20. Jahrgang | Nummer 21 | 9. Oktober 2017

Eh’ ich es vergesse. Lexikalische Versuche (2)

von Erhard Weinholz

Bär: König des Waldes, nebenbei Wappentier Berlins, hatte insbesondere in den fünfziger und sechziger Jahren, der großen Zeit der Maskottchen und Vignetten, viel zu tun. Gern schenkte er anderen Freude, indem er Schnaps auftischte, Schnaps vom VEB Bärensiegel. Er war dann Der Bär, der Frohsinn bringt. Glück brachte er mit der Berliner Bärenlotterie. Auch schrieb er lange Zeit unter dem Pseudonym Bärchen für die Berliner Zeitung. Welche Aufträge er in der PGH Bärendienste annahm, ist nicht mehr zu ermitteln – vielleicht konnte man sich da einen Bären aufbinden lassen? In der Freizeit genoss er damals, von schlichtem Gemüt, wie er war, DDR-Fernsehshows wie Da lacht der Bär. Seit den siebziger Jahren Bedeutungsverlust, trat bei einem Bayern-Urlaub sogar als Problembär in Erscheinung. Der Knut-Rummel war mit dem hiesigen Bärenkult wahrscheinlich nur entfernt verwandt.

Deutschland: Eine im Brandenburgischen ansässige Mineralwasser-Firma versieht ihre Flasche derzeit mit hübsch anzuschauenden Rückenetiketts zum Thema Märkische Gewässer. Zur Oder heißt es dort, seit 1990 bilde sie zusammen mit der Neiße die deutsche Ostgrenze zu Polen. Armes Deutschland sagte man früher wohl in solchen Fällen.

E pericoloso sporgersi: In den Personenwagen der Deutschen Reichsbahn, wie ich sie aus meiner Kindheit kenne, den Jahren 1950 ff., waren kleine Verbotsschilder angebracht. An den Türen las man Nicht öffnen, ehe der Zug hält!, auf den Fensterbrettern Nicht hinauslehnen! Manchmal war durch Herauskratzen einiger Buchstaben daraus .ich. öffne., ehe .er Zu. hält! und Nicht hin..s.eh.en! geworden, was ja auch passte. Es fand sich unter den Fenstern aber noch ein Hinweis, nämlich E pericoloso sporgersi, und diese Lautfolge hat sich mir in ihrer geheimnisvollen Unverständlichkeit damals tief eingeprägt. Stammten die Schildchen vielleicht aus den Zeiten der Achse Berlin–Rom–Tokio? Denn E pericoloso sporgersi, das war italienisch, wie ich später erfuhr. Wahrscheinlich bedeutet es ebenfalls Nicht hinauslehnen! Aber ich möchte es gar nicht wissen.

Romane der Weltliteratur: War ein Gemeinschaftsunternehmen dreier DDR-Verlage, Aufbau, Rütten & Loening sowie Volk und Welt, oft verwechselt mit der Bibliothek der Weltliteratur, einem Aufbau-Vorhaben aus späterer Zeit. Etwa sechzig, siebzig Titel sind in der Reihe erschienen, unter den Autoren viele Franzosen und Engländer, Balzac, Flaubert, Dickens, aber auch Goethe, Immermann und, als einer der wenigen Russen, Tschernyschewski mit Was tun? Die Schutzumschläge unterschieden sich von Verlag zu Verlag, für Volk und Welt hatte sie Werner Klemke entworfen, ansonsten war die Ausstattung weitgehend gleich: Stets Ganzleineneinband, vorn das Kürzel RDW, stets gutes Papier, gut lesbare Schrift. Preis je nach Umfang sieben bis elf Mark. Das war angemessen, aber für damalige Kleinverdiener meist zu viel. Verlegt wurde die Reihe in den Jahren 1951 bis 1957. Zu jener Zeit wurde auch die Berliner Stalinallee erbaut, und was diese Allee für das DDR-Bauwesen war, das war Romane der Weltliteratur für das literarische Leben in diesem Lande: Ausweis fachlichen Könnens der Verlage und, mehr noch, kulturpolitischer Richtungsweiser.

Rundfunkzeitung: Brachte zum Preise von zehn Pfennigen der DDR das Rundfunkprogramm, das ganze Rundfunkprogramm, natürlich nur der DDR, und nichts als das Rundfunkprogramm. Inzwischen scheint sich an das sympathische Blatt niemand mehr zu erinnern.

Sportwagen: Marken wie Porsche, BMW und Lamborghini stehen für dieses Wort, doch in den fünfziger Jahren verstand man darunter auch einen leichten Kinderwagen, heute Buggy genannt. Da mit solchen Wagen wohl kaum Rennen gefahren wurden, bleibt die Namensherkunft rätselhaft.

Stalin, J. W.: Worüber man nichts Gutes sagen kann, darüber soll man schweigen. So heißt es jedenfalls. Über J. W. Stalin (sowj. Staatsmann, 1879 bis 1953) konnte, musste man sogar viel Gutes sagen. Dennoch blieb sein Name mit gewissen, nun ja, … ähmm … Verletzungen der sozialistischen Gesetzlichkeit verbunden. Also überging man ihn später, wenn möglich, lieber mit Schweigen. Dieses Schweigen bedeutete aber nicht, dass man jene gewissen Verletzungen, von denen hier schon gesprochen wurde, etwa billigte. Keinesfalls. Dass er so viele Kommunisten hatte umbringen lassen, haben ihm die besseren Genossen stets verübelt.

Witze (politische): Sind seit längerem nur noch selten zu hören. Wer heute mit dem Weltzustand insgesamt oder auch nur der Regierung Merkel unzufrieden ist, wählt nächstes Mal Opposition oder geht statt zur Wahl zur Demo oder steckt Autos in Brand oder klebt Zettel, auf denen GroKo, Merkeldiktatur und Lügenpresse verflucht werden. Sind aber den Unzufriedenen Auswege dieser Art weitgehend versperrt, wird der politische Witz zum Ventil. Dumm daher die Herrscher, die den Witzspruch unter Strafe stellen. Meist war er im Übrigen Männersache. Da Witze witzig sein müssen, konnte der gemeine Mann hier einmal mehr seinen Geist beweisen. Das ging dann zum Beispiel so: Eine Interflug-Maschine wird auf dem Weg von Schönefeld nach Moskau in den Westen entführt. Womit drohen die Entführer der DDR-Regierung für den Fall, dass ihre Forderungen nicht erfüllt werden? Dass sie die Fluggäste freilassen.