieser Stelle ist an das Problem der Symmetrie zu erinnern. Das begann mit der Gründung. Die Alternative für Deutschland wurde am 15. September 2012 im hessischen Bad Nauheim als Bürgerinitiative Wahlalternative 2013 aus der Taufe gehoben, im Grunde aus der CDU heraus. Zu den Gründern gehörten der frühere Staatssekretär Alexander Gauland, der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke, das Mitglied des Bundesvorstandes der CDU-Mittelstandsvereinigung Gerd Robanus und der Journalist Konrad Adam, früher im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und als Kolumnist der Zeitung Die Welt tätig. Die Wahlalternative verstand sich zunächst nicht als Partei und wollte zur Bundestagswahl 2013 die Freien Wähler unterstützen. Lucke sagte, er sei aus Enttäuschung über die Euro-Politik nach 33 Jahren aus der CDU ausgetreten. Gauland, über 40 Jahre CDU-Mitglied, kritisierte, dass der CDU das konservative Profil verlorengegangen sei. Robanus, 1989–1999 Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes Maintal, sagte, er könne den Kurs der CDU-Spitze nicht mehr mittragen. Die Konstituierung der AfD als Partei erfolgte am 6. Februar 2013.
Unter einer vergleichenden politikwissenschaftlichen Sichtweise fällt auf, dass die AfD-Gründung analog dem Vorgehen der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) erfolgte. Das beginnt schon mit dem Wort „Alternative“. Die WASG-Gründung geschah aus der SPD heraus durch frühere Mitglieder des linken, respektive Gewerkschaftsflügels, die mit der „Agenda 2010“- und „Hartz-IV“-Politik der Schröder-Regierung unzufrieden waren und deshalb mit der SPD brachen. Deren Vereinsgründung erfolgte am 3. Juli 2004, die Umbildung zur Partei von November 2004 bis Januar 2005. Die erste Wahlbeteiligung fand 2005 statt, anschließend der Zusammenschluss mit der PDS zur Linkspartei.
AfD und Linke sitzen nicht zufällig an den beiden politischen Rändern des deutschen Parlaments, sie sind es auch. Sie eint nicht nur die Ähnlichkeit der Herkunft aus den beiden früheren „Volksparteien“, sondern ebenso ein verdruckstes Verhältnis zu den radikalen Rändern. Die PDS hat es trotz des immensen Drucks der Christ- und Sozialdemokraten immer abgelehnt, sich von ihrer kommunistischen Plattform zu distanzieren. Es hat in der Regel auch keine ernsthafte Distanzierung der Linken oder ihrer Politiker von den Gewalttaten zum 1. Mai in Berlin-Kreuzberg, wenn marodierende Gruppen durch die Stadt zogen und Autos anzündeten oder Schaufensterscheiben einschlugen, oder von den Randalierern in Hamburg beim G20-Gipfel 2017 gegeben. Die Linken-Politiker wissen, das sind „unsere Leute“, was die tun, teilen wir zwar nicht, aber wenn die wählen, wählen sie uns. Umgekehrt wissen die AfD-Politiker, dass eine eindeutige Distanzierung von Pegida oder bestimmten, als „völkisch“ identifizierten Gruppen und Äußerungen Wählerstimmen kosten würde.
Deshalb bleibt man auf beiden Seiten vage, wenn es um den eigenen Rand geht, und lässt klare Distanzierungen vermissen – was man sich aber gegenseitig lauthals vorwirft, besonders scharf verurteilt und hofft, in der „Mitte“ der politischen Gesellschaft Zuspruch für die jeweils eigene Anklage des Gegenübers am anderen Rand zu finden. Das ist eine Frage des Blickwinkels. Und „die Mitte“ schaut distanziert auf beide. Zumindest so lange, wie sie nicht einen von beiden – im Zweifelsfalle wohl eher den rechten Flügel – zum Regieren braucht.