von Heino Bosselmann
Von der Politik, ob regierend oder opponierend, primär Vernunft zu erwarten ist ebenso vermessen wie zu meinen, der Mensch wäre vernünftig. Er ist es in Anteilen. Vielleicht. Hoffentlich. Wir alle kennen aus unserer Umgebung Leute, denen wir die Supermacht USA ruhigeren Gewissens anvertrauen würden als nun gerade Donald Trump. Viele sogenannte Alltagstypen darunter. Aber Alltagstypen wollen gar nicht regieren. Ein ebenfalls wichtiges Problem, über das man immer wieder nachdenken sollte. Warum nicht die? Weshalb vielmehr diese Selbstprofilierer mit ihren eindrucksvollen Charakter- und Seelendefekten? Mit Ehrgeiz, Verve und Ellenbogeneinsatz.
Wir ringen mit uns, oft in dramatischen Konflikten. Nicht selten verzweifeln wir und kommen zu keinen oder fatal falschen Entscheidungen. Nicht nur Fernsehserien bieten trivialisiert die Katastrophen attischer Tragödien oder Shakespeares auf, unser aller Leben hat das zu bieten und muss da durch. Denn zu einem sind wir gezwungen: zum Handeln. Permanent. Dafür nämlich, dass das Leben weitergeht und wir mit ihm unter die Räder kommen oder obenauf sind, brauchen wir gar nichts tun; es geschieht einfach, ob nun vernünftig oder irre.
Der Vorteil der Demokratie, mithin der „offenen Gesellschaft“ mag darin liegen, dass sie freien Wortes und im frei darzulegenden Denken immer neu festzustellen in der Lage ist, welcher Weg viabel, also passend und gangbar sei. Weil es immer andere Wege sein müssen. Daher ist es gut, dass die AfD in den Bundestag einzog. Der Grund dafür ist genauso simpel wie ungern ausgesprochen. Der Linke Lafontaine hat’s getan: Der Schlüssel für den Rechtsruck ist die verfehlte Flüchtlingspolitik. Die trifft „alle im Bundestag vertretenen Parteien, weil bei ihren Antworten auf die weltweite Flüchtlingsproblematik das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit außer Kraft gesetzt wurde. (…) Man darf die Lasten der Zuwanderung über verschärfte Konkurrenz im Niedriglohnsektor, steigende Mieten in Stadtteilen mit preiswertem Wohnraum und zunehmenden Schwierigkeiten in Schulen mit wachsendem Anteil von Schülern mit mangelnden Sprachkenntnissen nicht vor allem denen aufbürden, die ohnehin bereits die Verlierer der steigenden Ungleichheit der Einkommen und Vermögen sind.“
Die einen zwingt das zur Revision ihrer zunehmend in Ideologismen erstarrten selbsterfüllenden Prophezeiungen, denen zufolge es keine wesentlichen Unterschiede im politischen Denken mehr geben darf, insofern sich die Gesellschaft endlich, endlich auf dem Weg in die Große Gerechtigkeit des Weltbürgertums befände, nur weil das nun mal so deklariert worden sei, zumal doch jeder dafür sein müsse, etwa so, wie im DDR-Sozialismus ja jeder für den Frieden war. Und die AfD selbst wird sich außerhalb der Hermetik ihrer Klubs Zuhörern erklären müssen, die nicht ihre Anhänger sind.
Parlamentarische Arbeit zwingt zum Ringen ums Wort und ist damit nicht weniger als eine qualifizierte, allerdings sehr umfassende Gruppentherapie. Ein geschützter Raum (das Parlament), fest vereinbarte Regeln (die Geschäftsordnung), Offenheit und Auseinandersetzung im kritischen Durcharbeiten der Wahrnehmungen und Auffassungen. Klärung, Katharsis, neue Entschlüsse. Jeder darf nicht nur, nein, jeder muss reden und wird gehört. – Jetzt endlich wird dabei wieder ein Spektrum erlebbar, das unter der subtilen Vormundschaft eines allzu pauschal durchverordneten Gebrauchshumanismus verarmt war, weil mehr moralisiert als schöpferisch gestritten wurde. Statt Beschwörungen nämlich braucht es den Konflikt. Beschwörungen deuten auf Neurosen hin, Konflikte aber arbeiten diese durch.
Die Angst vor der AfD, die sich hinter lauten Schmähungen verbirgt, ist neurotische Angst, nämlich jene vor sich selbst und der eigenen Courage sowie dem uneingestandenen Unvermögen, mutig mit den eigenen Unzulänglichkeiten umzugehen. Die AfD wird unfreiwillig nicht zuletzt jene Unvernunft oder gar Abgründigkeit spiegeln, die substantiell allen eigen ist, auch den selbsterklärt „demokratischen Parteien“, die sich per se allein moralische Integrität zubilligen, so selbstverständlich, wie sie das den Konservativen, den Nationalisten und den Rechten absprechen, ohne sich auf deren Argumente einzulassen, sondern die wiederum mit Beschwörungsformeln reagieren oder einfach infantil: „Morgen kriegen sie auf die Fresse!“ Was soll daran eigentlich Zivilcourage sein?
Der Alleinvertretungsanspruch der „Demokraten“ gefährdete die Demokratie innerhalb der letzten Jahre entscheidender als die Gegner der im Bundestag so traut und bräsig versammelten Konsensgemeinschaft. Die veranstalte rhetorisch verarmt unter den launigen Studienratsspäßchen ihres Präsidenten Norbert Lammert nur noch Rollenspiele und fand „Jamaica“ wie „Kenia“ enorm demokratisch, weil doch jeder irgendwie mit jedem kann.
Übrigens gibt es einen einfachen Grund dafür, gegenüber der Rechten nicht beständig die Hosen voll zu haben und hysterisch zu werden: Die Rechte hat nämlich keinen Witz. Null. Ihr Lachen klingt seltsam, und Selbstironie ist ihr gänzlich fremd. Phänomenal und seltsam, dabei absolut einen Essay-Wettbewerb wert: Warum die Rechte nicht lachen kann. – Man lese in den Blättern und auf den Online-Plattformen der Rechten nach: Bitterer Sarkasmus, das ja, ebenso scharfsinniger Zynismus, aber ansonsten nie ein Schmunzeln, keine Pointen, keine Lacher, sondern eine Stimmung wie zwischen den Koniferen vor der Leichenhalle. Bittermienen. Gilt auch historisch: Man gehe die Reihen der durchaus bedeutenden und achtbaren deutschen konservativen Politiker durch. Wenn sie lachten, dann missgünstig über andere und in einer Art, als verteilten sie hämisch Maulschellen. Hat Hindenburg mal gelacht? („Der Krieg bekommt mir wie eine Badekur! – Höhöhö!“) Wir alle kennen solche Typen vom Pausenplatz. Und tatsächlich, es gehört eine gewisse Physiognomie dazu – jene des gnatzigen Besserwissers, von dem keiner was wissen will, der sich aber als Held beweisen möchte. – Frauke Petry – was immer noch von ihr zu halten ist – hatte Witz, auch Wortwitz. Auch deshalb sitzt sie jetzt folgerichtig allein.
Während die Linken wegen ihrer beständigen Hoffnungsbesoffenheit öfter einen Entzug nötig haben, in dessen Verlauf nicht wenige nach rechts schwenken, sieht die Rechte überall Gefahren und Grenzen, fatalerweise nur nicht bei sich selbst, versteht sich doch jeder ihrer Getreuen, der ein bisschen was bei Spengler, Schmitt und Jünger gelesen hat, als Eingeweihter des „Heiligen Deutschland“. – Es gibt übrigens auch rechte Linke, überall dort nämlich, wo die Linke an die Macht kam. Die können dann auch nicht mehr lachen oder nur noch in der Weise wie Honecker oder Mielke das hören ließen. Interessant, wie alles rundum dann artig mitlachte. Macht korrumpiert nicht nur; vorher noch befreit sie vom Humor. Denn auch die Macht hat vor allem – Angst.
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